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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Hegel in seinen Briefen.

glaube", versicherte jedoch, daß er, wie es einem Doktor der Theologie Augs¬
burgischer Konfession gezieme, niemals gegen diese Lehrsätze vor dem Volke,
weder im Predigen noch Katechisiren, direkt gelehrt habe, folglich auch nie von
den eigentlichen Verpflichtungen eines protestantischen Lehrers abgewichen sei,
sondern allezeit "mit Klugheit und Vorsicht" die Gesetze des Staates mit der
Gewissensfreiheit zu vereinigen gesucht habe. Er könne aber unmöglich der
Kirche das Recht zugestehen, ihm aus den Sätzen der Schrift künstlich gefolgerte
Lehren und Begriffe aufzudringen, könne sich unmöglich sein gut protestan¬
tisches Recht, alles zu prüfen und nur das zu behalten, wovon er sich aus
Gottes Wort überzeugt fühle, verkümmern lassen. Sein Glaubensbekenntnis
-- so schloß er -- sei das eines sehr großen und ansehnlichen Teiles der
deutschen Nation; tausend und aber tausend dächten so wie er, nur daß ihnen
Gelegenheit oder Freimütigkeit fehle, es laut zu sagen, tausend und aber tausend
flehten mit ihm um die Rechte der Menschheit und des Gewissens.

(Schluß folgt.)




Hegel in seinen Briefen.
von Aarl Borinski.

och einmal, über ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode, tritt
der damals berühmteste und einflußreichste der Philosophen aller
Zeiten und Völker lebendig vor eine weitere Öffentlichkeit.") Und
wie einen Lebenden begrüßt ihn die Tagespresse bis in ihre
dunkelsten Proviuzialwinkel hinein. Ist das wirklich nur die
Wirkung der Pietät, welche auch die flache Alltäglichkeit dem Bedeutenden, dem
Hervorragenden wenigstens äußerlich schuldet? Man pflegt es sonst leider in
Deutschland damit nicht allzu gemalt zu nehmen; statt aller sich ungesucht auf¬
drängenden Vergleiche verfolge man nur den nächstliegenden, wie sich in ähn¬
lichem Falle das große Publikum etwa gegen Kant verhalten würde. Oder welchen
Eindruck hat es gemacht, als vor noch gar nicht zu lauger Zeit, noch ganz
nahe der frischen Erinnerung von seinem Ableben, das Lebensbild von .Hegels
großem Landsmanne und Gegenfüßler, von Schelling, in Briefen vor die Öffent¬
lichkeit trat? Man achtet beider nicht mehr viel, das ist richtig, und die beiden



*) Briefe von und an Hegel. Herausgegeben von Karl Hegel. In zwei Teilen.
Leipzig, Duncker und Humblot, 1887.
Grenzboten IV. 1887. 4
Hegel in seinen Briefen.

glaube», versicherte jedoch, daß er, wie es einem Doktor der Theologie Augs¬
burgischer Konfession gezieme, niemals gegen diese Lehrsätze vor dem Volke,
weder im Predigen noch Katechisiren, direkt gelehrt habe, folglich auch nie von
den eigentlichen Verpflichtungen eines protestantischen Lehrers abgewichen sei,
sondern allezeit „mit Klugheit und Vorsicht" die Gesetze des Staates mit der
Gewissensfreiheit zu vereinigen gesucht habe. Er könne aber unmöglich der
Kirche das Recht zugestehen, ihm aus den Sätzen der Schrift künstlich gefolgerte
Lehren und Begriffe aufzudringen, könne sich unmöglich sein gut protestan¬
tisches Recht, alles zu prüfen und nur das zu behalten, wovon er sich aus
Gottes Wort überzeugt fühle, verkümmern lassen. Sein Glaubensbekenntnis
— so schloß er — sei das eines sehr großen und ansehnlichen Teiles der
deutschen Nation; tausend und aber tausend dächten so wie er, nur daß ihnen
Gelegenheit oder Freimütigkeit fehle, es laut zu sagen, tausend und aber tausend
flehten mit ihm um die Rechte der Menschheit und des Gewissens.

(Schluß folgt.)




