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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur Alters- und Invcilidenversorgnng.

ausschließlichen Besitze der Kurbel der Gesetzgebung der gesamte" geistigen und
materiellen Entwicklung des öffentlichen Lebens ihren Parteistempel aufprägen
zu können. Wäre das wirklich so, wäre es denkbar, daß, wie früher im Ver¬
fassungsleben Englands, die Parteien sich im Besitze und Genusse der Macht
einander ablösten, dann hätten jene Ansprüche eine gewisse Berechtigung, und
gälte es nur die Parole: konservativ oder liberal, so würden wir im Verein
mit der Kreuzzeitung und ihren Freunden streben. Aber die lebendig erhaltene
Macht der Krone hat im preußischen Staatswesen die auch uur vorübergehende
Allmacht der Parteien endgiltig aus der Reihe der Möglichkeiten gestrichen, und
wie die Krone für alle da ist, so kann sie auch in ihrem Wirken für das Volks¬
wohl eine wahre, gewaltsamen Erschütterungen vorbeugende Unterstützung nur
in dem einträchtigen Zusammenarbeiten aller Elemente finden, welche die ge¬
schichtlich gegebenen Grundlagen unsrer nationalen Entwicklung geschützt, ge¬
kräftigt und weiter entfaltet sehen wollen. Wie wir aber bei solcher Anschauung
auf den Gedanken verfallen könnten, einen lebensfrischen, zu positiver Arbeit ge¬
neigten Faktor unsers Parteilebens zur toten, politischen Masse zu machen --
eine solche Behauptung kann eben nur von einem politischen Winkel ausgehen,
in welchem man es längst verlernt hat, über den Parteikirchturm hinaus nach
den Aufgaben und Zielen des Staates selbst zu blicken." Wir empfehlen den
Lesern das hierin liegende Glaubensbekenntnis zur Beachtung. Es ist die
Signatur der Ära, die mit Wilhelms II. Thronbesteigung begonnen hat.




Zur Alters- und Invalidenversorgung.

MIM hat die Presse nach den aufregenden politischen Zwischen¬
fällen der letzten Zeit wieder einige Muße gefunden, so beginnt
auch schon die Erörterung des neuen Gesetzentwurfs über die
Alters- und Jnvalidenversorgung der Arbeiter in den Vorder¬
grund des Tagesinteresses zu treten, lind ein Blatt nach dem
andern schickt sich an, Stellung zu dem Entwurf zu nehmen und ihn kritisch
zu beleuchten.

Im Großen und Ganzen sind es zwei Hauptpunkte, um die sich der Streit
dreht. Erstens: Wie hoch sollen die Rentensätze und die Wartezeiten festgesetzt
werden? Und zweitens: Wie soll die Einrichtung der zur Durchführung der
Sache nötigen Anstalt beschaffen sein? Von diesen beiden Punkten, von
denen man den ersten kurz als die Geldfrage, den zweiten als die Organisations-


Zur Alters- und Invcilidenversorgnng.

ausschließlichen Besitze der Kurbel der Gesetzgebung der gesamte» geistigen und
materiellen Entwicklung des öffentlichen Lebens ihren Parteistempel aufprägen
zu können. Wäre das wirklich so, wäre es denkbar, daß, wie früher im Ver¬
fassungsleben Englands, die Parteien sich im Besitze und Genusse der Macht
einander ablösten, dann hätten jene Ansprüche eine gewisse Berechtigung, und
gälte es nur die Parole: konservativ oder liberal, so würden wir im Verein
mit der Kreuzzeitung und ihren Freunden streben. Aber die lebendig erhaltene
Macht der Krone hat im preußischen Staatswesen die auch uur vorübergehende
Allmacht der Parteien endgiltig aus der Reihe der Möglichkeiten gestrichen, und
wie die Krone für alle da ist, so kann sie auch in ihrem Wirken für das Volks¬
wohl eine wahre, gewaltsamen Erschütterungen vorbeugende Unterstützung nur
in dem einträchtigen Zusammenarbeiten aller Elemente finden, welche die ge¬
schichtlich gegebenen Grundlagen unsrer nationalen Entwicklung geschützt, ge¬
kräftigt und weiter entfaltet sehen wollen. Wie wir aber bei solcher Anschauung
auf den Gedanken verfallen könnten, einen lebensfrischen, zu positiver Arbeit ge¬
neigten Faktor unsers Parteilebens zur toten, politischen Masse zu machen —
eine solche Behauptung kann eben nur von einem politischen Winkel ausgehen,
in welchem man es längst verlernt hat, über den Parteikirchturm hinaus nach
den Aufgaben und Zielen des Staates selbst zu blicken." Wir empfehlen den
Lesern das hierin liegende Glaubensbekenntnis zur Beachtung. Es ist die
Signatur der Ära, die mit Wilhelms II. Thronbesteigung begonnen hat.




