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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

Oder im "/"-Takt:



Ein musikalischer Kolumbus seit übrigens -- um nur ein allbekanntes Beispiel
anzuführen -- schon vor fünfzig Jahren das El auf die Spitze gestellt; es ist der
wackere Alcindor-Bijon in Adams reizender Oper "Der Postillon von Lonjumeau,"
Im zweiten Akte singt der zum Künstler gewordene Dorfschmied sein Lob als 1^
uns llour ass elioristos, indem er in mannichfach verändertem Ausdruck der Be¬
tonung seiner Arie die absteigende Tonleiter, bald in Dur, bald in Moll, zu Grunde
legt. Der Anfang der Arie lautet:



Aarl Ljomann.


Unentwegt.

In der neuesten Nummer der Gegenwart (Ur. 27) schreibt
Daniel Sanders an irgend jemand, der Johannes Scherr als den Schöpfer des
"schönen Wortes" unentwegt bezeichnet hatte, einen offnen Brief, worin er nach¬
weist, daß dieses "schöne Wort" schon älter ist. Wie schade! Denn eigentlich ver¬
diente Scherr, der die deutsche Sprache durch eine solche Unmasse von Geschmnck-
losigkeiteu entstellt hat -- d. h. seine deutsche Sprache, denn andre haben ihm ja
das Zeug nicht nachgebraucht --, auch das Wort "unentwegt" erfunden zu habe".
Wie garstig dieses Wort ist, kann man am besten daraus sehen, daß es so schnell
in der Sprache der öffentlichen Beredsamkeit und in der Zeituugssprache Mode
geworden ist, zwei Sprachkrcisen, in denen eine wirklich gute und schöne sprachliche
Neubildung niemals Mode werden würde, immer nur Geschmacklosigkeiten, wie
"voll und ganz," "selbstredend," "fertigstellen," "richtigstellen," "klarlcgen" u. dergl.
Modewörter betrügen uns stets um den eigentlichen Reichtum unsrer Sprache und
verschütten ihn. Seit das dumme "fertigstelle!:" da ist, ist das Wort "vollenden"
zum Tode verurteilt und obendrein der Unterschied zwischen "anfertigen" und
"fertigmachen" vollständig verwischt. Man läßt sich ein paar neue Stiefel fertig¬
stellen, der Mauermeister stellt eine Schleuße fertig, der Schriftsteller einen Roman,
der Bildhauer ein Denkmal. Ebenso, seit das alberne "unentwegt" aufgekommen
ist, weiß niemand mehr etwas von standhaft und beharrlich; sie sind schon
ganz außer Gebrauch. Und nun versuche man es einmal und setze sie an irgend
einer Stelle für unentwegt ein: mau wird sich sofort überzeugen, welcher Unter¬
schied zwischen einem kräftigen, sinnvollen, in seinem Inhalt lebendig zu empfindenden
Worte und einem bloßen tönenden Modewortc ist, bei dem sich niemand etwas
rechtes denkt.

Daniel Sanders giebt seit kurzem eine Zeitschrift für deutsche Sprache heraus,
die wir bei ihrem ersten Erscheinen beifällig begrüßt haben. Hoffentlich empfiehlt
er uns darin uicht uoch andre so "schöne Wörter" wie "unentwegt," sonst kündigen
Wir ihm die Freundschaft.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig,
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Kleinere Mitteilungen.

Oder im «/«-Takt:



Ein musikalischer Kolumbus seit übrigens — um nur ein allbekanntes Beispiel
anzuführen — schon vor fünfzig Jahren das El auf die Spitze gestellt; es ist der
wackere Alcindor-Bijon in Adams reizender Oper „Der Postillon von Lonjumeau,"
Im zweiten Akte singt der zum Künstler gewordene Dorfschmied sein Lob als 1^
uns llour ass elioristos, indem er in mannichfach verändertem Ausdruck der Be¬
tonung seiner Arie die absteigende Tonleiter, bald in Dur, bald in Moll, zu Grunde
legt. Der Anfang der Arie lautet:



Aarl Ljomann.


Unentwegt.

