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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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gründlicheren historischen und philosophischen Schulung unsrer Zeit, daß Wie¬
lands langatmige Tugendbctrachtungen altgriechischer Hetären nicht dagegen auf¬
kommen können. Überhaupt macht diese ganze -- in vergangner Zeit durch
die Vorsicht gebotene -- Einkleidung philosophischer Betrachtung in pseudv-
gricchisches Gewand Wielands Verse und Prosa, mit ganz geringen Ausnahmen,
heutzutage ungenießbar. Von den fünfzig Bänden, die der philosophirende
Dichter hinterlassen hat, haben weit mehr als vierzig nur für den literar-
geschichtlichcn Forscher Wert oder Reiz. Aber eben weil Wieland so ganz der
Geschichte verfallen ist, darf und soll die Geschichte auch gegen ihn gerecht sein.




Eine Fahrt in den Grient.
von Adam von Festenberg. (Schluß.)

en nächsten Tag beschlossen wir, den Nest der Mauern zu
Fuß zu besichtigen. Noch waren die Herbstregen nicht ge¬
fallen, aber sie wurden täglich erwartet, und auch am heutigen
Morgen war der Himmel mit schweren Wolken bedeckt. Da
die Hamburger Seewarte und der Vossische Klinkerfues ihre
meteorologische Herrschaft nicht bis hierher ausdehnen, so waren wir lediglich
auf unsre eigne Wetterkunde angewiesen und waren der Meinung, daß auf
schwere Wolken stets Regen folgen müsse. Deshalb hatten wir wenig Zutrauen
zu unsrer Partie und beschlossen, sie zunächst mit dem Bazar zu beginnen, der
mit seinen gedeckten Wölbungen den erforderlichen Schutz bot. Wir gingen
ohne Führer, nur im Bazar nahmen wir uns einen, weil die mit achtzehn¬
tausend Magazinen angefüllten Straßen desselben dem Fremden wie ein riesiges
Labyrinth erscheinen. Es war an einem Dienstage, und der Tag also gut ge¬
wählt, da an drei Tagen der Woche immer ein Teil der Läden geschlossen ist
am Freitag der türkische, am Sonnabend der jüdische und am Sonntag der
christliche. Da sahen wir denn in großen Mengen die Schätze der beiden
Welten aufgestapelt, alles, was die Kunst von den äußersten Gränzen des
Ganges bis Europa in allen Zeiten hervorgebracht hat. Wir bedauerten,
daß die Tage der orientalischen Märchen vorüber waren, in denen gütige
Feen den Wünschen der Sterblichen entgegen kamen. Wie würden die Augen
unsrer Schönen blitzen, wenn sie hier das kostbare Geschmeide, die farben¬
prächtigen Stoffe, die kunstvollen Stickereien und die bunten Teppiche sehen"


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gründlicheren historischen und philosophischen Schulung unsrer Zeit, daß Wie¬
lands langatmige Tugendbctrachtungen altgriechischer Hetären nicht dagegen auf¬
kommen können. Überhaupt macht diese ganze — in vergangner Zeit durch
die Vorsicht gebotene — Einkleidung philosophischer Betrachtung in pseudv-
gricchisches Gewand Wielands Verse und Prosa, mit ganz geringen Ausnahmen,
heutzutage ungenießbar. Von den fünfzig Bänden, die der philosophirende
Dichter hinterlassen hat, haben weit mehr als vierzig nur für den literar-
geschichtlichcn Forscher Wert oder Reiz. Aber eben weil Wieland so ganz der
Geschichte verfallen ist, darf und soll die Geschichte auch gegen ihn gerecht sein.




