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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Welt nur in einem Einzigen zu schein Es kostete mich nicht wenig, denn mein
Herz strafte meine" Mund Lügen. Ich wäre sehr glücklich gewesen, hätte ich
deine Frau sein dürfen, das wußte ich schon lange, lange, schon seit dem Tage,
da du unser Joachimchen, als es müde geworden war, auf den Arm nahmst
und nach Hause zurücktrugst. Es hat nicht sein dürfen. Das Kind hab' ich
begraben müssen, die Liebe zu diesem Manne auch, ganz tief in meiner Brust."

So herzlich gern wir dem guten Manne dieses Geständnis gönnen, so
unwahr erscheint es uns nach allem Vorhergehenden; eine Stiftsdame kann
einen solchen braven Mann Wohl mit Freundschaft, aber nicht mit Liebe be¬
ehren. Heyse dürfte mit diesem letzten Zuge seiner Heldin ein schwaches Zu¬
geständnis an das sogenannte große Publikum gemacht haben.

Elegisch, wie sie eingeleitet wurde, tönt die Lebensgeschichte der Stiftsdame
aus, und das Beste an ihr ist dieser mit großer Kunst festgehaltene Ton des
Erzählers.


Moritz Necker.


Kunstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer.

nde vorigen Jahres haben zwei Männer, die sich, ein jeder nach
seiner Weise, um die Förderung der kunstgeschichtlichen Erkenntnis
große Verdienste erworben haben, Sammlungen von Aufsätzen
herausgegeben, welche zwar die Summe aus einer ernsten, wissen¬
schaftlichen Thätigkeit ziehen, aber doch so gehalten sind, daß sie
dem Auffassungsvermögen des gebildeten Laien keine Schwierigkeiten bereiten.*)
Bei Lübke ist das populäre Element stärker betont als bei Springer, was sich
aus der äußern Stellung, dem wissenschaftlichen Charakter und dem Entwicklungs¬
gange beider Männer erklärt. Lübkes erstes Auftreten fällt in die Zeit, wo
Schnaase und Kugler eben erst angefangen hatten, der Beschäftigung mit
Künstlern und Kunstwerken ein wissenschaftliches Gewand umzuhängen, an die
Stelle der subjektiv-ästhetisireudeu Betrachtungsweise die objektive historisch¬
kritische zu setzen. Bis dahin war die Kunstgeschichte ein Anhängsel der Ästhetik
und mit dieser an Universitäten das Herrschaftsgebiet des Professors der Philo¬
sophie gewesen, vorausgesetzt, daß dieser sich für dergleichen Allotria interessirte.



") Künstler und Kunstwerke. Dritte Sammlung vermischter Aufsätze von Wil¬
helm Lübke. Breslau, S. Schottlciuder. -- Bilder aus der neueren Kunstgeschichte
von Anton Springer. Zweite Auflage. Bonn, A. Marcus.

Welt nur in einem Einzigen zu schein Es kostete mich nicht wenig, denn mein
Herz strafte meine» Mund Lügen. Ich wäre sehr glücklich gewesen, hätte ich
deine Frau sein dürfen, das wußte ich schon lange, lange, schon seit dem Tage,
da du unser Joachimchen, als es müde geworden war, auf den Arm nahmst
und nach Hause zurücktrugst. Es hat nicht sein dürfen. Das Kind hab' ich
begraben müssen, die Liebe zu diesem Manne auch, ganz tief in meiner Brust."

So herzlich gern wir dem guten Manne dieses Geständnis gönnen, so
unwahr erscheint es uns nach allem Vorhergehenden; eine Stiftsdame kann
einen solchen braven Mann Wohl mit Freundschaft, aber nicht mit Liebe be¬
ehren. Heyse dürfte mit diesem letzten Zuge seiner Heldin ein schwaches Zu¬
geständnis an das sogenannte große Publikum gemacht haben.

Elegisch, wie sie eingeleitet wurde, tönt die Lebensgeschichte der Stiftsdame
aus, und das Beste an ihr ist dieser mit großer Kunst festgehaltene Ton des
Erzählers.


Moritz Necker.


Kunstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer.

nde vorigen Jahres haben zwei Männer, die sich, ein jeder nach
seiner Weise, um die Förderung der kunstgeschichtlichen Erkenntnis
große Verdienste erworben haben, Sammlungen von Aufsätzen
herausgegeben, welche zwar die Summe aus einer ernsten, wissen¬
schaftlichen Thätigkeit ziehen, aber doch so gehalten sind, daß sie
dem Auffassungsvermögen des gebildeten Laien keine Schwierigkeiten bereiten.*)
Bei Lübke ist das populäre Element stärker betont als bei Springer, was sich
aus der äußern Stellung, dem wissenschaftlichen Charakter und dem Entwicklungs¬
gange beider Männer erklärt. Lübkes erstes Auftreten fällt in die Zeit, wo
Schnaase und Kugler eben erst angefangen hatten, der Beschäftigung mit
Künstlern und Kunstwerken ein wissenschaftliches Gewand umzuhängen, an die
Stelle der subjektiv-ästhetisireudeu Betrachtungsweise die objektive historisch¬
kritische zu setzen. Bis dahin war die Kunstgeschichte ein Anhängsel der Ästhetik
und mit dieser an Universitäten das Herrschaftsgebiet des Professors der Philo¬
sophie gewesen, vorausgesetzt, daß dieser sich für dergleichen Allotria interessirte.



») Künstler und Kunstwerke. Dritte Sammlung vermischter Aufsätze von Wil¬
helm Lübke. Breslau, S. Schottlciuder. — Bilder aus der neueren Kunstgeschichte
von Anton Springer. Zweite Auflage. Bonn, A. Marcus.
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[0442] Welt nur in einem Einzigen zu schein Es kostete mich nicht wenig, denn mein Herz strafte meine» Mund Lügen. Ich wäre sehr glücklich gewesen, hätte ich deine Frau sein dürfen, das wußte ich schon lange, lange, schon seit dem Tage, da du unser Joachimchen, als es müde geworden war, auf den Arm nahmst und nach Hause zurücktrugst. Es hat nicht sein dürfen. Das Kind hab' ich begraben müssen, die Liebe zu diesem Manne auch, ganz tief in meiner Brust." So herzlich gern wir dem guten Manne dieses Geständnis gönnen, so unwahr erscheint es uns nach allem Vorhergehenden; eine Stiftsdame kann einen solchen braven Mann Wohl mit Freundschaft, aber nicht mit Liebe be¬ ehren. Heyse dürfte mit diesem letzten Zuge seiner Heldin ein schwaches Zu¬ geständnis an das sogenannte große Publikum gemacht haben. Elegisch, wie sie eingeleitet wurde, tönt die Lebensgeschichte der Stiftsdame aus, und das Beste an ihr ist dieser mit großer Kunst festgehaltene Ton des Erzählers. Moritz Necker. Kunstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer. nde vorigen Jahres haben zwei Männer, die sich, ein jeder nach seiner Weise, um die Förderung der kunstgeschichtlichen Erkenntnis große Verdienste erworben haben, Sammlungen von Aufsätzen herausgegeben, welche zwar die Summe aus einer ernsten, wissen¬ schaftlichen Thätigkeit ziehen, aber doch so gehalten sind, daß sie dem Auffassungsvermögen des gebildeten Laien keine Schwierigkeiten bereiten.*) Bei Lübke ist das populäre Element stärker betont als bei Springer, was sich aus der äußern Stellung, dem wissenschaftlichen Charakter und dem Entwicklungs¬ gange beider Männer erklärt. Lübkes erstes Auftreten fällt in die Zeit, wo Schnaase und Kugler eben erst angefangen hatten, der Beschäftigung mit Künstlern und Kunstwerken ein wissenschaftliches Gewand umzuhängen, an die Stelle der subjektiv-ästhetisireudeu Betrachtungsweise die objektive historisch¬ kritische zu setzen. Bis dahin war die Kunstgeschichte ein Anhängsel der Ästhetik und mit dieser an Universitäten das Herrschaftsgebiet des Professors der Philo¬ sophie gewesen, vorausgesetzt, daß dieser sich für dergleichen Allotria interessirte. ») Künstler und Kunstwerke. Dritte Sammlung vermischter Aufsätze von Wil¬ helm Lübke. Breslau, S. Schottlciuder. — Bilder aus der neueren Kunstgeschichte von Anton Springer. Zweite Auflage. Bonn, A. Marcus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/442>, abgerufen am 06.05.2024.