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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.
2.

on den drei Hansestädten erkannte jedoch nur das einzige Lübeck die
Zeichen der Zeit und stellte im November 1868 aus freiem
Entschlüsse den Antrag auf Eintritt in den Zollverein. Nicht
als ob die Lübecker weniger als die Schwesterstädte an den alt¬
hanseatischen Überlieferungen gehangen hätten. Aber man war
M den weiter blickenden Kreisen Lübecks überzeugt, daß durch den Beitritt der
Elbherzogthümer und der beiden Mecklenburg eine weitere Sonderstellung der
Vaterstadt unmöglich geworden sei, daß das Hauptinteresse des indischen Han¬
dels auf den ungehinderten Verkehr nach und von dem Vaterlande gerichtet
sein müsse, daß man auch fernerhin durch die von den Zollvercinsregierungen
bereitwillig zugestandenen Kontirungslager mit geringen Erschwerungen den
Vertrieb fremder Manufakturen nach den Ostseeländern fortsetzen könne, und
daß, wenn selbst einzelne Zweige dieses Zwischenhandels verloren gehen sollten,
wan andre dafür wiedergewinnen würde. Der Erfolg hat solchen Anschauungen
der Lübecker Rathsherren Recht gegeben. Auch die frühern Gegner des Zoll¬
anschlusses sind jetzt bekehrt. Es giebt heute in Lübeck außer einigen wenigen
Persönlichkeiten, die sich damals für die Beibehaltung der Freihafenstellung
verpflichtet hatten und nach deutscher Unart ihre Lehre wie eine religiöse Wahrheit
betrachteten, die jede andre Rücksicht ausschließe, kaum jemand, der mit dem
Anschluß an den Zollverein unzufrieden wäre. Zwar gehen jetzt die franzö¬
sischen Manufakturen auf der Eisenbahn über Berlin nach Rußland, eine Menge
russischer Artikel kommt nicht mehr nach Lübeck, der nordische Weinexport ist
un Schwinden. Dafür hat aber der Lübecker Wein Handel, der vor dem Zoll¬
anschluß auf deutschem Boden seine feste Grenze in Mecklenburg fand, einen
großen Theil des gesammten Deutschlands erobert; der Handel mit skandina¬
vischen Holz und russischem Petroleum hat außerordentlich zugenommen. In
dieser thatkräftigen Bevölkerung fürchtet man nicht einmal den Nord-Ostsee-
Kanal und das unmittelbare Eindringen der Hamburger in die Ostsee. Während
die kühnerem Geister sich dahin versteigen, daß dann auch die Lübecker wieder
direkt fahren würden, trösten sich die bescheidneren damit, daß der Eid-Trave-
Kanal, indem er der Elbe zum zweitenmale eine zweite Mündung nach der


Grenzboten IV. 1383. 62


Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.
2.

on den drei Hansestädten erkannte jedoch nur das einzige Lübeck die
Zeichen der Zeit und stellte im November 1868 aus freiem
Entschlüsse den Antrag auf Eintritt in den Zollverein. Nicht
als ob die Lübecker weniger als die Schwesterstädte an den alt¬
hanseatischen Überlieferungen gehangen hätten. Aber man war
M den weiter blickenden Kreisen Lübecks überzeugt, daß durch den Beitritt der
Elbherzogthümer und der beiden Mecklenburg eine weitere Sonderstellung der
Vaterstadt unmöglich geworden sei, daß das Hauptinteresse des indischen Han¬
dels auf den ungehinderten Verkehr nach und von dem Vaterlande gerichtet
sein müsse, daß man auch fernerhin durch die von den Zollvercinsregierungen
bereitwillig zugestandenen Kontirungslager mit geringen Erschwerungen den
Vertrieb fremder Manufakturen nach den Ostseeländern fortsetzen könne, und
daß, wenn selbst einzelne Zweige dieses Zwischenhandels verloren gehen sollten,
wan andre dafür wiedergewinnen würde. Der Erfolg hat solchen Anschauungen
der Lübecker Rathsherren Recht gegeben. Auch die frühern Gegner des Zoll¬
anschlusses sind jetzt bekehrt. Es giebt heute in Lübeck außer einigen wenigen
Persönlichkeiten, die sich damals für die Beibehaltung der Freihafenstellung
verpflichtet hatten und nach deutscher Unart ihre Lehre wie eine religiöse Wahrheit
betrachteten, die jede andre Rücksicht ausschließe, kaum jemand, der mit dem
Anschluß an den Zollverein unzufrieden wäre. Zwar gehen jetzt die franzö¬
sischen Manufakturen auf der Eisenbahn über Berlin nach Rußland, eine Menge
russischer Artikel kommt nicht mehr nach Lübeck, der nordische Weinexport ist
un Schwinden. Dafür hat aber der Lübecker Wein Handel, der vor dem Zoll¬
anschluß auf deutschem Boden seine feste Grenze in Mecklenburg fand, einen
großen Theil des gesammten Deutschlands erobert; der Handel mit skandina¬
vischen Holz und russischem Petroleum hat außerordentlich zugenommen. In
dieser thatkräftigen Bevölkerung fürchtet man nicht einmal den Nord-Ostsee-
Kanal und das unmittelbare Eindringen der Hamburger in die Ostsee. Während
die kühnerem Geister sich dahin versteigen, daß dann auch die Lübecker wieder
direkt fahren würden, trösten sich die bescheidneren damit, daß der Eid-Trave-
Kanal, indem er der Elbe zum zweitenmale eine zweite Mündung nach der


