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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der wahrhafte Friede.

für den Arzt monatlich ^ bis ^ Dollar von dem auszuzahlenden Lohne
zurückhalten kann.

Die Dinge treiben in den Vereinigten Staaten offenbar einem Zusammen¬
stoß zwischen Kapital und Arbeit zu, welcher zuletzt zu einer völligen Um¬
gestaltung des Parteiwesens wie der Verfassung führen muß. Schon wird hie
und da die Verstaatlichung der Eisenbahnen und der Telegraphen verlangt.
In Brooklyn wurde in einer Arbeitcrvcrsammlnng neulich die Erwerbung der
Kohlenzechen durch die Bundesregierung als Mittel zur Beendigung der ewigen
Ausbeutung vorgeschlagen. Aber daran ist bei der jetzigen Zusammensetzung
des Kongresses gar nicht zu denken. Mit Flickwerk ist überhaupt nicht zu helfen.
Um eine bessere Volksvertretung zu erlangen, muß zunächst das Volk der Wühler
selbst besser und besser unterrichtet werden. Und selbst dann würde das Werk
der Umgestaltung noch nicht gelingen. Nur eine mit neuen Vollmachten aus¬
gerüstete, von den Parteien unabhängige Buudeszeutralgewalt kann dem wüsten
Treiben des amerikanischen Mittelalters nach langen Kämpfen ein Ende machen
und eine neue und bessere Zeit wirklicher Gerechtigkeit und Menschlichkeit herauf¬
führen helfen.


L. Schläger.


Der wahrhafte Friede.
Allerlei Ariegsphilosoxhie.

in Mai des Jahres 1813 hielt Johann Gottlieb Fichte in Berlin
Vorlesungen "über den Begriff des wahrhaften Krieges," nachdem
er im Februar desselben Jahres sein Kolleg über die Wissen-
schaftslehre mit einer Rede geschlossen, d. h. abgebrochen hatte,
wie sie in der Geschichte der Universitätsvorlesungen wohl einzig
dasteht. Wie der greifbare Zusammenschluß von Gedanke und That, berührt
die Rede dieses Mannes, in dem der deutsche Gedanke sich damals verkörpert
zu haben schien, an die Jünglinge zu seineu Füßen, welche sich eben anschickten,
aus den friedlichen .Hallen der Wissenschaft hinauszuziehen in den letzten todes¬
ernsten Kampf um Sein oder Nichtsein des Vaterlandes. Eben diesen Zu¬
sammenschluß von Gedanken und That, die Übereinstimmung von Wissenschaft
und man weiß, in welch hohem Sinne Fichte sie faßte -- und von Leben
legte Fichte seinen damaligen Erörterungen zu Grunde und gewann aus ihnen
die Antwort auf seine Hauptfrage: "Was ist ein eigentlicher -- wahrhafter


Der wahrhafte Friede.

für den Arzt monatlich ^ bis ^ Dollar von dem auszuzahlenden Lohne
zurückhalten kann.

Die Dinge treiben in den Vereinigten Staaten offenbar einem Zusammen¬
stoß zwischen Kapital und Arbeit zu, welcher zuletzt zu einer völligen Um¬
gestaltung des Parteiwesens wie der Verfassung führen muß. Schon wird hie
und da die Verstaatlichung der Eisenbahnen und der Telegraphen verlangt.
In Brooklyn wurde in einer Arbeitcrvcrsammlnng neulich die Erwerbung der
Kohlenzechen durch die Bundesregierung als Mittel zur Beendigung der ewigen
Ausbeutung vorgeschlagen. Aber daran ist bei der jetzigen Zusammensetzung
des Kongresses gar nicht zu denken. Mit Flickwerk ist überhaupt nicht zu helfen.
Um eine bessere Volksvertretung zu erlangen, muß zunächst das Volk der Wühler
selbst besser und besser unterrichtet werden. Und selbst dann würde das Werk
der Umgestaltung noch nicht gelingen. Nur eine mit neuen Vollmachten aus¬
gerüstete, von den Parteien unabhängige Buudeszeutralgewalt kann dem wüsten
Treiben des amerikanischen Mittelalters nach langen Kämpfen ein Ende machen
und eine neue und bessere Zeit wirklicher Gerechtigkeit und Menschlichkeit herauf¬
führen helfen.


