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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Rücksicht auf seine Mutter und ihre Liebe zu ihm ihn zurückhalten dürfe, offen
sein Bekenntnis auszusprechen.

An Salome dachte er dabei kaum. Sie hatte keinen Raum in seinen Ge¬
danken, sie mußte sich fügen, stand sie ihm doch überhaupt innerlich so fern,
daß ihr Wille den seinigen in nichts beeinflußte.




6.

Er stand an dem Fenster, vor welchem Alexei damals gehalten und nach
ihm gefragt hatte, und blickte über den Marktplatz hin. Im Hintergründe des
Zimmers saßen Rebekka und Salome, eifrig redend und sich mit den Kindern
beschäftigend, aber David hatte sich abgewendet. Er konnte seine Kinder nicht
ansehen, ohne daß die brennende Frage in ihm aufstieg, was er thun könne,
um ihnen die Erkenntnis, die ihm erst so spät geworden war, zeitiger zu bringen.
Wie sollte er das anfangen, hier in dieser Umgebung, unter dem Drucke dieser
Verhältnisse? Wie konnte er die Pflichten gegen seine Kinder erfüllen, was mußte
er thun?

Eine leise Berührung weckte ihn aus seinen qualvollen Gedanken. Die kleine
Nadel war zu ihm herangekrochen und richtete sich nun an ihm auf, indem
sie über die gelungene That in Freudengeschrei ausbrach.

Er nahm sie empor und preßte sie zärtlich an sich.

Mein Kind, mein liebes Kind! O könnte euch mein Tod etwas nützen,
ich stürbe gern! flüsterte er mit leidenschaftlicher Innigkeit.

Dem Reb Meier sein Sohn wird das richtige Alter für Nadel haben.
David muß bald mit ihm reden, sagte Rebekka, absichtlich lauter, um ihren Sohn
seinem Sinnen zu entreißen und ihn zu zwingen, an ihrem Gespräche teilzu¬
nehmen.

Es gelang ihr, denn David drehte sich hastig herum und trat zu den beiden
Frauen.

Salome warf ihm einen finstern, forschenden Blick zu.

Was soll ich mit dem Reh Meier reden? Sprichst du von meinem Kinde,
meiner Nadel, Mutter?

Vielleicht weiß der David einen reichern oder bessern für seine Töchter,
sagte Salome höhnisch, und ihre Augen funkelten, als David die Kleine fester
an sich preßte und sich die weiche, rosige Kinderwange schmeichelnd an sein Ge¬
sicht legte. Er hat in den letzten Wochen so viel nachgedacht, daß er wohl schon
einen andern unter seinen fremden, vornehmen Freunden gefunden hat.

Es ist ein Unsinn, bei Kindern in diesem Alter schon an eine Heirat zu
denken, ihr unsicheres, kleines Leben schon jetzt für eine mögliche, ferne Zukunft
binden zu wollen, entgegnete er mit einem strengen Blick auf sie, der schlecht zu
seiner innern Unruhe paßte.


David Beronski.

Rücksicht auf seine Mutter und ihre Liebe zu ihm ihn zurückhalten dürfe, offen
sein Bekenntnis auszusprechen.

An Salome dachte er dabei kaum. Sie hatte keinen Raum in seinen Ge¬
danken, sie mußte sich fügen, stand sie ihm doch überhaupt innerlich so fern,
daß ihr Wille den seinigen in nichts beeinflußte.




6.

Er stand an dem Fenster, vor welchem Alexei damals gehalten und nach
ihm gefragt hatte, und blickte über den Marktplatz hin. Im Hintergründe des
Zimmers saßen Rebekka und Salome, eifrig redend und sich mit den Kindern
beschäftigend, aber David hatte sich abgewendet. Er konnte seine Kinder nicht
ansehen, ohne daß die brennende Frage in ihm aufstieg, was er thun könne,
um ihnen die Erkenntnis, die ihm erst so spät geworden war, zeitiger zu bringen.
Wie sollte er das anfangen, hier in dieser Umgebung, unter dem Drucke dieser
Verhältnisse? Wie konnte er die Pflichten gegen seine Kinder erfüllen, was mußte
er thun?

Eine leise Berührung weckte ihn aus seinen qualvollen Gedanken. Die kleine
Nadel war zu ihm herangekrochen und richtete sich nun an ihm auf, indem
sie über die gelungene That in Freudengeschrei ausbrach.

Er nahm sie empor und preßte sie zärtlich an sich.

