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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
ZVie man von Tieren lernen kann.

on Tieren lernen? Ja doch, ja, und nicht bloß von den klugen
Ameisen und Bienen, was uns in der Schule nahe gelegt wurde,
auch von dummen Tieren, wie Gänse, Hühner, Ziegen.

1. Fürs Empfindungsleben.

Ich stieg einmal in einem thüringischen Badeorte eine Berglehne hinan
nach einer Aussichtshöhc, die einen weiten Blick ins Land bietet. Vor der
Hand war außer waldigen Anhöhen und Felsstücken gegenüber nicht viel
zu sehen, von Leben aber, nach dem man sich doch auch da immer umsieht,
nichts weiter als eine Gruppe Ziegen und Gänse, die unten im Wiesengrunde
spielten und weideten. Diese zogen also das Auge auf sich, sie wurden mir
von selber zur Seele des bescheidenen Landschaftsbildes, wie ja jede Land¬
schaft als Bild eine braucht, gaben aber auf einmal auch, bloß Ziegen und
Gänse, den Gedanken eine angenehme Richtung und Nahrung, eben mit
ihrer Seele, Ziegen- und Gänseseele. Die übersehende Höhe und halbe Ferne,
die uns an den Dingen auch ihr Allgemeines, ihre innere Bedeutung leichter
ersehen läßt, zeigte mir auf einmal das Treiben der Tiere wie von ihrem
Innern heraus, ohne daß ichs gesucht hätte, es kam mir ganz von selber.
Veranlaßt war es mit dadurch, daß ich die Tage daher mich viel in Goethes
Art zu denken bewegt hatte, anch sein tieftreffendes Wort vom Pflanzenstengel,
der "rund oder von innen heraus für rund zu achten ist" (33, 105 Hempel)
hatte mich wieder einmal beschäftigt, es hat mir etwas eigentümlich Wohl¬
thuendes, Lebenanrcgendcs nach angestrengter Kopfarbeit.

Was sah man an den Tieren von ihrem Innern? Ihr ganzes Verhalten
drückte Behagen aus, floß aus innerstem Selbstbchagcn, man sah sie mitten
im vollsten Daseinsglück lebend und webend; sie waren mitten in ihrem Werden,
von dem sie nichts wissen, zugleich doch schon im vollsten Sein. Warum be¬
wegen sie sich, verlassen also die behagliche Ruhe? um zu fressen, d. h. um
dies Behagen zu erhalten, wie man zum Feuer Holz miegt, um es zu erhalten,
oder auch, wie die Ziegen, um zwecklos zu spielen, d. h. das Behagen quillt
über, sein Überschuß setzt sich vou selber in Bewegung um, die aber ihren Zweck
wieder nur in sich oder in ihnen selber hat, die innere Ruhe also nicht auf¬
hebt. Sie sind ganz in sich und in sich ganz, unbekümmert um das Äußere,
aus dem sie sich mir sorglos nehmen, was sie in diesem Ganz-in-sich erhalten soll.


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
ZVie man von Tieren lernen kann.

on Tieren lernen? Ja doch, ja, und nicht bloß von den klugen
Ameisen und Bienen, was uns in der Schule nahe gelegt wurde,
auch von dummen Tieren, wie Gänse, Hühner, Ziegen.

1. Fürs Empfindungsleben.

Ich stieg einmal in einem thüringischen Badeorte eine Berglehne hinan
nach einer Aussichtshöhc, die einen weiten Blick ins Land bietet. Vor der
Hand war außer waldigen Anhöhen und Felsstücken gegenüber nicht viel
zu sehen, von Leben aber, nach dem man sich doch auch da immer umsieht,
nichts weiter als eine Gruppe Ziegen und Gänse, die unten im Wiesengrunde
spielten und weideten. Diese zogen also das Auge auf sich, sie wurden mir
von selber zur Seele des bescheidenen Landschaftsbildes, wie ja jede Land¬
schaft als Bild eine braucht, gaben aber auf einmal auch, bloß Ziegen und
Gänse, den Gedanken eine angenehme Richtung und Nahrung, eben mit
ihrer Seele, Ziegen- und Gänseseele. Die übersehende Höhe und halbe Ferne,
die uns an den Dingen auch ihr Allgemeines, ihre innere Bedeutung leichter
ersehen läßt, zeigte mir auf einmal das Treiben der Tiere wie von ihrem
Innern heraus, ohne daß ichs gesucht hätte, es kam mir ganz von selber.
Veranlaßt war es mit dadurch, daß ich die Tage daher mich viel in Goethes
Art zu denken bewegt hatte, anch sein tieftreffendes Wort vom Pflanzenstengel,
der „rund oder von innen heraus für rund zu achten ist" (33, 105 Hempel)
hatte mich wieder einmal beschäftigt, es hat mir etwas eigentümlich Wohl¬
thuendes, Lebenanrcgendcs nach angestrengter Kopfarbeit.