L. Schläger.


Der wahrhafte Friede.
Allerlei Ariegsphilosoxhie.

in Mai des Jahres 1813 hielt Johann Gottlieb Fichte in Berlin
Vorlesungen „über den Begriff des wahrhaften Krieges," nachdem
er im Februar desselben Jahres sein Kolleg über die Wissen-
schaftslehre mit einer Rede geschlossen, d. h. abgebrochen hatte,
wie sie in der Geschichte der Universitätsvorlesungen wohl einzig
dasteht. Wie der greifbare Zusammenschluß von Gedanke und That, berührt
die Rede dieses Mannes, in dem der deutsche Gedanke sich damals verkörpert
zu haben schien, an die Jünglinge zu seineu Füßen, welche sich eben anschickten,
aus den friedlichen .Hallen der Wissenschaft hinauszuziehen in den letzten todes¬
ernsten Kampf um Sein oder Nichtsein des Vaterlandes. Eben diesen Zu¬
sammenschluß von Gedanken und That, die Übereinstimmung von Wissenschaft
und man weiß, in welch hohem Sinne Fichte sie faßte — und von Leben
legte Fichte seinen damaligen Erörterungen zu Grunde und gewann aus ihnen
die Antwort auf seine Hauptfrage: „Was ist ein eigentlicher — wahrhafter


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[0501] Der wahrhafte Friede. für den Arzt monatlich ^ bis ^ Dollar von dem auszuzahlenden Lohne zurückhalten kann. Die Dinge treiben in den Vereinigten Staaten offenbar einem Zusammen¬ stoß zwischen Kapital und Arbeit zu, welcher zuletzt zu einer völligen Um¬ gestaltung des Parteiwesens wie der Verfassung führen muß. Schon wird hie und da die Verstaatlichung der Eisenbahnen und der Telegraphen verlangt. In Brooklyn wurde in einer Arbeitcrvcrsammlnng neulich die Erwerbung der Kohlenzechen durch die Bundesregierung als Mittel zur Beendigung der ewigen Ausbeutung vorgeschlagen. Aber daran ist bei der jetzigen Zusammensetzung des Kongresses gar nicht zu denken. Mit Flickwerk ist überhaupt nicht zu helfen. Um eine bessere Volksvertretung zu erlangen, muß zunächst das Volk der Wühler selbst besser und besser unterrichtet werden. Und selbst dann würde das Werk der Umgestaltung noch nicht gelingen. Nur eine mit neuen Vollmachten aus¬ gerüstete, von den Parteien unabhängige Buudeszeutralgewalt kann dem wüsten Treiben des amerikanischen Mittelalters nach langen Kämpfen ein Ende machen und eine neue und bessere Zeit wirklicher Gerechtigkeit und Menschlichkeit herauf¬ führen helfen. L. Schläger. Der wahrhafte Friede. Allerlei Ariegsphilosoxhie. in Mai des Jahres 1813 hielt Johann Gottlieb Fichte in Berlin Vorlesungen „über den Begriff des wahrhaften Krieges," nachdem er im Februar desselben Jahres sein Kolleg über die Wissen- schaftslehre mit einer Rede geschlossen, d. h. abgebrochen hatte, wie sie in der Geschichte der Universitätsvorlesungen wohl einzig dasteht. Wie der greifbare Zusammenschluß von Gedanke und That, berührt die Rede dieses Mannes, in dem der deutsche Gedanke sich damals verkörpert zu haben schien, an die Jünglinge zu seineu Füßen, welche sich eben anschickten, aus den friedlichen .Hallen der Wissenschaft hinauszuziehen in den letzten todes¬ ernsten Kampf um Sein oder Nichtsein des Vaterlandes. Eben diesen Zu¬ sammenschluß von Gedanken und That, die Übereinstimmung von Wissenschaft und man weiß, in welch hohem Sinne Fichte sie faßte — und von Leben legte Fichte seinen damaligen Erörterungen zu Grunde und gewann aus ihnen die Antwort auf seine Hauptfrage: „Was ist ein eigentlicher — wahrhafter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/501>, abgerufen am 01.05.2024.