Mein Kind, mein liebes Kind! O könnte euch mein Tod etwas nützen,
ich stürbe gern! flüsterte er mit leidenschaftlicher Innigkeit.

Dem Reb Meier sein Sohn wird das richtige Alter für Nadel haben.
David muß bald mit ihm reden, sagte Rebekka, absichtlich lauter, um ihren Sohn
seinem Sinnen zu entreißen und ihn zu zwingen, an ihrem Gespräche teilzu¬
nehmen.

Es gelang ihr, denn David drehte sich hastig herum und trat zu den beiden
Frauen.

Salome warf ihm einen finstern, forschenden Blick zu.

Was soll ich mit dem Reh Meier reden? Sprichst du von meinem Kinde,
meiner Nadel, Mutter?

Vielleicht weiß der David einen reichern oder bessern für seine Töchter,
sagte Salome höhnisch, und ihre Augen funkelten, als David die Kleine fester
an sich preßte und sich die weiche, rosige Kinderwange schmeichelnd an sein Ge¬
sicht legte. Er hat in den letzten Wochen so viel nachgedacht, daß er wohl schon
einen andern unter seinen fremden, vornehmen Freunden gefunden hat.

Es ist ein Unsinn, bei Kindern in diesem Alter schon an eine Heirat zu
denken, ihr unsicheres, kleines Leben schon jetzt für eine mögliche, ferne Zukunft
binden zu wollen, entgegnete er mit einem strengen Blick auf sie, der schlecht zu
seiner innern Unruhe paßte.


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[0221] David Beronski. Rücksicht auf seine Mutter und ihre Liebe zu ihm ihn zurückhalten dürfe, offen sein Bekenntnis auszusprechen. An Salome dachte er dabei kaum. Sie hatte keinen Raum in seinen Ge¬ danken, sie mußte sich fügen, stand sie ihm doch überhaupt innerlich so fern, daß ihr Wille den seinigen in nichts beeinflußte. 6. Er stand an dem Fenster, vor welchem Alexei damals gehalten und nach ihm gefragt hatte, und blickte über den Marktplatz hin. Im Hintergründe des Zimmers saßen Rebekka und Salome, eifrig redend und sich mit den Kindern beschäftigend, aber David hatte sich abgewendet. Er konnte seine Kinder nicht ansehen, ohne daß die brennende Frage in ihm aufstieg, was er thun könne, um ihnen die Erkenntnis, die ihm erst so spät geworden war, zeitiger zu bringen. Wie sollte er das anfangen, hier in dieser Umgebung, unter dem Drucke dieser Verhältnisse? Wie konnte er die Pflichten gegen seine Kinder erfüllen, was mußte er thun? Eine leise Berührung weckte ihn aus seinen qualvollen Gedanken. Die kleine Nadel war zu ihm herangekrochen und richtete sich nun an ihm auf, indem sie über die gelungene That in Freudengeschrei ausbrach. Er nahm sie empor und preßte sie zärtlich an sich. Mein Kind, mein liebes Kind! O könnte euch mein Tod etwas nützen, ich stürbe gern! flüsterte er mit leidenschaftlicher Innigkeit. Dem Reb Meier sein Sohn wird das richtige Alter für Nadel haben. David muß bald mit ihm reden, sagte Rebekka, absichtlich lauter, um ihren Sohn seinem Sinnen zu entreißen und ihn zu zwingen, an ihrem Gespräche teilzu¬ nehmen. Es gelang ihr, denn David drehte sich hastig herum und trat zu den beiden Frauen. Salome warf ihm einen finstern, forschenden Blick zu. Was soll ich mit dem Reh Meier reden? Sprichst du von meinem Kinde, meiner Nadel, Mutter? Vielleicht weiß der David einen reichern oder bessern für seine Töchter, sagte Salome höhnisch, und ihre Augen funkelten, als David die Kleine fester an sich preßte und sich die weiche, rosige Kinderwange schmeichelnd an sein Ge¬ sicht legte. Er hat in den letzten Wochen so viel nachgedacht, daß er wohl schon einen andern unter seinen fremden, vornehmen Freunden gefunden hat. Es ist ein Unsinn, bei Kindern in diesem Alter schon an eine Heirat zu denken, ihr unsicheres, kleines Leben schon jetzt für eine mögliche, ferne Zukunft binden zu wollen, entgegnete er mit einem strengen Blick auf sie, der schlecht zu seiner innern Unruhe paßte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/221>, abgerufen am 01.05.2024.