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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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lassen, welche Partei er mit seiner Bemerkung an die städtische Deputation ge¬
meint hat. "Wir wissen glücklicherweise, schreibt die "Volkszeitung" in Ur. 263,
daß es auch im Rathause viele Männer giebt, welche Kopf und Herz auf dem
rechten Flecke haben soie Jacoby mit dem Männerstolze^, und wir hoffen, daß
dieselben nunmehr ihren Willen durchsetzen werden, ^vermutlich einen Cato
Jacoby über den Kaiser zu schicken^. Die bürgerliche Ehre Berlins steht auf
dem Spiele, und giebt man sie aus feigen Rücksichten preis, so wird diese mäch¬
tige Stadt niemals mehr ihr stolzes Haupt erheben können, niemals mehr!'
Was das doch für ein schönes Wort ist, dieses "Niemals mehr." Waren oben
die Grundfesten des Staates in einem Maße erschüttert, ,.welches niemals mehr
gut gemacht werden kann, niemals mehr," so darf hier Berlin "sein stolzes Haupt
niemals mehr erheben, niemals mehr!" Die Deutschfreisinnigen zählen im neuen
Abgeordnetenhause anstatt der frühern 4V ganze 29 Catone.




Line Geschichte der Parteien in Rußland.
i.

s o oder auch eine Geschichte des russischen Liberalismus könnte
man wohl richtiger eine offenbar von einem gründlichen Kenner
der betreffenden Verhältnisse verfaßte und zugleich vorzüglich ge¬
chriebene Schrift bezeichnen, die vor kurzem unter dem Titel
"Der russische Nihilismus von seinen Anfängen bis zur Gegen¬
wart. Von Karl Otterberg" im Verlage von Duncker und Humblot in Leipzig
erschienen ist. Ueber die im Titel genannte Erscheinung im russischen Volksleben
besitzen wir bereits eine förmliche kleine Litteratur in deutscher und französischer
Sprache, doch sind die betreffenden Schriften meist oberflächliche und für Partei¬
zwecke bestimmte Ware, und wenn man von Tnrgeniews "Neuland" absieht,
gab es bisher nur ein Buch, das uns einen richtigen Begriff von dem Gegen¬
stande vermittelte: die "Geschichte der revolutionären Bewegungen in Rußland",
welche der Deutschrnsse Alphons Thun 1883 veröffentlichte. Diese Schrift ist
aber, wenn sie auch auf gründlichem Studium der einschlagenden russischen
Quellenschriften, namentlich einer reichhaltigen Sammlung nihilistischer Ge¬
heimlitteratur beruht, zu weitschweifig angelegt, um das große Publikum zu
fesseln, und enthält nichts über die neueste Entwickelung, welche die Sache ge-


Grcnzboten IV. 1838. 56

lassen, welche Partei er mit seiner Bemerkung an die städtische Deputation ge¬
meint hat. „Wir wissen glücklicherweise, schreibt die „Volkszeitung" in Ur. 263,
daß es auch im Rathause viele Männer giebt, welche Kopf und Herz auf dem
rechten Flecke haben soie Jacoby mit dem Männerstolze^, und wir hoffen, daß
dieselben nunmehr ihren Willen durchsetzen werden, ^vermutlich einen Cato
Jacoby über den Kaiser zu schicken^. Die bürgerliche Ehre Berlins steht auf
dem Spiele, und giebt man sie aus feigen Rücksichten preis, so wird diese mäch¬
tige Stadt niemals mehr ihr stolzes Haupt erheben können, niemals mehr!'
Was das doch für ein schönes Wort ist, dieses „Niemals mehr." Waren oben
die Grundfesten des Staates in einem Maße erschüttert, ,.welches niemals mehr
gut gemacht werden kann, niemals mehr," so darf hier Berlin „sein stolzes Haupt
niemals mehr erheben, niemals mehr!" Die Deutschfreisinnigen zählen im neuen
Abgeordnetenhause anstatt der frühern 4V ganze 29 Catone.




