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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Weltlage.

eit ein Neujcchrstcige 1859 Napoleon III. dem österreichischen
Botschafter einen Krieg in Italien in Aussicht stellte, ließ es sich
die zivilisirte Welt in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr¬
hunderts ein Jahrzehnt lang gefallen, daß von der Laune und
dem Willen eines einzigen Mannes das Wohl und Wehe von
Hunderten von Millionen friedliebender Menschen abhängig gemacht wurde.
Und gerade diejenige Nation, welche eifersüchtig auf ihre zivilisatorische Mission
ist und für sich das Verdienst in Anspruch nimmt, den Völkern die Freiheit
und den Unterthanen die Mitbestimmung an den Geschicken der Gesamtheit er¬
rungen zu haben, sie war stolz auf diesen Vorrang in dem Rate der euro¬
päischen Mächte. Furchtbar hat sich an Napoleon und seiner Nation dieses
Prestige, der Welt ihren Willen aufzudrängen, gerächt, und wenn aus der
Geschichte Lehren gezogen werden sollen, so wäre diese ernste Wendung des
Geschickes gewiß geeignet, um Herrscher und Völker vor der Wiederkehr frevel¬
hafter Herausforderung des Schicksals zu warnen.

Wie heute die Machtsphäre der Nationen verteilt ist, so bedarf keine für
ihre Existenz und für die Entwicklung ihrer innern und ünßern Wohlfahrt einer
weiteren Ausdehnung. Nach dem Grundsatze der Nationalität haben sich die
Staaten befestigt, Italien und Deutschland sind geeinigt, England und Rußland
haben eine Machtstellung in zwei Welten errungen, und Österreich-Ungarn hat in
der Mitte Europas den Beruf erhalten, das Gleichgewicht zu vermitteln. Ge¬
biete, welche sich früher von der zivilisirten Welt abgeschlossen haben, beginnen
sich zu öffnen; Mittelasien, Japan und China, der afrikanische Kontinent geben


Grenzboten I. 1887. I


Die Weltlage.

eit ein Neujcchrstcige 1859 Napoleon III. dem österreichischen
Botschafter einen Krieg in Italien in Aussicht stellte, ließ es sich
die zivilisirte Welt in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr¬
hunderts ein Jahrzehnt lang gefallen, daß von der Laune und
dem Willen eines einzigen Mannes das Wohl und Wehe von
Hunderten von Millionen friedliebender Menschen abhängig gemacht wurde.
Und gerade diejenige Nation, welche eifersüchtig auf ihre zivilisatorische Mission
ist und für sich das Verdienst in Anspruch nimmt, den Völkern die Freiheit
und den Unterthanen die Mitbestimmung an den Geschicken der Gesamtheit er¬
rungen zu haben, sie war stolz auf diesen Vorrang in dem Rate der euro¬
päischen Mächte. Furchtbar hat sich an Napoleon und seiner Nation dieses
Prestige, der Welt ihren Willen aufzudrängen, gerächt, und wenn aus der
Geschichte Lehren gezogen werden sollen, so wäre diese ernste Wendung des
Geschickes gewiß geeignet, um Herrscher und Völker vor der Wiederkehr frevel¬
hafter Herausforderung des Schicksals zu warnen.

Wie heute die Machtsphäre der Nationen verteilt ist, so bedarf keine für
ihre Existenz und für die Entwicklung ihrer innern und ünßern Wohlfahrt einer
weiteren Ausdehnung. Nach dem Grundsatze der Nationalität haben sich die
Staaten befestigt, Italien und Deutschland sind geeinigt, England und Rußland
haben eine Machtstellung in zwei Welten errungen, und Österreich-Ungarn hat in
der Mitte Europas den Beruf erhalten, das Gleichgewicht zu vermitteln. Ge¬
biete, welche sich früher von der zivilisirten Welt abgeschlossen haben, beginnen
sich zu öffnen; Mittelasien, Japan und China, der afrikanische Kontinent geben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/9>, abgerufen am 06.05.2024.