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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die moderne Novellistik und die jedermann bekannte Wahrheit.

von den letzten Ausläufern der antiken Kunst bis auf die Gegenpart, als Muster
vorgehalten werden: den ältern als Vorbilder einer geschmackvollen, vornehmen
Darstellung, die selbst etwas von der Harmonie eines Kunstwerkes an sich hat,
den jüngern als Fundgrube wertvoller Anregungen zu eigner Forschung. Steht
doch der Aufsatz über den altdeutschen Holzschnitt und Kupferstich, welcher
zwanzig Jahre lang als einzige zusammenfassende Behandlung des Stoffes aller¬
orten zitirt worden ist, immer noch vereinzelt da. Immer noch ist Springers
Mahnung berechtigt: "Daß wir noch keine wissenschaftlich verfaßte Geschichte
des deutschen Holzschnitts besitzen, muß als eine der größten Lücken, vielleicht
als die größte in der Geschichte unsrer nationalen Kunst beklagt werden." Auch
über einige andre, ans der ersten Auflage übernommene Aufsätze, wie z. V.
"Klosterleben und Klosterkunst im Mittelalter" und "Die Kunst während der
französischen Revolution," ist die spätere Forschung nicht wesentlich hinaus¬
gekommen, während Springer wieder auf andern Gebieten, in welchen die
Spezialforschung der letzten Jahre ein großes Stück Arbeit geliefert hat, über
die Spezialisten hinaus neue Wege eröffnet hat. So entrollt er z. B. in der
meisterhaften Studie über Dürers Entwicklungsgang ein Bild des Meisters,
welches in mannichfachen, aber wohlbegründeten Zügen von demjenigen Than-
sings abweicht und namentlich den Vorzug größerer Einheitlichkeit besitzt. Be¬
sonders gelungen ist der Nachweis, daß das Streben nach einer wissenschaftlichen
Grundlage seiner Kunst Dürer von Jugend ans bis an sein Ende begleitet hat
und das Endziel seiner unablässigen Bemühungen gewesen ist.


Adolf Rosenberg.


Die moderne Novellistik und die jedermann bekannte
Wahrheit.

s mag richtig sein, daß die Wirkung der massenhaft verschlungenen
Romane und Novellen auf unser nicht nur schnell und viel
lebendes, sondern auch ebenso lesendes Geschlecht keine sehr tief¬
gehende ist; wäre sie das, so müßte in der That unsre Zukunft
eine tröst- und hoffnungslose genannt werden, denn gerade die
Lektüre, welche in die Massen des Volkes eindringt, und zwar in einem stetig
fließenden Strome von erschreckender Stärke, ist von so zweifelhaftem Gehalt,
von solcher Öde und Armseligkeit, und trügt zum großen Teile die Kennzeichen
förmlich fabrikmäßiger Herstellung oder doch ausgesprochenster Lohnarbeit so
deutlich an sich, daß die Wirkung auf die Gemüter keine andre als eine er¬
schlaffende und verschlechternde sein könnte. Diese Lektüre müßte, wie uns
scheint, Psychisch etwa diejenige Wirkung erzielen, die man Physisch den "Kartoffel-


Die moderne Novellistik und die jedermann bekannte Wahrheit.

von den letzten Ausläufern der antiken Kunst bis auf die Gegenpart, als Muster
vorgehalten werden: den ältern als Vorbilder einer geschmackvollen, vornehmen
Darstellung, die selbst etwas von der Harmonie eines Kunstwerkes an sich hat,
den jüngern als Fundgrube wertvoller Anregungen zu eigner Forschung. Steht
doch der Aufsatz über den altdeutschen Holzschnitt und Kupferstich, welcher
zwanzig Jahre lang als einzige zusammenfassende Behandlung des Stoffes aller¬
orten zitirt worden ist, immer noch vereinzelt da. Immer noch ist Springers
Mahnung berechtigt: „Daß wir noch keine wissenschaftlich verfaßte Geschichte
des deutschen Holzschnitts besitzen, muß als eine der größten Lücken, vielleicht
als die größte in der Geschichte unsrer nationalen Kunst beklagt werden." Auch
über einige andre, ans der ersten Auflage übernommene Aufsätze, wie z. V.
„Klosterleben und Klosterkunst im Mittelalter" und „Die Kunst während der
französischen Revolution," ist die spätere Forschung nicht wesentlich hinaus¬
gekommen, während Springer wieder auf andern Gebieten, in welchen die
Spezialforschung der letzten Jahre ein großes Stück Arbeit geliefert hat, über
die Spezialisten hinaus neue Wege eröffnet hat. So entrollt er z. B. in der
meisterhaften Studie über Dürers Entwicklungsgang ein Bild des Meisters,
welches in mannichfachen, aber wohlbegründeten Zügen von demjenigen Than-
sings abweicht und namentlich den Vorzug größerer Einheitlichkeit besitzt. Be¬
sonders gelungen ist der Nachweis, daß das Streben nach einer wissenschaftlichen
Grundlage seiner Kunst Dürer von Jugend ans bis an sein Ende begleitet hat
und das Endziel seiner unablässigen Bemühungen gewesen ist.


