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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Heilgymnastik im Altertum.

u den Dingen, welche neuerdings stark in die Mode gekommen sind,
gehört auch die Heilgymnastik. Ärzte empfehlen sie Gesunden und
Kranken, Turnlehrer werfen sich mit Erfolg auf diesen neuen
Zweig der Gesundheitspflege, es erscheinen Bücher, welche die
Theorie entwickeln und die anzustellenden Übungen durch Schrift
und Bild veranschaulichen. Liest man dergleichen, so bekommt man wohl den
Eindruck, als ob wieder einmal ein ganz neuer Fund gemacht, als ob zu den
vielen Mitteln des naturgemäßen Heilverfahrens noch ein neues, bisher gänz¬
lich unbekanntes hinzugekommen sei. Und es ist ja anch unzweifelhaft richtig,
daß die Heilkunde sich erst verhältnismäßig spät um die Gymnastik des Körpers
zu kümmern begonnen hat, und daß der alten, vom Vater Jahr begründeten
Turnkunst eigentlich hygieinische Zwecke noch fern lagen. Daß regelmüßige Be¬
wegung in frischer Luft zu allen Zeiten als das vorzüglichste Mittel zur Er¬
haltung der Gesundheit gegolten hat, ist ja bekannt und wird durch die Hcbelsche
Geschichte von dein kranken Manne, der ans Schusters Rappen dnrch die Welt
kutschirend den Lindwurm in seinem Bauche zu Tode ärgert, aufs ergötzlichste
illustrirt. Auch Reiten, Fechten, Gartenarbeit oder Holzsägen ist von jeher von
Ärzten und von Laien empfohlen worden; aber die Heilgymnastik, so wie sie
heute betrieben wird, scheint mit Ausnahme etwa der länger bekannten und be¬
liebten Hantelübungen etwas neues, etwas funkelnagelneues zu sein.

Und doch haben schon die Alten wohl gewußt, daß Turnübungen, metho¬
disch betrieben, die Kosten für Arzt und Heilmittel ersparen können, und die
medizinische Wissenschaft hat sich seit Hippokrates angelegentlich mit der Diä¬
tetik der Leibesbewegnngen beschäftigt. Freilich war der diätetische Nutzen nicht
der ursprüngliche Zweck der Gymnastik. Vielmehr hatte sie anfänglich nur die
Aufgabe, den jugendlichen Körper stark und schön zu machen. Das geht unter
andern: deutlich aus dem Platonischen "Gorgias" hervor, wo Sokrates mit Be¬
rufung auf das bekannte Skolion:


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Heilgymnastik im Altertum.

u den Dingen, welche neuerdings stark in die Mode gekommen sind,
gehört auch die Heilgymnastik. Ärzte empfehlen sie Gesunden und
Kranken, Turnlehrer werfen sich mit Erfolg auf diesen neuen
Zweig der Gesundheitspflege, es erscheinen Bücher, welche die
Theorie entwickeln und die anzustellenden Übungen durch Schrift
und Bild veranschaulichen. Liest man dergleichen, so bekommt man wohl den
Eindruck, als ob wieder einmal ein ganz neuer Fund gemacht, als ob zu den
vielen Mitteln des naturgemäßen Heilverfahrens noch ein neues, bisher gänz¬
lich unbekanntes hinzugekommen sei. Und es ist ja anch unzweifelhaft richtig,
daß die Heilkunde sich erst verhältnismäßig spät um die Gymnastik des Körpers
zu kümmern begonnen hat, und daß der alten, vom Vater Jahr begründeten
Turnkunst eigentlich hygieinische Zwecke noch fern lagen. Daß regelmüßige Be¬
wegung in frischer Luft zu allen Zeiten als das vorzüglichste Mittel zur Er¬
haltung der Gesundheit gegolten hat, ist ja bekannt und wird durch die Hcbelsche
Geschichte von dein kranken Manne, der ans Schusters Rappen dnrch die Welt
kutschirend den Lindwurm in seinem Bauche zu Tode ärgert, aufs ergötzlichste
illustrirt. Auch Reiten, Fechten, Gartenarbeit oder Holzsägen ist von jeher von
Ärzten und von Laien empfohlen worden; aber die Heilgymnastik, so wie sie
heute betrieben wird, scheint mit Ausnahme etwa der länger bekannten und be¬
liebten Hantelübungen etwas neues, etwas funkelnagelneues zu sein.

Und doch haben schon die Alten wohl gewußt, daß Turnübungen, metho¬
disch betrieben, die Kosten für Arzt und Heilmittel ersparen können, und die
medizinische Wissenschaft hat sich seit Hippokrates angelegentlich mit der Diä¬
tetik der Leibesbewegnngen beschäftigt. Freilich war der diätetische Nutzen nicht
der ursprüngliche Zweck der Gymnastik. Vielmehr hatte sie anfänglich nur die
Aufgabe, den jugendlichen Körper stark und schön zu machen. Das geht unter
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/176>, abgerufen am 01.05.2024.