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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur.

stinktiv fühlen, ohne sie beweisen zu können, als vielmehr auf die Schlechtigkeit,
auf den rücksichtslosen Egoismus der sogenannten Männer der That. Milow
nimmt mehr für Erich Partei, als es die reine dichterische Wirkung seiner Tragödie
erforderte. Darum ist ihre Wirkung weiche Rührung, keine Erschütterung. Die
Gestalt Erichs ist mit eindringender Psychologie geschaffen, hier ist Milow wahrhaft
künstlerisch. Von den wohlabgestuften Charakteren, die sich um ihn gruppiren, ist
keine mit solchen seinen Einzeldingen ausgestattet, sie sind schematisch geblieben.
An dem eigentlichen Beweger der Handlung, dem Kanzler Pehrsvn, vermißt man
realistische Individualisirung am meisten. Die Sprache des natürlich in Versen
geschriebenen Stückes ist von schlichter Schönheit und stellenweise großer Kraft,
zumal an jenen Stellen, wo Erich sich selbst quält. Ueber die Bühnenfähigkeit
des Stückes zu urteilen, ist sehr schwer. Die Erfahrung lehrt, daß die Bühne,
um zu wirken, massigere Kunst erfordert.

Merkwürdig ist, daß Milow im Verse eine ungleich vornehmere Erscheinung
ist als in der Prosa. Mit der Kunst der Charakteristik und mit dem Reichtnme
an Gehalt und Poesie des "König Erich" hält sein Schauspiel "Getilgte Schuld"
den Vergleich nicht aus. Die Erfindung ist hier schwach. Friedrich Brandt, der
technische Direktor des reichen Papierfabrikanten Wellborn, liebt dessen Tochter
Johanna; da aber Brandt von niederer Herkunft ist (alte Geschichte!), will ihm
der reiche Vater die Tochter nicht geben, obwohl diese den Direktor liebt. Zum
Glück hat Brandt eine Erfindung gemacht, die sehr einträglich ist, und der störrige
Papa hat sehr viele Schulden, kann den Direktor nicht entbehren. Um nun nicht
im Geschäft zu Grunde zu gehen, muß er, mehr oder weniger gutwillig, die beiden
zuscunmenthun. Sehr poetisch ist diese Handlung gerade nicht, und Jfflano Hütte
sie jedenfalls drastischer und lustiger geführt.


Vier Novellen von Heinrich Bulthaupt. Dresden und Leipzig, E. Piersons Ver¬
lag, 1888.

Diese vier Novellen: "Ganhmed," "Narcissus," "Das Heiligeubildchen," "Die
schwebenden Gärten der Semiramis" bezeugen die Poetische Anlage und die ernst
künstlerische Richtung ihres Verfassers. Wenn sich anch "Ganymed" nicht über
eine gewisse überlieferte Romantik des Maler- und Theatertreibens zu eiuer höher"
Wahrheit erhebt, so zeichnet sich dafür "Das Heiligenbildchen" durch ein wirklich
poetisches Motiv und stimmungsvolle Einzelheiten aus, nud durch die Novelle "Die
schwebenden Gärten der Semiramis" zieht ein Hauch guten Humors und leichter
Satire.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grnnow i" Leipzig. -- Druck von Carl Marauart in Leipzig.
Litteratur.

stinktiv fühlen, ohne sie beweisen zu können, als vielmehr auf die Schlechtigkeit,
auf den rücksichtslosen Egoismus der sogenannten Männer der That. Milow
nimmt mehr für Erich Partei, als es die reine dichterische Wirkung seiner Tragödie
erforderte. Darum ist ihre Wirkung weiche Rührung, keine Erschütterung. Die
Gestalt Erichs ist mit eindringender Psychologie geschaffen, hier ist Milow wahrhaft
künstlerisch. Von den wohlabgestuften Charakteren, die sich um ihn gruppiren, ist
keine mit solchen seinen Einzeldingen ausgestattet, sie sind schematisch geblieben.
An dem eigentlichen Beweger der Handlung, dem Kanzler Pehrsvn, vermißt man
realistische Individualisirung am meisten. Die Sprache des natürlich in Versen
geschriebenen Stückes ist von schlichter Schönheit und stellenweise großer Kraft,
zumal an jenen Stellen, wo Erich sich selbst quält. Ueber die Bühnenfähigkeit
des Stückes zu urteilen, ist sehr schwer. Die Erfahrung lehrt, daß die Bühne,
um zu wirken, massigere Kunst erfordert.