Hegel in seinen Briefen.
von Aarl Borinski.

och einmal, über ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode, tritt
der damals berühmteste und einflußreichste der Philosophen aller
Zeiten und Völker lebendig vor eine weitere Öffentlichkeit.") Und
wie einen Lebenden begrüßt ihn die Tagespresse bis in ihre
dunkelsten Proviuzialwinkel hinein. Ist das wirklich nur die
Wirkung der Pietät, welche auch die flache Alltäglichkeit dem Bedeutenden, dem
Hervorragenden wenigstens äußerlich schuldet? Man pflegt es sonst leider in
Deutschland damit nicht allzu gemalt zu nehmen; statt aller sich ungesucht auf¬
drängenden Vergleiche verfolge man nur den nächstliegenden, wie sich in ähn¬
lichem Falle das große Publikum etwa gegen Kant verhalten würde. Oder welchen
Eindruck hat es gemacht, als vor noch gar nicht zu lauger Zeit, noch ganz
nahe der frischen Erinnerung von seinem Ableben, das Lebensbild von .Hegels
großem Landsmanne und Gegenfüßler, von Schelling, in Briefen vor die Öffent¬
lichkeit trat? Man achtet beider nicht mehr viel, das ist richtig, und die beiden



*) Briefe von und an Hegel. Herausgegeben von Karl Hegel. In zwei Teilen.
Leipzig, Duncker und Humblot, 1887.
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[0033] Hegel in seinen Briefen. glaube», versicherte jedoch, daß er, wie es einem Doktor der Theologie Augs¬ burgischer Konfession gezieme, niemals gegen diese Lehrsätze vor dem Volke, weder im Predigen noch Katechisiren, direkt gelehrt habe, folglich auch nie von den eigentlichen Verpflichtungen eines protestantischen Lehrers abgewichen sei, sondern allezeit „mit Klugheit und Vorsicht" die Gesetze des Staates mit der Gewissensfreiheit zu vereinigen gesucht habe. Er könne aber unmöglich der Kirche das Recht zugestehen, ihm aus den Sätzen der Schrift künstlich gefolgerte Lehren und Begriffe aufzudringen, könne sich unmöglich sein gut protestan¬ tisches Recht, alles zu prüfen und nur das zu behalten, wovon er sich aus Gottes Wort überzeugt fühle, verkümmern lassen. Sein Glaubensbekenntnis — so schloß er — sei das eines sehr großen und ansehnlichen Teiles der deutschen Nation; tausend und aber tausend dächten so wie er, nur daß ihnen Gelegenheit oder Freimütigkeit fehle, es laut zu sagen, tausend und aber tausend flehten mit ihm um die Rechte der Menschheit und des Gewissens. (Schluß folgt.) Hegel in seinen Briefen. von Aarl Borinski. och einmal, über ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode, tritt der damals berühmteste und einflußreichste der Philosophen aller Zeiten und Völker lebendig vor eine weitere Öffentlichkeit.") Und wie einen Lebenden begrüßt ihn die Tagespresse bis in ihre dunkelsten Proviuzialwinkel hinein. Ist das wirklich nur die Wirkung der Pietät, welche auch die flache Alltäglichkeit dem Bedeutenden, dem Hervorragenden wenigstens äußerlich schuldet? Man pflegt es sonst leider in Deutschland damit nicht allzu gemalt zu nehmen; statt aller sich ungesucht auf¬ drängenden Vergleiche verfolge man nur den nächstliegenden, wie sich in ähn¬ lichem Falle das große Publikum etwa gegen Kant verhalten würde. Oder welchen Eindruck hat es gemacht, als vor noch gar nicht zu lauger Zeit, noch ganz nahe der frischen Erinnerung von seinem Ableben, das Lebensbild von .Hegels großem Landsmanne und Gegenfüßler, von Schelling, in Briefen vor die Öffent¬ lichkeit trat? Man achtet beider nicht mehr viel, das ist richtig, und die beiden *) Briefe von und an Hegel. Herausgegeben von Karl Hegel. In zwei Teilen. Leipzig, Duncker und Humblot, 1887. Grenzboten IV. 1887. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/33>, abgerufen am 01.05.2024.