Zur Alters- und Invalidenversorgung.

MIM hat die Presse nach den aufregenden politischen Zwischen¬
fällen der letzten Zeit wieder einige Muße gefunden, so beginnt
auch schon die Erörterung des neuen Gesetzentwurfs über die
Alters- und Jnvalidenversorgung der Arbeiter in den Vorder¬
grund des Tagesinteresses zu treten, lind ein Blatt nach dem
andern schickt sich an, Stellung zu dem Entwurf zu nehmen und ihn kritisch
zu beleuchten.

Im Großen und Ganzen sind es zwei Hauptpunkte, um die sich der Streit
dreht. Erstens: Wie hoch sollen die Rentensätze und die Wartezeiten festgesetzt
werden? Und zweitens: Wie soll die Einrichtung der zur Durchführung der
Sache nötigen Anstalt beschaffen sein? Von diesen beiden Punkten, von
denen man den ersten kurz als die Geldfrage, den zweiten als die Organisations-


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[0304] Zur Alters- und Invcilidenversorgnng. ausschließlichen Besitze der Kurbel der Gesetzgebung der gesamte» geistigen und materiellen Entwicklung des öffentlichen Lebens ihren Parteistempel aufprägen zu können. Wäre das wirklich so, wäre es denkbar, daß, wie früher im Ver¬ fassungsleben Englands, die Parteien sich im Besitze und Genusse der Macht einander ablösten, dann hätten jene Ansprüche eine gewisse Berechtigung, und gälte es nur die Parole: konservativ oder liberal, so würden wir im Verein mit der Kreuzzeitung und ihren Freunden streben. Aber die lebendig erhaltene Macht der Krone hat im preußischen Staatswesen die auch uur vorübergehende Allmacht der Parteien endgiltig aus der Reihe der Möglichkeiten gestrichen, und wie die Krone für alle da ist, so kann sie auch in ihrem Wirken für das Volks¬ wohl eine wahre, gewaltsamen Erschütterungen vorbeugende Unterstützung nur in dem einträchtigen Zusammenarbeiten aller Elemente finden, welche die ge¬ schichtlich gegebenen Grundlagen unsrer nationalen Entwicklung geschützt, ge¬ kräftigt und weiter entfaltet sehen wollen. Wie wir aber bei solcher Anschauung auf den Gedanken verfallen könnten, einen lebensfrischen, zu positiver Arbeit ge¬ neigten Faktor unsers Parteilebens zur toten, politischen Masse zu machen — eine solche Behauptung kann eben nur von einem politischen Winkel ausgehen, in welchem man es längst verlernt hat, über den Parteikirchturm hinaus nach den Aufgaben und Zielen des Staates selbst zu blicken." Wir empfehlen den Lesern das hierin liegende Glaubensbekenntnis zur Beachtung. Es ist die Signatur der Ära, die mit Wilhelms II. Thronbesteigung begonnen hat. Zur Alters- und Invalidenversorgung. MIM hat die Presse nach den aufregenden politischen Zwischen¬ fällen der letzten Zeit wieder einige Muße gefunden, so beginnt auch schon die Erörterung des neuen Gesetzentwurfs über die Alters- und Jnvalidenversorgung der Arbeiter in den Vorder¬ grund des Tagesinteresses zu treten, lind ein Blatt nach dem andern schickt sich an, Stellung zu dem Entwurf zu nehmen und ihn kritisch zu beleuchten. Im Großen und Ganzen sind es zwei Hauptpunkte, um die sich der Streit dreht. Erstens: Wie hoch sollen die Rentensätze und die Wartezeiten festgesetzt werden? Und zweitens: Wie soll die Einrichtung der zur Durchführung der Sache nötigen Anstalt beschaffen sein? Von diesen beiden Punkten, von denen man den ersten kurz als die Geldfrage, den zweiten als die Organisations-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/304>, abgerufen am 05.05.2024.