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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die sogenannte Konkurrenz.

durch der Rhythmus für jedes dafür empfängliche Ohr und Auge bedauerlich
geschädigt wird. Die Haltlosigkeit dieses Verfahrens habe ich in meinem Aufsatze
zur Textkritik des zweiten Teiles des "Faust" aufgezeigt. Nur durch Nach¬
lässigkeit des Dichters, des Abschreibers oder der Druckerei sind e und i oft da,
wo der Vers sie ausschließen, in den Ausgaben stehen geblieben, und sollen
deshalb ewiges Leben behalten, nicht zur Ehre des Dichters. Goethe bediente
sich hierbei von frühester Jugend an der von allen deutschen Dichtern in An¬
spruch genommenen Freiheit. Auch hat er im ersten, 1806 sorgfältig durch¬
gesehenen Bande der Gedichte die Auswerfung regelmäßig durchgeführt, wogegen
er beim zweiten, der zuerst in der nachlässigen Ausgabe L erschien, darauf nicht
geachtet hat. Im "Faust" ist die Ausweisung an elf Stellen der Ausgabe
letzter Hand übersehen und fehlt demnach auch bei dem neuen Herausgeber,
wogegen die jetzt entdeckte ursprüngliche Fassung sie überall, der erste Druck
wenigstens zweimal (2386, 2994) hatte. Wenn es zu 2385 heißt, lange sei
"konform zu 2384," so fordert dort der Vers diese Form an der ersten Stelle,
während sie hier einen sonst in diesen Versen nicht vorkommenden Anapäst
giebt und offenbar ein eben durch den vorhergehenden Vers veranlaßter Druck¬
fehler ist. Unnötige Auswerfungen hat das Intermezzo 4228 und 4360 bei¬
behalten. Statt des harten Soll'n ist Sollen zu schreiben (der Anapäst steht,
wie 3024 ein Vers mit Wollen wir beginnt); ebenso glauben statt glaub'n,
wie auch sonst in der Mitte der Verse des Jntermezzos Anapäste den Jambus
vertreten. Seltsam ist es, wenn wir I, 234 noch Mann's lesen, wogegen der
Apostroph in Leibs I, 232 und mehrfach im "Faust" wie in Geists (1811)
gestrichen ist; dagegen lesen wir dort noch 2031 Willkomm', 2747 Will',
während 2080 wollt' durch Weglassen des Apostrophs berichtigt ist.

(Schluß folgt.)




Die sogenannte Konkurrenz.

MMH
DW
MMis ich vor fünfzehn Jahren zum ersten male auf den Rigi kam,
bestand dort oben keine "Konkurrenz." Man fand nur das treff¬
liche Gasthaus NigvKulm, und war dort trotz (oder wegen?) des
Mangels an aller Konkurrenz vorzüglich aufgehoben; Speisen
und Getränke, Zimmer, Bedienung u. ni. ließen nichts zu wünschen
übrig, und die Preise waren in Anbetracht der Lage überaus mäßig.

Ein paar Jahre später kam ich wieder hinauf. Diesmal war "Konkurrenz"
da, und zwar machte sie sich gleich am Bahnhof in aufdringlichster Weise wahr-


Die sogenannte Konkurrenz.

durch der Rhythmus für jedes dafür empfängliche Ohr und Auge bedauerlich
geschädigt wird. Die Haltlosigkeit dieses Verfahrens habe ich in meinem Aufsatze
zur Textkritik des zweiten Teiles des „Faust" aufgezeigt. Nur durch Nach¬
lässigkeit des Dichters, des Abschreibers oder der Druckerei sind e und i oft da,
wo der Vers sie ausschließen, in den Ausgaben stehen geblieben, und sollen
deshalb ewiges Leben behalten, nicht zur Ehre des Dichters. Goethe bediente
sich hierbei von frühester Jugend an der von allen deutschen Dichtern in An¬
spruch genommenen Freiheit. Auch hat er im ersten, 1806 sorgfältig durch¬
gesehenen Bande der Gedichte die Auswerfung regelmäßig durchgeführt, wogegen
er beim zweiten, der zuerst in der nachlässigen Ausgabe L erschien, darauf nicht
geachtet hat. Im „Faust" ist die Ausweisung an elf Stellen der Ausgabe
letzter Hand übersehen und fehlt demnach auch bei dem neuen Herausgeber,
wogegen die jetzt entdeckte ursprüngliche Fassung sie überall, der erste Druck
wenigstens zweimal (2386, 2994) hatte. Wenn es zu 2385 heißt, lange sei
„konform zu 2384," so fordert dort der Vers diese Form an der ersten Stelle,
während sie hier einen sonst in diesen Versen nicht vorkommenden Anapäst
giebt und offenbar ein eben durch den vorhergehenden Vers veranlaßter Druck¬
fehler ist. Unnötige Auswerfungen hat das Intermezzo 4228 und 4360 bei¬
behalten. Statt des harten Soll'n ist Sollen zu schreiben (der Anapäst steht,
wie 3024 ein Vers mit Wollen wir beginnt); ebenso glauben statt glaub'n,
wie auch sonst in der Mitte der Verse des Jntermezzos Anapäste den Jambus
vertreten. Seltsam ist es, wenn wir I, 234 noch Mann's lesen, wogegen der
Apostroph in Leibs I, 232 und mehrfach im „Faust" wie in Geists (1811)
gestrichen ist; dagegen lesen wir dort noch 2031 Willkomm', 2747 Will',
während 2080 wollt' durch Weglassen des Apostrophs berichtigt ist.

(Schluß folgt.)




Die sogenannte Konkurrenz.

MMH
DW
MMis ich vor fünfzehn Jahren zum ersten male auf den Rigi kam,
bestand dort oben keine „Konkurrenz." Man fand nur das treff¬
liche Gasthaus NigvKulm, und war dort trotz (oder wegen?) des
Mangels an aller Konkurrenz vorzüglich aufgehoben; Speisen
und Getränke, Zimmer, Bedienung u. ni. ließen nichts zu wünschen
übrig, und die Preise waren in Anbetracht der Lage überaus mäßig.

Ein paar Jahre später kam ich wieder hinauf. Diesmal war „Konkurrenz"
da, und zwar machte sie sich gleich am Bahnhof in aufdringlichster Weise wahr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/46>, abgerufen am 01.05.2024.