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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner
Gegner.
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etrachten wir nun die beiden Mächte, die wir bisher für den Fall
eines Angriffs, den eine von ihnen gegen ein Glied des Friedens¬
bundes unternähme, nachgerade als natürliche Bundesgenossen
anzusehen uns gewöhnt hatten, und fassen wir zuvörderst Ru߬
land ins Auge. Wir haben uns dabei von vornherein ebenso
sehr vor Unterschätzung wie Überschätzung zu hüten. Die Redensart von dem
"Kolosse mit thönernen Füßen," die nach dem Verlaufe des Krimkrieges und
den ungefähr gleichzeitigen Vorgängen an der untern Donau bis zu einem ge¬
wissen Grade berechtigt zu sein schien, und die später damit begründet werden
konnte, welche Mühe Rußland hatte, die polnische Revolution niederzuwerfen,
ja für die sich noch der letzte Türkenkrieg mit den Tagen von Plcwna anführen
ließ, trifft jetzt nicht mehr zu. Der Zarenstaat hat seitdem in militärischen
Dingen unleugbar große Fortschritte gemacht, seine Hilfsquellen bedeutend ent¬
wickelt, sich durch den Bau von Eisenbahnen besser zum Angriff vorbereitet und
durch die Anlegung neuer und die Verstärkung bereits vorhandner Festungen
im westlichen Grenzlande gewaltig für die Verteidigung gerüstet. Er verfügt
über eine ungeheure Masse von Soldaten und darunter über eine sehr starke
Reiterei. Angesichts dieser Thatsachen dürfte man wohl eine gewisse Beklem¬
mung empfinden. Dennoch brauchten wir nicht am Siege zu zweifeln, wenn
das deutsche Reich die moskowitischen Scharen gegen sich anstürmen sähe.
Namentlich dürfen uns die Millionen von Streitern nicht beängstigen, die das
russische Reich als Gesamtheit aufzustellen imstande ist; denn ein beträchtlicher


Gronzboten III. 1383. 19


Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner
Gegner.
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etrachten wir nun die beiden Mächte, die wir bisher für den Fall
eines Angriffs, den eine von ihnen gegen ein Glied des Friedens¬
bundes unternähme, nachgerade als natürliche Bundesgenossen
anzusehen uns gewöhnt hatten, und fassen wir zuvörderst Ru߬
land ins Auge. Wir haben uns dabei von vornherein ebenso
sehr vor Unterschätzung wie Überschätzung zu hüten. Die Redensart von dem
„Kolosse mit thönernen Füßen," die nach dem Verlaufe des Krimkrieges und
den ungefähr gleichzeitigen Vorgängen an der untern Donau bis zu einem ge¬
wissen Grade berechtigt zu sein schien, und die später damit begründet werden
konnte, welche Mühe Rußland hatte, die polnische Revolution niederzuwerfen,
ja für die sich noch der letzte Türkenkrieg mit den Tagen von Plcwna anführen
ließ, trifft jetzt nicht mehr zu. Der Zarenstaat hat seitdem in militärischen
Dingen unleugbar große Fortschritte gemacht, seine Hilfsquellen bedeutend ent¬
wickelt, sich durch den Bau von Eisenbahnen besser zum Angriff vorbereitet und
durch die Anlegung neuer und die Verstärkung bereits vorhandner Festungen
im westlichen Grenzlande gewaltig für die Verteidigung gerüstet. Er verfügt
über eine ungeheure Masse von Soldaten und darunter über eine sehr starke
Reiterei. Angesichts dieser Thatsachen dürfte man wohl eine gewisse Beklem¬
mung empfinden. Dennoch brauchten wir nicht am Siege zu zweifeln, wenn
das deutsche Reich die moskowitischen Scharen gegen sich anstürmen sähe.
Namentlich dürfen uns die Millionen von Streitern nicht beängstigen, die das
russische Reich als Gesamtheit aufzustellen imstande ist; denn ein beträchtlicher


Gronzboten III. 1383. 19
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[0153] [Abbildung] Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner. 2/ , , , , , etrachten wir nun die beiden Mächte, die wir bisher für den Fall eines Angriffs, den eine von ihnen gegen ein Glied des Friedens¬ bundes unternähme, nachgerade als natürliche Bundesgenossen anzusehen uns gewöhnt hatten, und fassen wir zuvörderst Ru߬ land ins Auge. Wir haben uns dabei von vornherein ebenso sehr vor Unterschätzung wie Überschätzung zu hüten. Die Redensart von dem „Kolosse mit thönernen Füßen," die nach dem Verlaufe des Krimkrieges und den ungefähr gleichzeitigen Vorgängen an der untern Donau bis zu einem ge¬ wissen Grade berechtigt zu sein schien, und die später damit begründet werden konnte, welche Mühe Rußland hatte, die polnische Revolution niederzuwerfen, ja für die sich noch der letzte Türkenkrieg mit den Tagen von Plcwna anführen ließ, trifft jetzt nicht mehr zu. Der Zarenstaat hat seitdem in militärischen Dingen unleugbar große Fortschritte gemacht, seine Hilfsquellen bedeutend ent¬ wickelt, sich durch den Bau von Eisenbahnen besser zum Angriff vorbereitet und durch die Anlegung neuer und die Verstärkung bereits vorhandner Festungen im westlichen Grenzlande gewaltig für die Verteidigung gerüstet. Er verfügt über eine ungeheure Masse von Soldaten und darunter über eine sehr starke Reiterei. Angesichts dieser Thatsachen dürfte man wohl eine gewisse Beklem¬ mung empfinden. Dennoch brauchten wir nicht am Siege zu zweifeln, wenn das deutsche Reich die moskowitischen Scharen gegen sich anstürmen sähe. Namentlich dürfen uns die Millionen von Streitern nicht beängstigen, die das russische Reich als Gesamtheit aufzustellen imstande ist; denn ein beträchtlicher Gronzboten III. 1383. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/153>, abgerufen am 05.05.2024.