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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Literatur.

errichtet, hatte er noch für uns die besondre Anziehung, daß er von unserm
Kronprinzen bei seinem Besuch, den er nach Eröffnung des Suezkanals machte,
bewohnt worden war. Die von außen wie Marmor glänzende Fassade erwies
sich freilich als täuschender Stuck, deswegen aber nicht als minder schwungvoll
und anmutig. Die innere Konstruktion weicht vollständig von unsern Bauten
ab. Große Treppenhäuser enden in den verschiedenen Flügeln und Stockwerken
des Palastes ohne jede Thürverbindung in einen großen Saal. Das Treppen¬
haus liegt nicht wie bei uns außerhalb der Wohnräume, sondern innerhalb
derselben, dergestalt, daß sich die Treppe nach zwei Seiten abzweigt, von denen
die eine Seite in das Selamlik, die andre in das Haremlik führt. Die Aus¬
stattung zeigt reichen maurischen Stil mit bunten, in allen Farben schillernden
Gobelins, Tapeten und Möbeln; aber der schönste Schmuck sind die Fenster,
welche in den einzelnen Zimmern mit einem immer wieder neuen Blick auf den
Bosporus und die europäische Seite abschließen und dadurch mehr als
genügend die fehlenden Gemälde ersetzen. In dem Prachtsaal, welcher zu den
Haremszimmern führt, befand sich in der Mitte ein ungeheures Marmorbassin
mit Fontänen und Sitzen -- ein Anblick, der einer lebhaften Phantasie allerlei
Märchen vorgaukeln konnte, welche hier besser unerwähnt bleiben. Jetzt ist
Freude und Lachen aus dem Palast gewichen, die Möbel verstanden, Spinn¬
weben nisten sich ein, und wie alles andre, birgt auch hier der äußere Glanz
den innern Verfall. Die Stimmung, in die uns der Anblick versetzte, unter¬
stützte noch ein Leichenzug, dem wir bei unserm Ausgange begegneten: ein schmuck¬
loser Sarg eines Knaben, mehr noch eine Kiste zu nennen, auf welcher sich
ein kleiner Fez befand, wurde von Männern getragen, denen andre unter Ab¬
singung des eintönigen Glaubensbekenntnisses nachfolgten.

(Schluß folgt.)




Literatur"
Die deutsche Literatur in römischer Beleuchtung. Von Dr. Richard Weitbrecht,
evangelischem Pfarrer in Mähringen bei Ulm. Barmer, Hugo Klein.

Diese kleine Schrift ist der erweiterte Abdruck einer Abhandlung aus den
"Deutsch-evangelischen Blättern." Ihr Gegenstand ist zeitgemäß genug, der Ver¬
fasser bespricht die planmäßige Verunglimpfung unsrer Literatur durch katholische
oder vielmehr jesuitische Literarhistoriker und Kritiker, welche seit ein Paar Jahr¬
zehnten, namentlich aber seit etwa zehn Jahren im Gange ist. Den Zweck der
ganzen ultramontanen Polemik gegen die letzten drei Jahrhunderte der deutschen
Literatur faßt Weitbrecht sehr richtig in den Satz zusammen: "Der katholische Teil
des deutschen Volkes soll von der gemeinsamen Bildung mit dem evangelischen
Teile ausgeschlossen, er soll auf eine niedrige Bildungsstufe herabgedrückt werden."
Aus der schon unübersehbaren Masse von Beispielen greift der Verfasser dann eine


Literatur.

errichtet, hatte er noch für uns die besondre Anziehung, daß er von unserm
Kronprinzen bei seinem Besuch, den er nach Eröffnung des Suezkanals machte,
bewohnt worden war. Die von außen wie Marmor glänzende Fassade erwies
sich freilich als täuschender Stuck, deswegen aber nicht als minder schwungvoll
und anmutig. Die innere Konstruktion weicht vollständig von unsern Bauten
ab. Große Treppenhäuser enden in den verschiedenen Flügeln und Stockwerken
des Palastes ohne jede Thürverbindung in einen großen Saal. Das Treppen¬
haus liegt nicht wie bei uns außerhalb der Wohnräume, sondern innerhalb
derselben, dergestalt, daß sich die Treppe nach zwei Seiten abzweigt, von denen
die eine Seite in das Selamlik, die andre in das Haremlik führt. Die Aus¬
stattung zeigt reichen maurischen Stil mit bunten, in allen Farben schillernden
Gobelins, Tapeten und Möbeln; aber der schönste Schmuck sind die Fenster,
welche in den einzelnen Zimmern mit einem immer wieder neuen Blick auf den
Bosporus und die europäische Seite abschließen und dadurch mehr als
genügend die fehlenden Gemälde ersetzen. In dem Prachtsaal, welcher zu den
Haremszimmern führt, befand sich in der Mitte ein ungeheures Marmorbassin
mit Fontänen und Sitzen — ein Anblick, der einer lebhaften Phantasie allerlei
Märchen vorgaukeln konnte, welche hier besser unerwähnt bleiben. Jetzt ist
Freude und Lachen aus dem Palast gewichen, die Möbel verstanden, Spinn¬
weben nisten sich ein, und wie alles andre, birgt auch hier der äußere Glanz
den innern Verfall. Die Stimmung, in die uns der Anblick versetzte, unter¬
stützte noch ein Leichenzug, dem wir bei unserm Ausgange begegneten: ein schmuck¬
loser Sarg eines Knaben, mehr noch eine Kiste zu nennen, auf welcher sich
ein kleiner Fez befand, wurde von Männern getragen, denen andre unter Ab¬
singung des eintönigen Glaubensbekenntnisses nachfolgten.

(Schluß folgt.)




Literatur»
Die deutsche Literatur in römischer Beleuchtung. Von Dr. Richard Weitbrecht,
evangelischem Pfarrer in Mähringen bei Ulm. Barmer, Hugo Klein.

Diese kleine Schrift ist der erweiterte Abdruck einer Abhandlung aus den
„Deutsch-evangelischen Blättern." Ihr Gegenstand ist zeitgemäß genug, der Ver¬
fasser bespricht die planmäßige Verunglimpfung unsrer Literatur durch katholische
oder vielmehr jesuitische Literarhistoriker und Kritiker, welche seit ein Paar Jahr¬
zehnten, namentlich aber seit etwa zehn Jahren im Gange ist. Den Zweck der
ganzen ultramontanen Polemik gegen die letzten drei Jahrhunderte der deutschen
Literatur faßt Weitbrecht sehr richtig in den Satz zusammen: „Der katholische Teil
des deutschen Volkes soll von der gemeinsamen Bildung mit dem evangelischen
Teile ausgeschlossen, er soll auf eine niedrige Bildungsstufe herabgedrückt werden."
Aus der schon unübersehbaren Masse von Beispielen greift der Verfasser dann eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/359>, abgerufen am 01.05.2024.