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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Denkmäler der griechischen und römischen Skulptur.

meine nicht, daß wir damit vor jeder tiefern Auffassung der Dichtung abschrecken
wollten. Nur sie da zu sehen, wo sie nicht ist, davor warnen wir, und zumal
in der Wissenschaft. Es ist etwas andres, Ideen hinter dem Dichterwerk zu
suchen, als Symbole. Die Ideen sind stets dieselben, einfach, allvertraut, ge¬
hörig ausgedrückt auch allverständlich; sie sind das letzte Wort der Wissenschaft.
Aber die Symbole sind unerschöpflich, tausendgestaltig, nur dem Eingeweihten
verständlich, nur dem Gefühl faßlich; sie sind selber Dichtung, und die Dichtung
wird sie ewig verwenden, jedoch offenbar zu allen andern als zum Kommentar.
Uns aber muß daran liegen, der Kunstwissenschaft ihren Charakter als Wissen¬
schaft zu bewahren und sie weder nach dieser noch nach jener Seite hin zu
einem Spiele geistreicher Laune sich verflüchtigen zu lassen. In den Prinzipien
dieser Poetik von ihrer "rechten" Katharsis an bis zu ihrer "bedeutsamen" Er¬
hebung der Allegorie vom Range einer "Dichtungsart" zu dem einer "Dar¬
stellungsweise" (S. 187) liegen die Verlockungen hierzu ebenso reich verstreut
wie in den der eingangs erwähnten "exakten" Poetik. Hoffentlich heben beide
Richtungen einander auf. Denn uns scheint, als habe diese Wissenschaft heut¬
zutage am wenigsten Veranlassung, sich den Luxus von Verirrungen zu ge-
gestatten. Im Hinblick auf unsern Titel aber wünschen wir sehr, daß einmal
jemand das Studium von "Aristoteles, Lessing und Goethe," an dem es ja
glücklicherweise bei uns nicht fehlt, statt zu gewagten Interpretationen und un¬
fruchtbarer Polemik, verwenden möge zu einer kritischen Scheidung von poe¬
tischen Theorien und der Theorie der Poesie. Wir könnten eine solche "Kritik
des Kunstverstandes" brauchen -- theoretisch und praktisch!




Denkmäler der griechischen und römischen Skulptur.

le letzten fünfzehn Jahre sind für die Entwicklung der archäolo¬
gischen Studien uicht nur in Deutschland, sondern in allen Ländern,
wo sich mit dem Interesse für die Kunstschätze des klassischen Alter¬
tums das Streben verbindet, ihr Wesen und ihre Geschichte zu
ergründen, von epochemachender Bedeutung gewesen. Die großen
Neuerungen und Fortschritte unsrer Tage auf dem Gebiete der Industrie und
des Weltverkehrs haben unsrer Zeit den Namen des Zeitalters der Entdeckungen
und Erfindungen erworben. Wir leben in einer Zeit, wo neue Errungen¬
schaften des Menschengeistes bald durch andre, bessere verdrängt, wo durch


Denkmäler der griechischen und römischen Skulptur.

meine nicht, daß wir damit vor jeder tiefern Auffassung der Dichtung abschrecken
wollten. Nur sie da zu sehen, wo sie nicht ist, davor warnen wir, und zumal
in der Wissenschaft. Es ist etwas andres, Ideen hinter dem Dichterwerk zu
suchen, als Symbole. Die Ideen sind stets dieselben, einfach, allvertraut, ge¬
hörig ausgedrückt auch allverständlich; sie sind das letzte Wort der Wissenschaft.
Aber die Symbole sind unerschöpflich, tausendgestaltig, nur dem Eingeweihten
verständlich, nur dem Gefühl faßlich; sie sind selber Dichtung, und die Dichtung
wird sie ewig verwenden, jedoch offenbar zu allen andern als zum Kommentar.
Uns aber muß daran liegen, der Kunstwissenschaft ihren Charakter als Wissen¬
schaft zu bewahren und sie weder nach dieser noch nach jener Seite hin zu
einem Spiele geistreicher Laune sich verflüchtigen zu lassen. In den Prinzipien
dieser Poetik von ihrer „rechten" Katharsis an bis zu ihrer „bedeutsamen" Er¬
hebung der Allegorie vom Range einer „Dichtungsart" zu dem einer „Dar¬
stellungsweise" (S. 187) liegen die Verlockungen hierzu ebenso reich verstreut
wie in den der eingangs erwähnten „exakten" Poetik. Hoffentlich heben beide
Richtungen einander auf. Denn uns scheint, als habe diese Wissenschaft heut¬
zutage am wenigsten Veranlassung, sich den Luxus von Verirrungen zu ge-
gestatten. Im Hinblick auf unsern Titel aber wünschen wir sehr, daß einmal
jemand das Studium von „Aristoteles, Lessing und Goethe," an dem es ja
glücklicherweise bei uns nicht fehlt, statt zu gewagten Interpretationen und un¬
fruchtbarer Polemik, verwenden möge zu einer kritischen Scheidung von poe¬
tischen Theorien und der Theorie der Poesie. Wir könnten eine solche „Kritik
des Kunstverstandes" brauchen — theoretisch und praktisch!




