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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die soziale Frage im Reichslande.

kastilische Freundschaft zu geben ist. Die Herrschaft im Mittelmeere wird ihnen
nicht leicht zufallen. Dafür wird England zu sorgen haben und seinerzeit mit
Verbündeten nach Kräften sorgen. Schließlich holen wir für niemanden die Kasta¬
nien aus dem Feuer, sondern verfolgen unser eignes Interesse, d. h. die Erhal¬
tung des Friedens, wie ihn das Bündnis mit Österreich und Italien verbürgt.




Die soziale Frage im Reichslande.
2.

in Wohnungsfrage ist jetzt in diesem großen industriellen Zentrum
gelöst, erklärt Charles Grad in seinen Muäos 8wei8lion"Z8 sur
l'mdustriö ä'^.l8g,vo (II, S. 284) von Mülhausen, und er denkt
dabei vorzüglich an dessen (uno vo.vrivrs, deren Häuschen das Ideal
der Arbeiterwohnung verwirklichen sollten, und mit welcher der
Berein von Fabrikanten, der sie baute, nicht bloß den Zweck, der herrschenden
Wohnungsnot abzuhelfen, sondern den höheren Gedanken im Auge hatte, den
besitzlosen Proletarier zum Hauseigentümer zu machen. Herkner weist aber
durch eine ausführliche Geschichte und Schilderung der Arbeiterstadt nach, daß
diese Absichten nur in sehr wenig befriedigenden Maße erreicht worden sind.
Die Cite bot eine gewisse Anzahl neuer Wohnungen, rief aber auch eine starke
Einwanderung vom Lande hervor und war nur für solche Arbeiter eine Hilfe, die
von vornherein nicht ohne Mittel waren. Wollte ein Arbeiter eins dieser Miniatur¬
häuser erwerben, so hatte er 300 Franks, den zehnten Teil des Wertes, an¬
zuzahlen und den Rest in monatlichen Raten von 25 Franks zu tilgen. Nur
sehr gut bezahlte Leute vermochten das letztere durch Ersparnis von ihrem
Lohne zu bewerkstelligen, andre halfen sich dadurch, daß sie einen großen Teil
ihrer nur für eine Familie berechneten Räume vermieteten. Die ursprüngliche
Natur dieser Cottages wurde dadurch vollkommen verändert, sie, deren Zeichnung
Auge und Herz erfreut hatten, verwandelten sich in überfüllte, häßliche Zinshäuser,
in denen häufig drei Parteien zusammengepfercht waren, und die allerhand
Hinzugebautes, erweiterte Mansarden, aufgesetzte Stockwerke u. a., entstellten.
Bei einer der letzten Volkszählungen ergab sich, daß ein solches "Sittehüsel"
durchschnittlich 10 Personen beherbergte, ja in einem derselben waren deren 20,
in einem andern gar 28 zusammengedrängt. Diese Umwandlung hat in großer
AusdeHnuug stattgefunden; denn allein von den nordwestlich vom Asyldurchgange


Die soziale Frage im Reichslande.

kastilische Freundschaft zu geben ist. Die Herrschaft im Mittelmeere wird ihnen
nicht leicht zufallen. Dafür wird England zu sorgen haben und seinerzeit mit
Verbündeten nach Kräften sorgen. Schließlich holen wir für niemanden die Kasta¬
nien aus dem Feuer, sondern verfolgen unser eignes Interesse, d. h. die Erhal¬
tung des Friedens, wie ihn das Bündnis mit Österreich und Italien verbürgt.




Die soziale Frage im Reichslande.
2.