Was sah man an den Tieren von ihrem Innern? Ihr ganzes Verhalten
drückte Behagen aus, floß aus innerstem Selbstbchagcn, man sah sie mitten
im vollsten Daseinsglück lebend und webend; sie waren mitten in ihrem Werden,
von dem sie nichts wissen, zugleich doch schon im vollsten Sein. Warum be¬
wegen sie sich, verlassen also die behagliche Ruhe? um zu fressen, d. h. um
dies Behagen zu erhalten, wie man zum Feuer Holz miegt, um es zu erhalten,
oder auch, wie die Ziegen, um zwecklos zu spielen, d. h. das Behagen quillt
über, sein Überschuß setzt sich vou selber in Bewegung um, die aber ihren Zweck
wieder nur in sich oder in ihnen selber hat, die innere Ruhe also nicht auf¬
hebt. Sie sind ganz in sich und in sich ganz, unbekümmert um das Äußere,
aus dem sie sich mir sorglos nehmen, was sie in diesem Ganz-in-sich erhalten soll.


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[0034] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. ZVie man von Tieren lernen kann. on Tieren lernen? Ja doch, ja, und nicht bloß von den klugen Ameisen und Bienen, was uns in der Schule nahe gelegt wurde, auch von dummen Tieren, wie Gänse, Hühner, Ziegen. 1. Fürs Empfindungsleben. Ich stieg einmal in einem thüringischen Badeorte eine Berglehne hinan nach einer Aussichtshöhc, die einen weiten Blick ins Land bietet. Vor der Hand war außer waldigen Anhöhen und Felsstücken gegenüber nicht viel zu sehen, von Leben aber, nach dem man sich doch auch da immer umsieht, nichts weiter als eine Gruppe Ziegen und Gänse, die unten im Wiesengrunde spielten und weideten. Diese zogen also das Auge auf sich, sie wurden mir von selber zur Seele des bescheidenen Landschaftsbildes, wie ja jede Land¬ schaft als Bild eine braucht, gaben aber auf einmal auch, bloß Ziegen und Gänse, den Gedanken eine angenehme Richtung und Nahrung, eben mit ihrer Seele, Ziegen- und Gänseseele. Die übersehende Höhe und halbe Ferne, die uns an den Dingen auch ihr Allgemeines, ihre innere Bedeutung leichter ersehen läßt, zeigte mir auf einmal das Treiben der Tiere wie von ihrem Innern heraus, ohne daß ichs gesucht hätte, es kam mir ganz von selber. Veranlaßt war es mit dadurch, daß ich die Tage daher mich viel in Goethes Art zu denken bewegt hatte, anch sein tieftreffendes Wort vom Pflanzenstengel, der „rund oder von innen heraus für rund zu achten ist" (33, 105 Hempel) hatte mich wieder einmal beschäftigt, es hat mir etwas eigentümlich Wohl¬ thuendes, Lebenanrcgendcs nach angestrengter Kopfarbeit. Was sah man an den Tieren von ihrem Innern? Ihr ganzes Verhalten drückte Behagen aus, floß aus innerstem Selbstbchagcn, man sah sie mitten im vollsten Daseinsglück lebend und webend; sie waren mitten in ihrem Werden, von dem sie nichts wissen, zugleich doch schon im vollsten Sein. Warum be¬ wegen sie sich, verlassen also die behagliche Ruhe? um zu fressen, d. h. um dies Behagen zu erhalten, wie man zum Feuer Holz miegt, um es zu erhalten, oder auch, wie die Ziegen, um zwecklos zu spielen, d. h. das Behagen quillt über, sein Überschuß setzt sich vou selber in Bewegung um, die aber ihren Zweck wieder nur in sich oder in ihnen selber hat, die innere Ruhe also nicht auf¬ hebt. Sie sind ganz in sich und in sich ganz, unbekümmert um das Äußere, aus dem sie sich mir sorglos nehmen, was sie in diesem Ganz-in-sich erhalten soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/34>, abgerufen am 28.04.2024.