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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Literatur.

zuführen. Schon die verschiednen Konkurrenzluther haben ihr sehr Bedenkliches, in
Dresden bildet sich ein Komitee für volkstümliche "Weihnachtsspiele," bei denen alle
Greuel des Dilettantismus in Aussicht stehen; auch hier zeigt sich, daß in unsern
Tagen nichts vorhanden ist, was nicht auf der Stelle dem sinnlos mißbrauchten
Schlagworte versiele. Volksspiele? jawohl; poetische Anregung durch lebendige Mit¬
wirkung nichtkünstlerischer Kreise? ja wohl; es fragt sich nur, ob es dabei bergauf
oder bergab gehen soll, ob dieser Aufruf an die frische Teilnahme der Empfäng¬
lichen neues poetisches Leben wecken und fordern oder das etwa noch vorhandene
im unreinen Wasser dilettantischer Eitelkeit, selbstgefälliger Scheinteilnahme, blau¬
strümpfiger Geschmacklosigkeit vollends ersäufen will. Wenn zwei dasselbe thun,
ist es bekanntlich nicht dasselbe, und eine Sache, der sich diejenigen bemächtigen,
welche nie ein sachliches Interesse gehabt haben, dünkt uns von vornherein, wenn
nicht verloren, so doch schwer gefährdet. Die Presse könnte hierbei viel zum Guten
wirken, wenn -- sie es wollte. Aber bei der leidigen Gewohnheit unsrer Zei¬
tungen, in jeder Lage entweder gar nicht oder mit Haut und Haaren, ohne alle
Unterscheidung, ohne jedes Gefühl für das Berechtigte oder Unberechtigte das Wort
zu nehmen, droht auch in der Angelegenheit der nicht für die stehenden Bühnen
bestimmten Spiele ein verhängnisvolles Durcheinander zu erzeugen. Sicherlich muß
und wird das Worms-Erfurter Lutherspiel Folgen haben. Aber ob bergauf oder
bergab, das ist jetzt eine ernste, keineswegs rasch zu erledigende Frage.




Immer klassisch.

In Ur. 42 des Magazins für die Literatur des Jn-
uud Auslandes steht der Schluß eines Aufsatzes von Ernst Eckstein (über Lnbbocks
Liste der hundert besten Bücher). Darin heißt es wörtlich (S. 617):

"Von Sophokles zitirt Lubbock die Oedipus-Trilogie. Wie die alten
Hellenen darüber gedacht haben, kann ich so aus dem Stegreif nicht hier erhärten:
daß jedoch die Antigone mit ihren unserm Gefühl so überaus nahe liegenden,
schlichten und doch herzergreifenden Konflikten für uns ein besseres Buch ist, als
die Oedipus-Trilogie, dünkt mich zweifellos."

Von einem Schriftsteller wie Ernst Eckstein sollte man doch einen solchen
Schnitzer nicht für möglich halten! Die Antigone ein besseres Buch als die
Oedipus-Trilogie -- das erinnert an den weisen Ausspruch, der vor einigen
Jahren in einer hochangesehenen Körperschaft einmal gefallen fein soll: Ja wenn
Sie das Dezennium zu zehn Jahren rechnen!

Und dabei schreibt Eckstein einen historischen Roman über den andern!




Literatur.

Zur Frage der Bilderfälschung. Bim Theod. Levin. Düsseldorf, Bagel, 1887.

Im verflossenen Sommer erregte ein kleiner Aufsatz des Konservators an der
Düsseldorfer Kunstakademie, Professor Levin, in der "Kunstchronik," welcher eine
große Zahl von Gemälden der Städelschen Galerie zu Frankfurt für gefälscht er-


Literatur.

zuführen. Schon die verschiednen Konkurrenzluther haben ihr sehr Bedenkliches, in
Dresden bildet sich ein Komitee für volkstümliche „Weihnachtsspiele," bei denen alle
Greuel des Dilettantismus in Aussicht stehen; auch hier zeigt sich, daß in unsern
Tagen nichts vorhanden ist, was nicht auf der Stelle dem sinnlos mißbrauchten
Schlagworte versiele. Volksspiele? jawohl; poetische Anregung durch lebendige Mit¬
wirkung nichtkünstlerischer Kreise? ja wohl; es fragt sich nur, ob es dabei bergauf
oder bergab gehen soll, ob dieser Aufruf an die frische Teilnahme der Empfäng¬
lichen neues poetisches Leben wecken und fordern oder das etwa noch vorhandene
im unreinen Wasser dilettantischer Eitelkeit, selbstgefälliger Scheinteilnahme, blau¬
strümpfiger Geschmacklosigkeit vollends ersäufen will. Wenn zwei dasselbe thun,
ist es bekanntlich nicht dasselbe, und eine Sache, der sich diejenigen bemächtigen,
welche nie ein sachliches Interesse gehabt haben, dünkt uns von vornherein, wenn
nicht verloren, so doch schwer gefährdet. Die Presse könnte hierbei viel zum Guten
wirken, wenn — sie es wollte. Aber bei der leidigen Gewohnheit unsrer Zei¬
tungen, in jeder Lage entweder gar nicht oder mit Haut und Haaren, ohne alle
Unterscheidung, ohne jedes Gefühl für das Berechtigte oder Unberechtigte das Wort
zu nehmen, droht auch in der Angelegenheit der nicht für die stehenden Bühnen
bestimmten Spiele ein verhängnisvolles Durcheinander zu erzeugen. Sicherlich muß
und wird das Worms-Erfurter Lutherspiel Folgen haben. Aber ob bergauf oder
bergab, das ist jetzt eine ernste, keineswegs rasch zu erledigende Frage.




