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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

Es ist endlich noch ein andrer Punkt, über den Nußland sich jetzt zu
äußern zögert. Die Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien verstieß gegen
den Berliner Vertrag. Sie wurde dem Fürsten Alexander von einigen Mächten
stillschweigend nachgesehen, aber niemals offen und bleibend gutgeheißen, weder
von der Pforte noch von einer andern der Vertragsmächte. Wegen dieser
Angelegenheit befindet sich Nußland in Verlegenheit. Das Ergebnis der Re¬
volution von Philippopel war ein Schritt zurück nach den Bestimmungen des
Friedens von San Stefano, der ein sehr ausgedehntes Bulgarien geschaffen
hatte, und deshalb muß der Zar es schwer finden, ein Prinzip zu verdammen,
außerdem aber würde er sich dadurch nicht bloß die Bulgaren, sondern auch
die russischen Pcmslawisten entfremden. Indes muß er, wenn er sich auf die
Legalität, das 1878 geschaffne Recht stützt, das seine Agenten verkündigen und
als Richtschnur empfehlen, die Einverleibung Ostrnmeliens in Bulgarien als
Einbruch in die verbürgten Rechte des Sultans verurteilen. Dies ist ein
weiterer Grund dafür, daß Rußland es vorziehen sollte, zu warten und es einst¬
weilen mit Unterhandlungen zu versuchen, statt Krieg zu führen. Es giebt
immer noch zahlreiche Bulgaren, die entweder aus Ueberzeugung oder aus
Eigennutz Parteigänger Rußlands sind. Ein Umschwung der Dinge in Sofia
ist jederzeit möglich, und in dieser Hoffnung kann der Zar sich mit seinen
Ansprüchen gedulden.




Kleinere Mitteilungen.
Schulstreit in Oesterreich.

Als im Herbste des Jahres 1386 Oesterreich
durch die Ernennung des Dr. von Ganthas, des noch jugendlichen Direktors des
Theresianums in Wien, zum Minister für Kultus und Unterricht überrascht wurde,
gab eben seine Jugend zu allerlei mehr oder minder geistreichen Scherzen Anlaß,
und ziemlich allgemein war die Auffassung, der Ministerpräsident habe nur einen
Büreanvorstand, ein gehorsames Werkzeug für die Stelle gesucht. Doch zeigte sich
bald, daß diejenigen Recht gehabt hatten, welche meinten, Graf Taaffe kenne im
Gegenteil die Entschlossenheit und Thatkraft des Mannes, und habe ihn gerade
wegen dieser Eigenschaften für einen Posten vorgeschlagen, auf welchem die Me¬
thode seiner Vorgänger, nach allen Seiten verklausulirte Versprechungen und halbe
Zugeständnisse zu machen und auch "Fünf gerade sein zu lassen," die größte Ver¬
wirrung angerichtet hatte. Zuvörderst zeigte der neue Minister den festen Willen,
die Disziplin, wo diese gelockert schien, wieder zu festigen, sowohl an Unterrichts¬
anstalten als auch in der Unterrichtsverwaltung, wo die Neigung, auf eigne Hand
und zum persönlichen Ruhme "Unterrichtspvlitik" zu treiben, in anstößiger Weise
hervorgetreten war. Und im weitern Verlaufe seiner Amtsführung bekundete er
durchweg das Bestreben, gegenüber den zahllosen und mit einander nicht zu ver¬
einigenden Anforderungen nationaler, konfessioneller und politischer Parteien den
österreichischen Standpunkt, den Staatsgedanken zur Geltung zu bringen. Daß
Oesterreich vor allem wieder Staatsmänner solcher Art nötig habe, war längst
die Ueberzeugung aller nüchternen Patrioten gewesen, und sie mußten daher an¬
erkennen, daß der Minister sich nicht scheute, rechts oder links oder in der Mitte


Kleinere Mitteilungen.

