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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

die nichts als das Wort "So!" enthalten! Seite 72f. findet sich ein unvollendeter
Satz. So etwas darf in einem Buche über deutsche Litteratur nicht vorkommen,
um so weniger, als der Verfasser Sprachgeschick zeigt.


Schillers Dramen. Beiträge zu ihrem Verständnis von Dr. Ludwig Bcllcrmnnn,
' Direktor des Köiugstädtischen Gymnasiums in Berlin. Erster Teil. Berlin, Weidmann, 1888

Schiller ist in der letzten Zeit mächtig emporgeschnellt, nachdem man ihn schon
fast zu den Toten hat werfen "vollen. Zu deu literarhistorischen Biographen,
die sein Bild in neuer Form der neuen Zeit vorzuführen suchen, tritt hier ein
philologischer Ausleger, der seine sorgsame Analyse und Erläuteruugskuust ganz
auf die Mvnumentalwerke des Dichters, die Dramen, vereinigt. Mit Recht betont
er vor dem Aesthetischen das Dramaturgische. Hier ist "Technik" zu lehren
und, wenn auch nicht zu lernen, so doch zu verstehen. Immer und immer
wieder muß mau darauf hinweisen: Schiller ist ein großartiger dramatischer Tech¬
niker. Man muß das, wie Bellermann gleich in der Einleitung, denen gegenüber
stets betonen, die, wie David Friedrich Strauß, in Schiller immer den Dichter
"durch den Philosophen und Redner ergänzt" sehen. Schon Rümelin wies
-- allerdings nicht ohne polemische Absicht -- ans diesen Vorzug Schillers
Shakespeare gegenüber hin. Wir mochten in diese Erörterungen die Frage hinein¬
werfen, ob hieran nicht vielleicht etwas zu lernen sei, ob die besondre dramatische
"Verknüpfung" (Aristoteles) und Durchführung nicht vielleicht etwas für sich be¬
stehendes, außerdichterischcs sei, das durch die rankende' poetische Phantasie eher
gehemmt als gefördert wird und sich daher so äußerst selten ganz mit ihr ver¬
einigt. Wo dies aber einmal geschieht, wie eben in Shakespeare, da wirkt diese
Vereinigung jene ästhetischen Wunder, die man oft als überdichterisch zu bezeichnen
versucht ist. Der vorliegende Band bringt die Jugendtraum einschließlich des
Don Karlos. Hier kann sich diese besondre dramaturgische Auslegung noch nicht
so zeigen wie hoffentlich bei dem folgenden, der die Meisterdramen vorführen
wird und für den der vorliegende schon angethan ist ein Publikum zu werben.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag vou Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

die nichts als das Wort „So!" enthalten! Seite 72f. findet sich ein unvollendeter
Satz. So etwas darf in einem Buche über deutsche Litteratur nicht vorkommen,
um so weniger, als der Verfasser Sprachgeschick zeigt.


Schillers Dramen. Beiträge zu ihrem Verständnis von Dr. Ludwig Bcllcrmnnn,
' Direktor des Köiugstädtischen Gymnasiums in Berlin. Erster Teil. Berlin, Weidmann, 1888

