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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Literatur.

Meinem Vater, dem es weder an Pastoralklugheit "och an Herz und
Gemüt fehlte, glückte es, das richtige Maß zu halten und den rechten Ton zu
treffen. Er war freundlich gegen jedermann, sprach ebenso eingehend mit dem
ärmsten Häusler wie mit dem stolzen Großbauer und wußte bei aller Herab¬
lassung doch immer die Würde und den Stand des Pastors zu wahren. So
kam es, daß die umsnngrciche Gemeinde, die mein Vater volle fünfundvierzig
Jahre laug als Prediger leitete, ihm bis zu seinem Tode i" vertrauender Liebe
zugethan blieb. Wenige Einzelne mir machten davon eine Ausnahme, hüteten
sich aber Wohl vor jeder Herausforderung, da zu einer solchen Vonseiten des
Vaters niemals Anlaß gegeben wurde. (Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Geschichte der französischen Literatur von den ältesten Zeiten bis zur Ende des
zweiten Kaiserreichs. Von Professur Dr. G. Bornhak, Berlin. Nicolaische Verlagsbuch¬
handlung, 1886.

Populäre Darstellungen ohne andern Zweck als den der Popularisirung einer
Wissenschaft -- bei keinem wirklichen Forscher sonderlich beliebt -- pflegen ihm
doch auf keinem Gebiete weniger zu behagen als auf dem der Literaturgeschichte.
Natürlich; denn es giebt kein Gebiet, das dem allgemeinen Zugänge so offen wäre
als das seine, keines, das einer außerwifsenschnftlichen Behandlung weniger bedürftig
wäre, keines, das bei einer unwissenschaftlichen mehr verlöre. Das Publikum ist
andrer Ansicht, wie unausgesetzt neue Erscheinungen auf diesem Felde sogar mit
wiederholten Allflagen beweisen. Denn dies wissenschaftliche Gebiet ist zugleich
eins von denen, die dem Tagesleben zunächst liegen, und dasjenige, dessen
Kenntnis bei jedem, der aus "Bildung" Anspruch macht, zunächst vorausgesetzt
wird. Kein Wunder, daß bei den bekannten gesellschaftlichen Eigenheiten der
Menschen, möglichst viel scheinen zu wollen oder mit möglichst wenig möglichst viel
auszurichten, auch hier der "billige Mann," d. h. derjenige, welcher für die geringste
Geistesnnstrcngung das meiste bietet, den größten Zuspruch findet.

Es ist daher stets mit Freuden zu begrüßen, wenn man berufene Hände bei
demi schwierigen und wenig dankbaren Werke findet, hier zu vermitteln, den wirk¬
lichen Geist der Wissenschaft in eine würdige und dabei allgemein gangbare Form
zu bringen. Das vorliegende Werk erweitert rühmlichst den verhältnismäßig kleinen
Kreis der hierher zu rechnenden Leistungen. Der Verfasser bietet auf der einen
Seite in einem verhältnismäßig nicht zu starken Bande das gewaltige Material
seines Themas nebst dem wissenschaftlichen Apparat von SpezialWerken und Mono¬
graphien in einer bisher auch in Frankreich nicht vorhandenen Vollständigkeit (mau
könnte dort höchstens das in bedeutend kleinerem Rahmen gehaltene Werk von
Demogeot etwa als Seitenstück aufführen), sodaß man hier wohl von einem Ansätze
zu dem vou deutschen Forschern schmerzlich vermißten "französischen Goedeke"
sprechen kann. Auf der andern Seite liefert er dem Stoff- und grmndlagebedürftigeu
Neuling ans eine sehr bequeme Art nicht bloß eine bis ins Einzelnste gehende


Literatur.

Meinem Vater, dem es weder an Pastoralklugheit »och an Herz und
Gemüt fehlte, glückte es, das richtige Maß zu halten und den rechten Ton zu
treffen. Er war freundlich gegen jedermann, sprach ebenso eingehend mit dem
ärmsten Häusler wie mit dem stolzen Großbauer und wußte bei aller Herab¬
lassung doch immer die Würde und den Stand des Pastors zu wahren. So
kam es, daß die umsnngrciche Gemeinde, die mein Vater volle fünfundvierzig
Jahre laug als Prediger leitete, ihm bis zu seinem Tode i» vertrauender Liebe
zugethan blieb. Wenige Einzelne mir machten davon eine Ausnahme, hüteten
sich aber Wohl vor jeder Herausforderung, da zu einer solchen Vonseiten des
Vaters niemals Anlaß gegeben wurde. (Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Geschichte der französischen Literatur von den ältesten Zeiten bis zur Ende des
zweiten Kaiserreichs. Von Professur Dr. G. Bornhak, Berlin. Nicolaische Verlagsbuch¬
handlung, 1886.

Populäre Darstellungen ohne andern Zweck als den der Popularisirung einer
Wissenschaft — bei keinem wirklichen Forscher sonderlich beliebt — pflegen ihm
doch auf keinem Gebiete weniger zu behagen als auf dem der Literaturgeschichte.
Natürlich; denn es giebt kein Gebiet, das dem allgemeinen Zugänge so offen wäre
als das seine, keines, das einer außerwifsenschnftlichen Behandlung weniger bedürftig
wäre, keines, das bei einer unwissenschaftlichen mehr verlöre. Das Publikum ist
andrer Ansicht, wie unausgesetzt neue Erscheinungen auf diesem Felde sogar mit
wiederholten Allflagen beweisen. Denn dies wissenschaftliche Gebiet ist zugleich
eins von denen, die dem Tagesleben zunächst liegen, und dasjenige, dessen
Kenntnis bei jedem, der aus „Bildung" Anspruch macht, zunächst vorausgesetzt
wird. Kein Wunder, daß bei den bekannten gesellschaftlichen Eigenheiten der
Menschen, möglichst viel scheinen zu wollen oder mit möglichst wenig möglichst viel
auszurichten, auch hier der „billige Mann," d. h. derjenige, welcher für die geringste
Geistesnnstrcngung das meiste bietet, den größten Zuspruch findet.

Es ist daher stets mit Freuden zu begrüßen, wenn man berufene Hände bei
demi schwierigen und wenig dankbaren Werke findet, hier zu vermitteln, den wirk¬
lichen Geist der Wissenschaft in eine würdige und dabei allgemein gangbare Form
zu bringen. Das vorliegende Werk erweitert rühmlichst den verhältnismäßig kleinen
Kreis der hierher zu rechnenden Leistungen. Der Verfasser bietet auf der einen
Seite in einem verhältnismäßig nicht zu starken Bande das gewaltige Material
seines Themas nebst dem wissenschaftlichen Apparat von SpezialWerken und Mono¬
graphien in einer bisher auch in Frankreich nicht vorhandenen Vollständigkeit (mau
könnte dort höchstens das in bedeutend kleinerem Rahmen gehaltene Werk von
Demogeot etwa als Seitenstück aufführen), sodaß man hier wohl von einem Ansätze
zu dem vou deutschen Forschern schmerzlich vermißten „französischen Goedeke"
sprechen kann. Auf der andern Seite liefert er dem Stoff- und grmndlagebedürftigeu
Neuling ans eine sehr bequeme Art nicht bloß eine bis ins Einzelnste gehende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/347>, abgerufen am 06.05.2024.