Adolf Rosenberg.


Die moderne Novellistik und die jedermann bekannte
Wahrheit.

s mag richtig sein, daß die Wirkung der massenhaft verschlungenen
Romane und Novellen auf unser nicht nur schnell und viel
lebendes, sondern auch ebenso lesendes Geschlecht keine sehr tief¬
gehende ist; wäre sie das, so müßte in der That unsre Zukunft
eine tröst- und hoffnungslose genannt werden, denn gerade die
Lektüre, welche in die Massen des Volkes eindringt, und zwar in einem stetig
fließenden Strome von erschreckender Stärke, ist von so zweifelhaftem Gehalt,
von solcher Öde und Armseligkeit, und trügt zum großen Teile die Kennzeichen
förmlich fabrikmäßiger Herstellung oder doch ausgesprochenster Lohnarbeit so
deutlich an sich, daß die Wirkung auf die Gemüter keine andre als eine er¬
schlaffende und verschlechternde sein könnte. Diese Lektüre müßte, wie uns
scheint, Psychisch etwa diejenige Wirkung erzielen, die man Physisch den „Kartoffel-


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[0447] Die moderne Novellistik und die jedermann bekannte Wahrheit. von den letzten Ausläufern der antiken Kunst bis auf die Gegenpart, als Muster vorgehalten werden: den ältern als Vorbilder einer geschmackvollen, vornehmen Darstellung, die selbst etwas von der Harmonie eines Kunstwerkes an sich hat, den jüngern als Fundgrube wertvoller Anregungen zu eigner Forschung. Steht doch der Aufsatz über den altdeutschen Holzschnitt und Kupferstich, welcher zwanzig Jahre lang als einzige zusammenfassende Behandlung des Stoffes aller¬ orten zitirt worden ist, immer noch vereinzelt da. Immer noch ist Springers Mahnung berechtigt: „Daß wir noch keine wissenschaftlich verfaßte Geschichte des deutschen Holzschnitts besitzen, muß als eine der größten Lücken, vielleicht als die größte in der Geschichte unsrer nationalen Kunst beklagt werden." Auch über einige andre, ans der ersten Auflage übernommene Aufsätze, wie z. V. „Klosterleben und Klosterkunst im Mittelalter" und „Die Kunst während der französischen Revolution," ist die spätere Forschung nicht wesentlich hinaus¬ gekommen, während Springer wieder auf andern Gebieten, in welchen die Spezialforschung der letzten Jahre ein großes Stück Arbeit geliefert hat, über die Spezialisten hinaus neue Wege eröffnet hat. So entrollt er z. B. in der meisterhaften Studie über Dürers Entwicklungsgang ein Bild des Meisters, welches in mannichfachen, aber wohlbegründeten Zügen von demjenigen Than- sings abweicht und namentlich den Vorzug größerer Einheitlichkeit besitzt. Be¬ sonders gelungen ist der Nachweis, daß das Streben nach einer wissenschaftlichen Grundlage seiner Kunst Dürer von Jugend ans bis an sein Ende begleitet hat und das Endziel seiner unablässigen Bemühungen gewesen ist. Adolf Rosenberg. Die moderne Novellistik und die jedermann bekannte Wahrheit. s mag richtig sein, daß die Wirkung der massenhaft verschlungenen Romane und Novellen auf unser nicht nur schnell und viel lebendes, sondern auch ebenso lesendes Geschlecht keine sehr tief¬ gehende ist; wäre sie das, so müßte in der That unsre Zukunft eine tröst- und hoffnungslose genannt werden, denn gerade die Lektüre, welche in die Massen des Volkes eindringt, und zwar in einem stetig fließenden Strome von erschreckender Stärke, ist von so zweifelhaftem Gehalt, von solcher Öde und Armseligkeit, und trügt zum großen Teile die Kennzeichen förmlich fabrikmäßiger Herstellung oder doch ausgesprochenster Lohnarbeit so deutlich an sich, daß die Wirkung auf die Gemüter keine andre als eine er¬ schlaffende und verschlechternde sein könnte. Diese Lektüre müßte, wie uns scheint, Psychisch etwa diejenige Wirkung erzielen, die man Physisch den „Kartoffel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/447>, abgerufen am 06.05.2024.