Grenzboten IV. 1383. 62
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[0497] [Abbildung] Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens. 2. on den drei Hansestädten erkannte jedoch nur das einzige Lübeck die Zeichen der Zeit und stellte im November 1868 aus freiem Entschlüsse den Antrag auf Eintritt in den Zollverein. Nicht als ob die Lübecker weniger als die Schwesterstädte an den alt¬ hanseatischen Überlieferungen gehangen hätten. Aber man war M den weiter blickenden Kreisen Lübecks überzeugt, daß durch den Beitritt der Elbherzogthümer und der beiden Mecklenburg eine weitere Sonderstellung der Vaterstadt unmöglich geworden sei, daß das Hauptinteresse des indischen Han¬ dels auf den ungehinderten Verkehr nach und von dem Vaterlande gerichtet sein müsse, daß man auch fernerhin durch die von den Zollvercinsregierungen bereitwillig zugestandenen Kontirungslager mit geringen Erschwerungen den Vertrieb fremder Manufakturen nach den Ostseeländern fortsetzen könne, und daß, wenn selbst einzelne Zweige dieses Zwischenhandels verloren gehen sollten, wan andre dafür wiedergewinnen würde. Der Erfolg hat solchen Anschauungen der Lübecker Rathsherren Recht gegeben. Auch die frühern Gegner des Zoll¬ anschlusses sind jetzt bekehrt. Es giebt heute in Lübeck außer einigen wenigen Persönlichkeiten, die sich damals für die Beibehaltung der Freihafenstellung verpflichtet hatten und nach deutscher Unart ihre Lehre wie eine religiöse Wahrheit betrachteten, die jede andre Rücksicht ausschließe, kaum jemand, der mit dem Anschluß an den Zollverein unzufrieden wäre. Zwar gehen jetzt die franzö¬ sischen Manufakturen auf der Eisenbahn über Berlin nach Rußland, eine Menge russischer Artikel kommt nicht mehr nach Lübeck, der nordische Weinexport ist un Schwinden. Dafür hat aber der Lübecker Wein Handel, der vor dem Zoll¬ anschluß auf deutschem Boden seine feste Grenze in Mecklenburg fand, einen großen Theil des gesammten Deutschlands erobert; der Handel mit skandina¬ vischen Holz und russischem Petroleum hat außerordentlich zugenommen. In dieser thatkräftigen Bevölkerung fürchtet man nicht einmal den Nord-Ostsee- Kanal und das unmittelbare Eindringen der Hamburger in die Ostsee. Während die kühnerem Geister sich dahin versteigen, daß dann auch die Lübecker wieder direkt fahren würden, trösten sich die bescheidneren damit, daß der Eid-Trave- Kanal, indem er der Elbe zum zweitenmale eine zweite Mündung nach der Grenzboten IV. 1383. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/497>, abgerufen am 05.05.2024.