Schiller ist in der letzten Zeit mächtig emporgeschnellt, nachdem man ihn schon
fast zu den Toten hat werfen »vollen. Zu deu literarhistorischen Biographen,
die sein Bild in neuer Form der neuen Zeit vorzuführen suchen, tritt hier ein
philologischer Ausleger, der seine sorgsame Analyse und Erläuteruugskuust ganz
auf die Mvnumentalwerke des Dichters, die Dramen, vereinigt. Mit Recht betont
er vor dem Aesthetischen das Dramaturgische. Hier ist „Technik" zu lehren
und, wenn auch nicht zu lernen, so doch zu verstehen. Immer und immer
wieder muß mau darauf hinweisen: Schiller ist ein großartiger dramatischer Tech¬
niker. Man muß das, wie Bellermann gleich in der Einleitung, denen gegenüber
stets betonen, die, wie David Friedrich Strauß, in Schiller immer den Dichter
„durch den Philosophen und Redner ergänzt" sehen. Schon Rümelin wies
— allerdings nicht ohne polemische Absicht — ans diesen Vorzug Schillers
Shakespeare gegenüber hin. Wir mochten in diese Erörterungen die Frage hinein¬
werfen, ob hieran nicht vielleicht etwas zu lernen sei, ob die besondre dramatische
„Verknüpfung" (Aristoteles) und Durchführung nicht vielleicht etwas für sich be¬
stehendes, außerdichterischcs sei, das durch die rankende' poetische Phantasie eher
gehemmt als gefördert wird und sich daher so äußerst selten ganz mit ihr ver¬
einigt. Wo dies aber einmal geschieht, wie eben in Shakespeare, da wirkt diese
Vereinigung jene ästhetischen Wunder, die man oft als überdichterisch zu bezeichnen
versucht ist. Der vorliegende Band bringt die Jugendtraum einschließlich des
Don Karlos. Hier kann sich diese besondre dramaturgische Auslegung noch nicht
so zeigen wie hoffentlich bei dem folgenden, der die Meisterdramen vorführen
wird und für den der vorliegende schon angethan ist ein Publikum zu werben.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag vou Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0636] Litteratur die nichts als das Wort „So!" enthalten! Seite 72f. findet sich ein unvollendeter Satz. So etwas darf in einem Buche über deutsche Litteratur nicht vorkommen, um so weniger, als der Verfasser Sprachgeschick zeigt. Schillers Dramen. Beiträge zu ihrem Verständnis von Dr. Ludwig Bcllcrmnnn, ' Direktor des Köiugstädtischen Gymnasiums in Berlin. Erster Teil. Berlin, Weidmann, 1888 Schiller ist in der letzten Zeit mächtig emporgeschnellt, nachdem man ihn schon fast zu den Toten hat werfen »vollen. Zu deu literarhistorischen Biographen, die sein Bild in neuer Form der neuen Zeit vorzuführen suchen, tritt hier ein philologischer Ausleger, der seine sorgsame Analyse und Erläuteruugskuust ganz auf die Mvnumentalwerke des Dichters, die Dramen, vereinigt. Mit Recht betont er vor dem Aesthetischen das Dramaturgische. Hier ist „Technik" zu lehren und, wenn auch nicht zu lernen, so doch zu verstehen. Immer und immer wieder muß mau darauf hinweisen: Schiller ist ein großartiger dramatischer Tech¬ niker. Man muß das, wie Bellermann gleich in der Einleitung, denen gegenüber stets betonen, die, wie David Friedrich Strauß, in Schiller immer den Dichter „durch den Philosophen und Redner ergänzt" sehen. Schon Rümelin wies — allerdings nicht ohne polemische Absicht — ans diesen Vorzug Schillers Shakespeare gegenüber hin. Wir mochten in diese Erörterungen die Frage hinein¬ werfen, ob hieran nicht vielleicht etwas zu lernen sei, ob die besondre dramatische „Verknüpfung" (Aristoteles) und Durchführung nicht vielleicht etwas für sich be¬ stehendes, außerdichterischcs sei, das durch die rankende' poetische Phantasie eher gehemmt als gefördert wird und sich daher so äußerst selten ganz mit ihr ver¬ einigt. Wo dies aber einmal geschieht, wie eben in Shakespeare, da wirkt diese Vereinigung jene ästhetischen Wunder, die man oft als überdichterisch zu bezeichnen versucht ist. Der vorliegende Band bringt die Jugendtraum einschließlich des Don Karlos. Hier kann sich diese besondre dramaturgische Auslegung noch nicht so zeigen wie hoffentlich bei dem folgenden, der die Meisterdramen vorführen wird und für den der vorliegende schon angethan ist ein Publikum zu werben. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag vou Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/636>, abgerufen am 05.05.2024.