Line Geschichte der Parteien in Rußland.
i.

s o oder auch eine Geschichte des russischen Liberalismus könnte
man wohl richtiger eine offenbar von einem gründlichen Kenner
der betreffenden Verhältnisse verfaßte und zugleich vorzüglich ge¬
chriebene Schrift bezeichnen, die vor kurzem unter dem Titel
„Der russische Nihilismus von seinen Anfängen bis zur Gegen¬
wart. Von Karl Otterberg" im Verlage von Duncker und Humblot in Leipzig
erschienen ist. Ueber die im Titel genannte Erscheinung im russischen Volksleben
besitzen wir bereits eine förmliche kleine Litteratur in deutscher und französischer
Sprache, doch sind die betreffenden Schriften meist oberflächliche und für Partei¬
zwecke bestimmte Ware, und wenn man von Tnrgeniews „Neuland" absieht,
gab es bisher nur ein Buch, das uns einen richtigen Begriff von dem Gegen¬
stande vermittelte: die „Geschichte der revolutionären Bewegungen in Rußland",
welche der Deutschrnsse Alphons Thun 1883 veröffentlichte. Diese Schrift ist
aber, wenn sie auch auf gründlichem Studium der einschlagenden russischen
Quellenschriften, namentlich einer reichhaltigen Sammlung nihilistischer Ge¬
heimlitteratur beruht, zu weitschweifig angelegt, um das große Publikum zu
fesseln, und enthält nichts über die neueste Entwickelung, welche die Sache ge-


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[0449] lassen, welche Partei er mit seiner Bemerkung an die städtische Deputation ge¬ meint hat. „Wir wissen glücklicherweise, schreibt die „Volkszeitung" in Ur. 263, daß es auch im Rathause viele Männer giebt, welche Kopf und Herz auf dem rechten Flecke haben soie Jacoby mit dem Männerstolze^, und wir hoffen, daß dieselben nunmehr ihren Willen durchsetzen werden, ^vermutlich einen Cato Jacoby über den Kaiser zu schicken^. Die bürgerliche Ehre Berlins steht auf dem Spiele, und giebt man sie aus feigen Rücksichten preis, so wird diese mäch¬ tige Stadt niemals mehr ihr stolzes Haupt erheben können, niemals mehr!' Was das doch für ein schönes Wort ist, dieses „Niemals mehr." Waren oben die Grundfesten des Staates in einem Maße erschüttert, ,.welches niemals mehr gut gemacht werden kann, niemals mehr," so darf hier Berlin „sein stolzes Haupt niemals mehr erheben, niemals mehr!" Die Deutschfreisinnigen zählen im neuen Abgeordnetenhause anstatt der frühern 4V ganze 29 Catone. Line Geschichte der Parteien in Rußland. i. s o oder auch eine Geschichte des russischen Liberalismus könnte man wohl richtiger eine offenbar von einem gründlichen Kenner der betreffenden Verhältnisse verfaßte und zugleich vorzüglich ge¬ chriebene Schrift bezeichnen, die vor kurzem unter dem Titel „Der russische Nihilismus von seinen Anfängen bis zur Gegen¬ wart. Von Karl Otterberg" im Verlage von Duncker und Humblot in Leipzig erschienen ist. Ueber die im Titel genannte Erscheinung im russischen Volksleben besitzen wir bereits eine förmliche kleine Litteratur in deutscher und französischer Sprache, doch sind die betreffenden Schriften meist oberflächliche und für Partei¬ zwecke bestimmte Ware, und wenn man von Tnrgeniews „Neuland" absieht, gab es bisher nur ein Buch, das uns einen richtigen Begriff von dem Gegen¬ stande vermittelte: die „Geschichte der revolutionären Bewegungen in Rußland", welche der Deutschrnsse Alphons Thun 1883 veröffentlichte. Diese Schrift ist aber, wenn sie auch auf gründlichem Studium der einschlagenden russischen Quellenschriften, namentlich einer reichhaltigen Sammlung nihilistischer Ge¬ heimlitteratur beruht, zu weitschweifig angelegt, um das große Publikum zu fesseln, und enthält nichts über die neueste Entwickelung, welche die Sache ge- Grcnzboten IV. 1838. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/449>, abgerufen am 04.05.2024.