Es ist endlich noch ein andrer Punkt, über den Nußland sich jetzt zu
äußern zögert. Die Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien verstieß gegen
den Berliner Vertrag. Sie wurde dem Fürsten Alexander von einigen Mächten
stillschweigend nachgesehen, aber niemals offen und bleibend gutgeheißen, weder
von der Pforte noch von einer andern der Vertragsmächte. Wegen dieser
Angelegenheit befindet sich Nußland in Verlegenheit. Das Ergebnis der Re¬
volution von Philippopel war ein Schritt zurück nach den Bestimmungen des
Friedens von San Stefano, der ein sehr ausgedehntes Bulgarien geschaffen
hatte, und deshalb muß der Zar es schwer finden, ein Prinzip zu verdammen,
außerdem aber würde er sich dadurch nicht bloß die Bulgaren, sondern auch
die russischen Pcmslawisten entfremden. Indes muß er, wenn er sich auf die
Legalität, das 1878 geschaffne Recht stützt, das seine Agenten verkündigen und
als Richtschnur empfehlen, die Einverleibung Ostrnmeliens in Bulgarien als
Einbruch in die verbürgten Rechte des Sultans verurteilen. Dies ist ein
weiterer Grund dafür, daß Rußland es vorziehen sollte, zu warten und es einst¬
weilen mit Unterhandlungen zu versuchen, statt Krieg zu führen. Es giebt
immer noch zahlreiche Bulgaren, die entweder aus Ueberzeugung oder aus
Eigennutz Parteigänger Rußlands sind. Ein Umschwung der Dinge in Sofia
ist jederzeit möglich, und in dieser Hoffnung kann der Zar sich mit seinen
Ansprüchen gedulden.




Kleinere Mitteilungen.
Schulstreit in Oesterreich.

Als im Herbste des Jahres 1386 Oesterreich
durch die Ernennung des Dr. von Ganthas, des noch jugendlichen Direktors des
Theresianums in Wien, zum Minister für Kultus und Unterricht überrascht wurde,
gab eben seine Jugend zu allerlei mehr oder minder geistreichen Scherzen Anlaß,
und ziemlich allgemein war die Auffassung, der Ministerpräsident habe nur einen
Büreanvorstand, ein gehorsames Werkzeug für die Stelle gesucht. Doch zeigte sich
bald, daß diejenigen Recht gehabt hatten, welche meinten, Graf Taaffe kenne im
Gegenteil die Entschlossenheit und Thatkraft des Mannes, und habe ihn gerade
wegen dieser Eigenschaften für einen Posten vorgeschlagen, auf welchem die Me¬
thode seiner Vorgänger, nach allen Seiten verklausulirte Versprechungen und halbe
Zugeständnisse zu machen und auch „Fünf gerade sein zu lassen," die größte Ver¬
wirrung angerichtet hatte. Zuvörderst zeigte der neue Minister den festen Willen,
die Disziplin, wo diese gelockert schien, wieder zu festigen, sowohl an Unterrichts¬
anstalten als auch in der Unterrichtsverwaltung, wo die Neigung, auf eigne Hand
und zum persönlichen Ruhme „Unterrichtspvlitik" zu treiben, in anstößiger Weise
hervorgetreten war. Und im weitern Verlaufe seiner Amtsführung bekundete er
durchweg das Bestreben, gegenüber den zahllosen und mit einander nicht zu ver¬
einigenden Anforderungen nationaler, konfessioneller und politischer Parteien den
österreichischen Standpunkt, den Staatsgedanken zur Geltung zu bringen. Daß
Oesterreich vor allem wieder Staatsmänner solcher Art nötig habe, war längst
die Ueberzeugung aller nüchternen Patrioten gewesen, und sie mußten daher an¬
erkennen, daß der Minister sich nicht scheute, rechts oder links oder in der Mitte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/570>, abgerufen am 01.05.2024.