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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Pfalzgraf wird auf die Bühne gebracht. Als er zu sich gekommen ist, bewirkt die
Mitteilung seiner Rettung eine so mächtige Wandlung in ihm, daß er nun
allem Haß entsagt und der bisher verhaßten Ehe seines Kindes herzlich zustimmt.
Menschlich wahr mag so ein Umschlag im Charakter sein; ein neues Leben,
sagt man ja, beginne für denjenigen, der dem Tode entronnen sei. Aber dra¬
matisch verwertbar will uns solch ein Umschlag nicht erscheinen, denn im Drama
ist es gerade die Stetigkeit in der Entfaltung eines Charakters, die gefordert
wird, jede Plötzlichkeit erkältet uns. Noch mehr wird dies fühlbar bei dem
nicht minder plötzlichen Umschlag des Kaiser Heinrich, der sich jener Ehe
gleichfalls feindlich gegenübergestellt hatte und auf diese Nachricht der wunder¬
baren Rettung Conrads ohne Vermittlung all seinen bisherigen Haß fahren
läßt. So kommt es, daß der Schluß derselben Dichtung konventionell wird,
welche einen ersten Akt von einer hinreißenden dramatischen Kraft enthält, wie sie
Martin Greif nur noch in der großen Neichsratsscene seines "Corfiz Ulfeld"
und in der großartigen Exposition seines eifersüchtigen Dogen "Marino Falieri"
offenbart hat.


Moritz Necker.


Mit der Diogeneslaterne.
Albert Gehrke. satirische Streifzüge von


2. Im Gefolge der Musen.



.Moderne Literatur.
rglos sang sonst der Poet zur Laute,
Mas der Gott im Busen ihm vertraute.
Was in Lust und Leid das Herz durchbebte,
Gab den Faden, der die Dichtung webte.
Aber heute? Line trübe Masse
wissensqnalm steigt brodelnd zum Paruasse.
Mit Gedankenballast überladen
Seufzt die Lyrik Schoxenhaueriaden;
Der Roman, von Memphis her bezogen,
Ist Domäne der Archäologen;
will der Dramenheld nicht ennuyiren,
Muß er pathologisch interessiren.
Himmel, hilft Ls giebt hier keine Rettung --
Dichtkunst stirbt noch an Rulturverfettung!

Pfalzgraf wird auf die Bühne gebracht. Als er zu sich gekommen ist, bewirkt die
Mitteilung seiner Rettung eine so mächtige Wandlung in ihm, daß er nun
allem Haß entsagt und der bisher verhaßten Ehe seines Kindes herzlich zustimmt.
Menschlich wahr mag so ein Umschlag im Charakter sein; ein neues Leben,
sagt man ja, beginne für denjenigen, der dem Tode entronnen sei. Aber dra¬
matisch verwertbar will uns solch ein Umschlag nicht erscheinen, denn im Drama
ist es gerade die Stetigkeit in der Entfaltung eines Charakters, die gefordert
wird, jede Plötzlichkeit erkältet uns. Noch mehr wird dies fühlbar bei dem
nicht minder plötzlichen Umschlag des Kaiser Heinrich, der sich jener Ehe
gleichfalls feindlich gegenübergestellt hatte und auf diese Nachricht der wunder¬
baren Rettung Conrads ohne Vermittlung all seinen bisherigen Haß fahren
läßt. So kommt es, daß der Schluß derselben Dichtung konventionell wird,
welche einen ersten Akt von einer hinreißenden dramatischen Kraft enthält, wie sie
Martin Greif nur noch in der großen Neichsratsscene seines „Corfiz Ulfeld"
und in der großartigen Exposition seines eifersüchtigen Dogen „Marino Falieri"
offenbart hat.


Moritz Necker.


Mit der Diogeneslaterne.
Albert Gehrke. satirische Streifzüge von


2. Im Gefolge der Musen.



.Moderne Literatur.
rglos sang sonst der Poet zur Laute,
Mas der Gott im Busen ihm vertraute.
Was in Lust und Leid das Herz durchbebte,
Gab den Faden, der die Dichtung webte.
Aber heute? Line trübe Masse
wissensqnalm steigt brodelnd zum Paruasse.
Mit Gedankenballast überladen
Seufzt die Lyrik Schoxenhaueriaden;
Der Roman, von Memphis her bezogen,
Ist Domäne der Archäologen;
will der Dramenheld nicht ennuyiren,
Muß er pathologisch interessiren.
Himmel, hilft Ls giebt hier keine Rettung —
Dichtkunst stirbt noch an Rulturverfettung!

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[0286] Pfalzgraf wird auf die Bühne gebracht. Als er zu sich gekommen ist, bewirkt die Mitteilung seiner Rettung eine so mächtige Wandlung in ihm, daß er nun allem Haß entsagt und der bisher verhaßten Ehe seines Kindes herzlich zustimmt. Menschlich wahr mag so ein Umschlag im Charakter sein; ein neues Leben, sagt man ja, beginne für denjenigen, der dem Tode entronnen sei. Aber dra¬ matisch verwertbar will uns solch ein Umschlag nicht erscheinen, denn im Drama ist es gerade die Stetigkeit in der Entfaltung eines Charakters, die gefordert wird, jede Plötzlichkeit erkältet uns. Noch mehr wird dies fühlbar bei dem nicht minder plötzlichen Umschlag des Kaiser Heinrich, der sich jener Ehe gleichfalls feindlich gegenübergestellt hatte und auf diese Nachricht der wunder¬ baren Rettung Conrads ohne Vermittlung all seinen bisherigen Haß fahren läßt. So kommt es, daß der Schluß derselben Dichtung konventionell wird, welche einen ersten Akt von einer hinreißenden dramatischen Kraft enthält, wie sie Martin Greif nur noch in der großen Neichsratsscene seines „Corfiz Ulfeld" und in der großartigen Exposition seines eifersüchtigen Dogen „Marino Falieri" offenbart hat. Moritz Necker. Mit der Diogeneslaterne. Albert Gehrke. satirische Streifzüge von 2. Im Gefolge der Musen. .Moderne Literatur. rglos sang sonst der Poet zur Laute, Mas der Gott im Busen ihm vertraute. Was in Lust und Leid das Herz durchbebte, Gab den Faden, der die Dichtung webte. Aber heute? Line trübe Masse wissensqnalm steigt brodelnd zum Paruasse. Mit Gedankenballast überladen Seufzt die Lyrik Schoxenhaueriaden; Der Roman, von Memphis her bezogen, Ist Domäne der Archäologen; will der Dramenheld nicht ennuyiren, Muß er pathologisch interessiren. Himmel, hilft Ls giebt hier keine Rettung — Dichtkunst stirbt noch an Rulturverfettung!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/286>, abgerufen am 01.05.2024.