Eine Fahrt in den Grient.
von Adam von Festenberg. (Schluß.)

en nächsten Tag beschlossen wir, den Nest der Mauern zu
Fuß zu besichtigen. Noch waren die Herbstregen nicht ge¬
fallen, aber sie wurden täglich erwartet, und auch am heutigen
Morgen war der Himmel mit schweren Wolken bedeckt. Da
die Hamburger Seewarte und der Vossische Klinkerfues ihre
meteorologische Herrschaft nicht bis hierher ausdehnen, so waren wir lediglich
auf unsre eigne Wetterkunde angewiesen und waren der Meinung, daß auf
schwere Wolken stets Regen folgen müsse. Deshalb hatten wir wenig Zutrauen
zu unsrer Partie und beschlossen, sie zunächst mit dem Bazar zu beginnen, der
mit seinen gedeckten Wölbungen den erforderlichen Schutz bot. Wir gingen
ohne Führer, nur im Bazar nahmen wir uns einen, weil die mit achtzehn¬
tausend Magazinen angefüllten Straßen desselben dem Fremden wie ein riesiges
Labyrinth erscheinen. Es war an einem Dienstage, und der Tag also gut ge¬
wählt, da an drei Tagen der Woche immer ein Teil der Läden geschlossen ist
am Freitag der türkische, am Sonnabend der jüdische und am Sonntag der
christliche. Da sahen wir denn in großen Mengen die Schätze der beiden
Welten aufgestapelt, alles, was die Kunst von den äußersten Gränzen des
Ganges bis Europa in allen Zeiten hervorgebracht hat. Wir bedauerten,
daß die Tage der orientalischen Märchen vorüber waren, in denen gütige
Feen den Wünschen der Sterblichen entgegen kamen. Wie würden die Augen
unsrer Schönen blitzen, wenn sie hier das kostbare Geschmeide, die farben¬
prächtigen Stoffe, die kunstvollen Stickereien und die bunten Teppiche sehen«


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[0538] «Line Fahrt in den Orient. gründlicheren historischen und philosophischen Schulung unsrer Zeit, daß Wie¬ lands langatmige Tugendbctrachtungen altgriechischer Hetären nicht dagegen auf¬ kommen können. Überhaupt macht diese ganze — in vergangner Zeit durch die Vorsicht gebotene — Einkleidung philosophischer Betrachtung in pseudv- gricchisches Gewand Wielands Verse und Prosa, mit ganz geringen Ausnahmen, heutzutage ungenießbar. Von den fünfzig Bänden, die der philosophirende Dichter hinterlassen hat, haben weit mehr als vierzig nur für den literar- geschichtlichcn Forscher Wert oder Reiz. Aber eben weil Wieland so ganz der Geschichte verfallen ist, darf und soll die Geschichte auch gegen ihn gerecht sein. Eine Fahrt in den Grient. von Adam von Festenberg. (Schluß.) en nächsten Tag beschlossen wir, den Nest der Mauern zu Fuß zu besichtigen. Noch waren die Herbstregen nicht ge¬ fallen, aber sie wurden täglich erwartet, und auch am heutigen Morgen war der Himmel mit schweren Wolken bedeckt. Da die Hamburger Seewarte und der Vossische Klinkerfues ihre meteorologische Herrschaft nicht bis hierher ausdehnen, so waren wir lediglich auf unsre eigne Wetterkunde angewiesen und waren der Meinung, daß auf schwere Wolken stets Regen folgen müsse. Deshalb hatten wir wenig Zutrauen zu unsrer Partie und beschlossen, sie zunächst mit dem Bazar zu beginnen, der mit seinen gedeckten Wölbungen den erforderlichen Schutz bot. Wir gingen ohne Führer, nur im Bazar nahmen wir uns einen, weil die mit achtzehn¬ tausend Magazinen angefüllten Straßen desselben dem Fremden wie ein riesiges Labyrinth erscheinen. Es war an einem Dienstage, und der Tag also gut ge¬ wählt, da an drei Tagen der Woche immer ein Teil der Läden geschlossen ist am Freitag der türkische, am Sonnabend der jüdische und am Sonntag der christliche. Da sahen wir denn in großen Mengen die Schätze der beiden Welten aufgestapelt, alles, was die Kunst von den äußersten Gränzen des Ganges bis Europa in allen Zeiten hervorgebracht hat. Wir bedauerten, daß die Tage der orientalischen Märchen vorüber waren, in denen gütige Feen den Wünschen der Sterblichen entgegen kamen. Wie würden die Augen unsrer Schönen blitzen, wenn sie hier das kostbare Geschmeide, die farben¬ prächtigen Stoffe, die kunstvollen Stickereien und die bunten Teppiche sehen«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/538>, abgerufen am 01.05.2024.