In der neuesten Nummer der Gegenwart (Ur. 27) schreibt
Daniel Sanders an irgend jemand, der Johannes Scherr als den Schöpfer des
„schönen Wortes" unentwegt bezeichnet hatte, einen offnen Brief, worin er nach¬
weist, daß dieses „schöne Wort" schon älter ist. Wie schade! Denn eigentlich ver¬
diente Scherr, der die deutsche Sprache durch eine solche Unmasse von Geschmnck-
losigkeiteu entstellt hat — d. h. seine deutsche Sprache, denn andre haben ihm ja
das Zeug nicht nachgebraucht —, auch das Wort „unentwegt" erfunden zu habe«.
Wie garstig dieses Wort ist, kann man am besten daraus sehen, daß es so schnell
in der Sprache der öffentlichen Beredsamkeit und in der Zeituugssprache Mode
geworden ist, zwei Sprachkrcisen, in denen eine wirklich gute und schöne sprachliche
Neubildung niemals Mode werden würde, immer nur Geschmacklosigkeiten, wie
„voll und ganz," „selbstredend," „fertigstellen," „richtigstellen," „klarlcgen" u. dergl.
Modewörter betrügen uns stets um den eigentlichen Reichtum unsrer Sprache und
verschütten ihn. Seit das dumme „fertigstelle!:" da ist, ist das Wort „vollenden"
zum Tode verurteilt und obendrein der Unterschied zwischen „anfertigen" und
„fertigmachen" vollständig verwischt. Man läßt sich ein paar neue Stiefel fertig¬
stellen, der Mauermeister stellt eine Schleuße fertig, der Schriftsteller einen Roman,
der Bildhauer ein Denkmal. Ebenso, seit das alberne „unentwegt" aufgekommen
ist, weiß niemand mehr etwas von standhaft und beharrlich; sie sind schon
ganz außer Gebrauch. Und nun versuche man es einmal und setze sie an irgend
einer Stelle für unentwegt ein: mau wird sich sofort überzeugen, welcher Unter¬
schied zwischen einem kräftigen, sinnvollen, in seinem Inhalt lebendig zu empfindenden
Worte und einem bloßen tönenden Modewortc ist, bei dem sich niemand etwas
rechtes denkt.

Daniel Sanders giebt seit kurzem eine Zeitschrift für deutsche Sprache heraus,
die wir bei ihrem ersten Erscheinen beifällig begrüßt haben. Hoffentlich empfiehlt
er uns darin uicht uoch andre so „schöne Wörter" wie „unentwegt," sonst kündigen
Wir ihm die Freundschaft.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig,
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0112] Kleinere Mitteilungen. Oder im «/«-Takt: [Abbildung] Ein musikalischer Kolumbus seit übrigens — um nur ein allbekanntes Beispiel anzuführen — schon vor fünfzig Jahren das El auf die Spitze gestellt; es ist der wackere Alcindor-Bijon in Adams reizender Oper „Der Postillon von Lonjumeau," Im zweiten Akte singt der zum Künstler gewordene Dorfschmied sein Lob als 1^ uns llour ass elioristos, indem er in mannichfach verändertem Ausdruck der Be¬ tonung seiner Arie die absteigende Tonleiter, bald in Dur, bald in Moll, zu Grunde legt. Der Anfang der Arie lautet: [Abbildung] Aarl Ljomann. Unentwegt. In der neuesten Nummer der Gegenwart (Ur. 27) schreibt Daniel Sanders an irgend jemand, der Johannes Scherr als den Schöpfer des „schönen Wortes" unentwegt bezeichnet hatte, einen offnen Brief, worin er nach¬ weist, daß dieses „schöne Wort" schon älter ist. Wie schade! Denn eigentlich ver¬ diente Scherr, der die deutsche Sprache durch eine solche Unmasse von Geschmnck- losigkeiteu entstellt hat — d. h. seine deutsche Sprache, denn andre haben ihm ja das Zeug nicht nachgebraucht —, auch das Wort „unentwegt" erfunden zu habe«. Wie garstig dieses Wort ist, kann man am besten daraus sehen, daß es so schnell in der Sprache der öffentlichen Beredsamkeit und in der Zeituugssprache Mode geworden ist, zwei Sprachkrcisen, in denen eine wirklich gute und schöne sprachliche Neubildung niemals Mode werden würde, immer nur Geschmacklosigkeiten, wie „voll und ganz," „selbstredend," „fertigstellen," „richtigstellen," „klarlcgen" u. dergl. Modewörter betrügen uns stets um den eigentlichen Reichtum unsrer Sprache und verschütten ihn. Seit das dumme „fertigstelle!:" da ist, ist das Wort „vollenden" zum Tode verurteilt und obendrein der Unterschied zwischen „anfertigen" und „fertigmachen" vollständig verwischt. Man läßt sich ein paar neue Stiefel fertig¬ stellen, der Mauermeister stellt eine Schleuße fertig, der Schriftsteller einen Roman, der Bildhauer ein Denkmal. Ebenso, seit das alberne „unentwegt" aufgekommen ist, weiß niemand mehr etwas von standhaft und beharrlich; sie sind schon ganz außer Gebrauch. Und nun versuche man es einmal und setze sie an irgend einer Stelle für unentwegt ein: mau wird sich sofort überzeugen, welcher Unter¬ schied zwischen einem kräftigen, sinnvollen, in seinem Inhalt lebendig zu empfindenden Worte und einem bloßen tönenden Modewortc ist, bei dem sich niemand etwas rechtes denkt. Daniel Sanders giebt seit kurzem eine Zeitschrift für deutsche Sprache heraus, die wir bei ihrem ersten Erscheinen beifällig begrüßt haben. Hoffentlich empfiehlt er uns darin uicht uoch andre so „schöne Wörter" wie „unentwegt," sonst kündigen Wir ihm die Freundschaft. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig, Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/112>, abgerufen am 28.04.2024.