Immer klassisch.

In Ur. 42 des Magazins für die Literatur des Jn-
uud Auslandes steht der Schluß eines Aufsatzes von Ernst Eckstein (über Lnbbocks
Liste der hundert besten Bücher). Darin heißt es wörtlich (S. 617):

„Von Sophokles zitirt Lubbock die Oedipus-Trilogie. Wie die alten
Hellenen darüber gedacht haben, kann ich so aus dem Stegreif nicht hier erhärten:
daß jedoch die Antigone mit ihren unserm Gefühl so überaus nahe liegenden,
schlichten und doch herzergreifenden Konflikten für uns ein besseres Buch ist, als
die Oedipus-Trilogie, dünkt mich zweifellos."

Von einem Schriftsteller wie Ernst Eckstein sollte man doch einen solchen
Schnitzer nicht für möglich halten! Die Antigone ein besseres Buch als die
Oedipus-Trilogie — das erinnert an den weisen Ausspruch, der vor einigen
Jahren in einer hochangesehenen Körperschaft einmal gefallen fein soll: Ja wenn
Sie das Dezennium zu zehn Jahren rechnen!

Und dabei schreibt Eckstein einen historischen Roman über den andern!




Literatur.

Zur Frage der Bilderfälschung. Bim Theod. Levin. Düsseldorf, Bagel, 1887.

Im verflossenen Sommer erregte ein kleiner Aufsatz des Konservators an der
Düsseldorfer Kunstakademie, Professor Levin, in der „Kunstchronik," welcher eine
große Zahl von Gemälden der Städelschen Galerie zu Frankfurt für gefälscht er-


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[0511] Literatur. zuführen. Schon die verschiednen Konkurrenzluther haben ihr sehr Bedenkliches, in Dresden bildet sich ein Komitee für volkstümliche „Weihnachtsspiele," bei denen alle Greuel des Dilettantismus in Aussicht stehen; auch hier zeigt sich, daß in unsern Tagen nichts vorhanden ist, was nicht auf der Stelle dem sinnlos mißbrauchten Schlagworte versiele. Volksspiele? jawohl; poetische Anregung durch lebendige Mit¬ wirkung nichtkünstlerischer Kreise? ja wohl; es fragt sich nur, ob es dabei bergauf oder bergab gehen soll, ob dieser Aufruf an die frische Teilnahme der Empfäng¬ lichen neues poetisches Leben wecken und fordern oder das etwa noch vorhandene im unreinen Wasser dilettantischer Eitelkeit, selbstgefälliger Scheinteilnahme, blau¬ strümpfiger Geschmacklosigkeit vollends ersäufen will. Wenn zwei dasselbe thun, ist es bekanntlich nicht dasselbe, und eine Sache, der sich diejenigen bemächtigen, welche nie ein sachliches Interesse gehabt haben, dünkt uns von vornherein, wenn nicht verloren, so doch schwer gefährdet. Die Presse könnte hierbei viel zum Guten wirken, wenn — sie es wollte. Aber bei der leidigen Gewohnheit unsrer Zei¬ tungen, in jeder Lage entweder gar nicht oder mit Haut und Haaren, ohne alle Unterscheidung, ohne jedes Gefühl für das Berechtigte oder Unberechtigte das Wort zu nehmen, droht auch in der Angelegenheit der nicht für die stehenden Bühnen bestimmten Spiele ein verhängnisvolles Durcheinander zu erzeugen. Sicherlich muß und wird das Worms-Erfurter Lutherspiel Folgen haben. Aber ob bergauf oder bergab, das ist jetzt eine ernste, keineswegs rasch zu erledigende Frage. Immer klassisch. In Ur. 42 des Magazins für die Literatur des Jn- uud Auslandes steht der Schluß eines Aufsatzes von Ernst Eckstein (über Lnbbocks Liste der hundert besten Bücher). Darin heißt es wörtlich (S. 617): „Von Sophokles zitirt Lubbock die Oedipus-Trilogie. Wie die alten Hellenen darüber gedacht haben, kann ich so aus dem Stegreif nicht hier erhärten: daß jedoch die Antigone mit ihren unserm Gefühl so überaus nahe liegenden, schlichten und doch herzergreifenden Konflikten für uns ein besseres Buch ist, als die Oedipus-Trilogie, dünkt mich zweifellos." Von einem Schriftsteller wie Ernst Eckstein sollte man doch einen solchen Schnitzer nicht für möglich halten! Die Antigone ein besseres Buch als die Oedipus-Trilogie — das erinnert an den weisen Ausspruch, der vor einigen Jahren in einer hochangesehenen Körperschaft einmal gefallen fein soll: Ja wenn Sie das Dezennium zu zehn Jahren rechnen! Und dabei schreibt Eckstein einen historischen Roman über den andern! Literatur. Zur Frage der Bilderfälschung. Bim Theod. Levin. Düsseldorf, Bagel, 1887. Im verflossenen Sommer erregte ein kleiner Aufsatz des Konservators an der Düsseldorfer Kunstakademie, Professor Levin, in der „Kunstchronik," welcher eine große Zahl von Gemälden der Städelschen Galerie zu Frankfurt für gefälscht er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/511>, abgerufen am 01.05.2024.