Denkmäler der griechischen und römischen Skulptur.

le letzten fünfzehn Jahre sind für die Entwicklung der archäolo¬
gischen Studien uicht nur in Deutschland, sondern in allen Ländern,
wo sich mit dem Interesse für die Kunstschätze des klassischen Alter¬
tums das Streben verbindet, ihr Wesen und ihre Geschichte zu
ergründen, von epochemachender Bedeutung gewesen. Die großen
Neuerungen und Fortschritte unsrer Tage auf dem Gebiete der Industrie und
des Weltverkehrs haben unsrer Zeit den Namen des Zeitalters der Entdeckungen
und Erfindungen erworben. Wir leben in einer Zeit, wo neue Errungen¬
schaften des Menschengeistes bald durch andre, bessere verdrängt, wo durch


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[0652] Denkmäler der griechischen und römischen Skulptur. meine nicht, daß wir damit vor jeder tiefern Auffassung der Dichtung abschrecken wollten. Nur sie da zu sehen, wo sie nicht ist, davor warnen wir, und zumal in der Wissenschaft. Es ist etwas andres, Ideen hinter dem Dichterwerk zu suchen, als Symbole. Die Ideen sind stets dieselben, einfach, allvertraut, ge¬ hörig ausgedrückt auch allverständlich; sie sind das letzte Wort der Wissenschaft. Aber die Symbole sind unerschöpflich, tausendgestaltig, nur dem Eingeweihten verständlich, nur dem Gefühl faßlich; sie sind selber Dichtung, und die Dichtung wird sie ewig verwenden, jedoch offenbar zu allen andern als zum Kommentar. Uns aber muß daran liegen, der Kunstwissenschaft ihren Charakter als Wissen¬ schaft zu bewahren und sie weder nach dieser noch nach jener Seite hin zu einem Spiele geistreicher Laune sich verflüchtigen zu lassen. In den Prinzipien dieser Poetik von ihrer „rechten" Katharsis an bis zu ihrer „bedeutsamen" Er¬ hebung der Allegorie vom Range einer „Dichtungsart" zu dem einer „Dar¬ stellungsweise" (S. 187) liegen die Verlockungen hierzu ebenso reich verstreut wie in den der eingangs erwähnten „exakten" Poetik. Hoffentlich heben beide Richtungen einander auf. Denn uns scheint, als habe diese Wissenschaft heut¬ zutage am wenigsten Veranlassung, sich den Luxus von Verirrungen zu ge- gestatten. Im Hinblick auf unsern Titel aber wünschen wir sehr, daß einmal jemand das Studium von „Aristoteles, Lessing und Goethe," an dem es ja glücklicherweise bei uns nicht fehlt, statt zu gewagten Interpretationen und un¬ fruchtbarer Polemik, verwenden möge zu einer kritischen Scheidung von poe¬ tischen Theorien und der Theorie der Poesie. Wir könnten eine solche „Kritik des Kunstverstandes" brauchen — theoretisch und praktisch! Denkmäler der griechischen und römischen Skulptur. le letzten fünfzehn Jahre sind für die Entwicklung der archäolo¬ gischen Studien uicht nur in Deutschland, sondern in allen Ländern, wo sich mit dem Interesse für die Kunstschätze des klassischen Alter¬ tums das Streben verbindet, ihr Wesen und ihre Geschichte zu ergründen, von epochemachender Bedeutung gewesen. Die großen Neuerungen und Fortschritte unsrer Tage auf dem Gebiete der Industrie und des Weltverkehrs haben unsrer Zeit den Namen des Zeitalters der Entdeckungen und Erfindungen erworben. Wir leben in einer Zeit, wo neue Errungen¬ schaften des Menschengeistes bald durch andre, bessere verdrängt, wo durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/652>, abgerufen am 01.05.2024.