Merkwürdig ist, daß Milow im Verse eine ungleich vornehmere Erscheinung
ist als in der Prosa. Mit der Kunst der Charakteristik und mit dem Reichtnme
an Gehalt und Poesie des „König Erich" hält sein Schauspiel „Getilgte Schuld"
den Vergleich nicht aus. Die Erfindung ist hier schwach. Friedrich Brandt, der
technische Direktor des reichen Papierfabrikanten Wellborn, liebt dessen Tochter
Johanna; da aber Brandt von niederer Herkunft ist (alte Geschichte!), will ihm
der reiche Vater die Tochter nicht geben, obwohl diese den Direktor liebt. Zum
Glück hat Brandt eine Erfindung gemacht, die sehr einträglich ist, und der störrige
Papa hat sehr viele Schulden, kann den Direktor nicht entbehren. Um nun nicht
im Geschäft zu Grunde zu gehen, muß er, mehr oder weniger gutwillig, die beiden
zuscunmenthun. Sehr poetisch ist diese Handlung gerade nicht, und Jfflano Hütte
sie jedenfalls drastischer und lustiger geführt.


Vier Novellen von Heinrich Bulthaupt. Dresden und Leipzig, E. Piersons Ver¬
lag, 1888.

Diese vier Novellen: „Ganhmed," „Narcissus," „Das Heiligeubildchen," „Die
schwebenden Gärten der Semiramis" bezeugen die Poetische Anlage und die ernst
künstlerische Richtung ihres Verfassers. Wenn sich anch „Ganymed" nicht über
eine gewisse überlieferte Romantik des Maler- und Theatertreibens zu eiuer höher»
Wahrheit erhebt, so zeichnet sich dafür „Das Heiligenbildchen" durch ein wirklich
poetisches Motiv und stimmungsvolle Einzelheiten aus, nud durch die Novelle „Die
schwebenden Gärten der Semiramis" zieht ein Hauch guten Humors und leichter
Satire.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grnnow i» Leipzig. — Druck von Carl Marauart in Leipzig.
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[0624] Litteratur. stinktiv fühlen, ohne sie beweisen zu können, als vielmehr auf die Schlechtigkeit, auf den rücksichtslosen Egoismus der sogenannten Männer der That. Milow nimmt mehr für Erich Partei, als es die reine dichterische Wirkung seiner Tragödie erforderte. Darum ist ihre Wirkung weiche Rührung, keine Erschütterung. Die Gestalt Erichs ist mit eindringender Psychologie geschaffen, hier ist Milow wahrhaft künstlerisch. Von den wohlabgestuften Charakteren, die sich um ihn gruppiren, ist keine mit solchen seinen Einzeldingen ausgestattet, sie sind schematisch geblieben. An dem eigentlichen Beweger der Handlung, dem Kanzler Pehrsvn, vermißt man realistische Individualisirung am meisten. Die Sprache des natürlich in Versen geschriebenen Stückes ist von schlichter Schönheit und stellenweise großer Kraft, zumal an jenen Stellen, wo Erich sich selbst quält. Ueber die Bühnenfähigkeit des Stückes zu urteilen, ist sehr schwer. Die Erfahrung lehrt, daß die Bühne, um zu wirken, massigere Kunst erfordert. Merkwürdig ist, daß Milow im Verse eine ungleich vornehmere Erscheinung ist als in der Prosa. Mit der Kunst der Charakteristik und mit dem Reichtnme an Gehalt und Poesie des „König Erich" hält sein Schauspiel „Getilgte Schuld" den Vergleich nicht aus. Die Erfindung ist hier schwach. Friedrich Brandt, der technische Direktor des reichen Papierfabrikanten Wellborn, liebt dessen Tochter Johanna; da aber Brandt von niederer Herkunft ist (alte Geschichte!), will ihm der reiche Vater die Tochter nicht geben, obwohl diese den Direktor liebt. Zum Glück hat Brandt eine Erfindung gemacht, die sehr einträglich ist, und der störrige Papa hat sehr viele Schulden, kann den Direktor nicht entbehren. Um nun nicht im Geschäft zu Grunde zu gehen, muß er, mehr oder weniger gutwillig, die beiden zuscunmenthun. Sehr poetisch ist diese Handlung gerade nicht, und Jfflano Hütte sie jedenfalls drastischer und lustiger geführt. Vier Novellen von Heinrich Bulthaupt. Dresden und Leipzig, E. Piersons Ver¬ lag, 1888. Diese vier Novellen: „Ganhmed," „Narcissus," „Das Heiligeubildchen," „Die schwebenden Gärten der Semiramis" bezeugen die Poetische Anlage und die ernst künstlerische Richtung ihres Verfassers. Wenn sich anch „Ganymed" nicht über eine gewisse überlieferte Romantik des Maler- und Theatertreibens zu eiuer höher» Wahrheit erhebt, so zeichnet sich dafür „Das Heiligenbildchen" durch ein wirklich poetisches Motiv und stimmungsvolle Einzelheiten aus, nud durch die Novelle „Die schwebenden Gärten der Semiramis" zieht ein Hauch guten Humors und leichter Satire. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grnnow i» Leipzig. — Druck von Carl Marauart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/624>, abgerufen am 01.05.2024.