in Wohnungsfrage ist jetzt in diesem großen industriellen Zentrum
gelöst, erklärt Charles Grad in seinen Muäos 8wei8lion«Z8 sur
l'mdustriö ä'^.l8g,vo (II, S. 284) von Mülhausen, und er denkt
dabei vorzüglich an dessen (uno vo.vrivrs, deren Häuschen das Ideal
der Arbeiterwohnung verwirklichen sollten, und mit welcher der
Berein von Fabrikanten, der sie baute, nicht bloß den Zweck, der herrschenden
Wohnungsnot abzuhelfen, sondern den höheren Gedanken im Auge hatte, den
besitzlosen Proletarier zum Hauseigentümer zu machen. Herkner weist aber
durch eine ausführliche Geschichte und Schilderung der Arbeiterstadt nach, daß
diese Absichten nur in sehr wenig befriedigenden Maße erreicht worden sind.
Die Cite bot eine gewisse Anzahl neuer Wohnungen, rief aber auch eine starke
Einwanderung vom Lande hervor und war nur für solche Arbeiter eine Hilfe, die
von vornherein nicht ohne Mittel waren. Wollte ein Arbeiter eins dieser Miniatur¬
häuser erwerben, so hatte er 300 Franks, den zehnten Teil des Wertes, an¬
zuzahlen und den Rest in monatlichen Raten von 25 Franks zu tilgen. Nur
sehr gut bezahlte Leute vermochten das letztere durch Ersparnis von ihrem
Lohne zu bewerkstelligen, andre halfen sich dadurch, daß sie einen großen Teil
ihrer nur für eine Familie berechneten Räume vermieteten. Die ursprüngliche
Natur dieser Cottages wurde dadurch vollkommen verändert, sie, deren Zeichnung
Auge und Herz erfreut hatten, verwandelten sich in überfüllte, häßliche Zinshäuser,
in denen häufig drei Parteien zusammengepfercht waren, und die allerhand
Hinzugebautes, erweiterte Mansarden, aufgesetzte Stockwerke u. a., entstellten.
Bei einer der letzten Volkszählungen ergab sich, daß ein solches „Sittehüsel"
durchschnittlich 10 Personen beherbergte, ja in einem derselben waren deren 20,
in einem andern gar 28 zusammengedrängt. Diese Umwandlung hat in großer
AusdeHnuug stattgefunden; denn allein von den nordwestlich vom Asyldurchgange


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[0166] Die soziale Frage im Reichslande. kastilische Freundschaft zu geben ist. Die Herrschaft im Mittelmeere wird ihnen nicht leicht zufallen. Dafür wird England zu sorgen haben und seinerzeit mit Verbündeten nach Kräften sorgen. Schließlich holen wir für niemanden die Kasta¬ nien aus dem Feuer, sondern verfolgen unser eignes Interesse, d. h. die Erhal¬ tung des Friedens, wie ihn das Bündnis mit Österreich und Italien verbürgt. Die soziale Frage im Reichslande. 2. in Wohnungsfrage ist jetzt in diesem großen industriellen Zentrum gelöst, erklärt Charles Grad in seinen Muäos 8wei8lion«Z8 sur l'mdustriö ä'^.l8g,vo (II, S. 284) von Mülhausen, und er denkt dabei vorzüglich an dessen (uno vo.vrivrs, deren Häuschen das Ideal der Arbeiterwohnung verwirklichen sollten, und mit welcher der Berein von Fabrikanten, der sie baute, nicht bloß den Zweck, der herrschenden Wohnungsnot abzuhelfen, sondern den höheren Gedanken im Auge hatte, den besitzlosen Proletarier zum Hauseigentümer zu machen. Herkner weist aber durch eine ausführliche Geschichte und Schilderung der Arbeiterstadt nach, daß diese Absichten nur in sehr wenig befriedigenden Maße erreicht worden sind. Die Cite bot eine gewisse Anzahl neuer Wohnungen, rief aber auch eine starke Einwanderung vom Lande hervor und war nur für solche Arbeiter eine Hilfe, die von vornherein nicht ohne Mittel waren. Wollte ein Arbeiter eins dieser Miniatur¬ häuser erwerben, so hatte er 300 Franks, den zehnten Teil des Wertes, an¬ zuzahlen und den Rest in monatlichen Raten von 25 Franks zu tilgen. Nur sehr gut bezahlte Leute vermochten das letztere durch Ersparnis von ihrem Lohne zu bewerkstelligen, andre halfen sich dadurch, daß sie einen großen Teil ihrer nur für eine Familie berechneten Räume vermieteten. Die ursprüngliche Natur dieser Cottages wurde dadurch vollkommen verändert, sie, deren Zeichnung Auge und Herz erfreut hatten, verwandelten sich in überfüllte, häßliche Zinshäuser, in denen häufig drei Parteien zusammengepfercht waren, und die allerhand Hinzugebautes, erweiterte Mansarden, aufgesetzte Stockwerke u. a., entstellten. Bei einer der letzten Volkszählungen ergab sich, daß ein solches „Sittehüsel" durchschnittlich 10 Personen beherbergte, ja in einem derselben waren deren 20, in einem andern gar 28 zusammengedrängt. Diese Umwandlung hat in großer AusdeHnuug stattgefunden; denn allein von den nordwestlich vom Asyldurchgange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/166>, abgerufen am 01.05.2024.