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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Beobachtungen und Urteile eines sächsischen
Diplomaten

achten wir die Ansichten des Grase" Vitzthum über die Ent¬
wicklung der deutschen Frage kennen gelernt haben, wählen wir
uun einige von den Beobachtungen aus. die er um Verlause seiner
diplomatischen Thätigkeit zu macheu Gelegenheit fand und ver¬
binden damit die Hauptzüge eiuer Auzahl vou Charnkterlulderu
hervorragender Stnatsmäuner. die sein Bericht nach Begegnungen unt diesen
oder nach audern Erfahrungen entwirft.

Im August 1864 ging der Graf in geheimer Sendung vou Dresden nach
Hannover, um sich mit dein Minister von Platen über die Lage und namentlich
über die schwer verständlich gewordene Stellung, die Hannover damals zu der
Schleswig-holsteinischen Frage einnahm, zu besprechen und Bellst Klarheit zu
Erschaffen, ob Baiern und Sachsen noch auf das Welfenreich rechnen konnten.
Platen gab ihm "im vollsten Vertralieii" umfassende Aufl.luft über die Auf¬
fassungen und Zielp.alte seiner und des Königs Politik nach der Londoner
Konferenz und nach Beendigung des Krieges mit Dänemark. Er betrachtete
die Erbfolgefrage in den Herzogtümern als eine offene. begriff die warme Teil¬
nahme Sachsens für dem'Augusteuburger nicht und meinte, der Großherzog
von Oldenburg sei unt seinen Ansprüchen zwar spät, aber nicht zu spat ge¬
kommen. Wer von beiden das bessere Recht habe, sei zu prüfen; besonders
wichtig aber sei für einen Nachbarstaat Schleswig-Holsteins wie Hannover die
Frage der politischen Bürgschaften, die diese Kandidaten zu bieten hätten. Es
müsse wünschen, daß der neue Staat weder ein Vasall Preußens uoch nu
Baden um der Nordsee werde, d. h. anarchischen Zuständen anheimfalle. Nun
sei der Augusteuburger der Kandidat des Natioualvereins, der zwar aus Haß
gegen Vismarck augenblicklich die preußische Spitze uicht mehr betone, aber sie
bald wieder hervorkehren werde. Dann lasse sich mit der Verfassung von 1849
Schleswig-Holstein nicht regieren, und der Augusteuburger, der sie angenommen
habe, werde daher fortwährend genötigt sein, preußische Hilfe und Einmischung
verlange", um sich anarchischer Zustände zu erwehren. Wenn er Bismarck




Beobachtungen und Urteile eines sächsischen
Diplomaten

achten wir die Ansichten des Grase» Vitzthum über die Ent¬
wicklung der deutschen Frage kennen gelernt haben, wählen wir
uun einige von den Beobachtungen aus. die er um Verlause seiner
diplomatischen Thätigkeit zu macheu Gelegenheit fand und ver¬
binden damit die Hauptzüge eiuer Auzahl vou Charnkterlulderu
hervorragender Stnatsmäuner. die sein Bericht nach Begegnungen unt diesen
oder nach audern Erfahrungen entwirft.

Im August 1864 ging der Graf in geheimer Sendung vou Dresden nach
Hannover, um sich mit dein Minister von Platen über die Lage und namentlich
über die schwer verständlich gewordene Stellung, die Hannover damals zu der
Schleswig-holsteinischen Frage einnahm, zu besprechen und Bellst Klarheit zu
Erschaffen, ob Baiern und Sachsen noch auf das Welfenreich rechnen konnten.
Platen gab ihm „im vollsten Vertralieii" umfassende Aufl.luft über die Auf¬
fassungen und Zielp.alte seiner und des Königs Politik nach der Londoner
Konferenz und nach Beendigung des Krieges mit Dänemark. Er betrachtete
die Erbfolgefrage in den Herzogtümern als eine offene. begriff die warme Teil¬
nahme Sachsens für dem'Augusteuburger nicht und meinte, der Großherzog
von Oldenburg sei unt seinen Ansprüchen zwar spät, aber nicht zu spat ge¬
kommen. Wer von beiden das bessere Recht habe, sei zu prüfen; besonders
wichtig aber sei für einen Nachbarstaat Schleswig-Holsteins wie Hannover die
Frage der politischen Bürgschaften, die diese Kandidaten zu bieten hätten. Es
müsse wünschen, daß der neue Staat weder ein Vasall Preußens uoch nu
Baden um der Nordsee werde, d. h. anarchischen Zuständen anheimfalle. Nun
sei der Augusteuburger der Kandidat des Natioualvereins, der zwar aus Haß
gegen Vismarck augenblicklich die preußische Spitze uicht mehr betone, aber sie
bald wieder hervorkehren werde. Dann lasse sich mit der Verfassung von 1849
Schleswig-Holstein nicht regieren, und der Augusteuburger, der sie angenommen
habe, werde daher fortwährend genötigt sein, preußische Hilfe und Einmischung
verlange», um sich anarchischer Zustände zu erwehren. Wenn er Bismarck


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[0127] [Abbildung] Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten achten wir die Ansichten des Grase» Vitzthum über die Ent¬ wicklung der deutschen Frage kennen gelernt haben, wählen wir uun einige von den Beobachtungen aus. die er um Verlause seiner diplomatischen Thätigkeit zu macheu Gelegenheit fand und ver¬ binden damit die Hauptzüge eiuer Auzahl vou Charnkterlulderu hervorragender Stnatsmäuner. die sein Bericht nach Begegnungen unt diesen oder nach audern Erfahrungen entwirft. Im August 1864 ging der Graf in geheimer Sendung vou Dresden nach Hannover, um sich mit dein Minister von Platen über die Lage und namentlich über die schwer verständlich gewordene Stellung, die Hannover damals zu der Schleswig-holsteinischen Frage einnahm, zu besprechen und Bellst Klarheit zu Erschaffen, ob Baiern und Sachsen noch auf das Welfenreich rechnen konnten. Platen gab ihm „im vollsten Vertralieii" umfassende Aufl.luft über die Auf¬ fassungen und Zielp.alte seiner und des Königs Politik nach der Londoner Konferenz und nach Beendigung des Krieges mit Dänemark. Er betrachtete die Erbfolgefrage in den Herzogtümern als eine offene. begriff die warme Teil¬ nahme Sachsens für dem'Augusteuburger nicht und meinte, der Großherzog von Oldenburg sei unt seinen Ansprüchen zwar spät, aber nicht zu spat ge¬ kommen. Wer von beiden das bessere Recht habe, sei zu prüfen; besonders wichtig aber sei für einen Nachbarstaat Schleswig-Holsteins wie Hannover die Frage der politischen Bürgschaften, die diese Kandidaten zu bieten hätten. Es müsse wünschen, daß der neue Staat weder ein Vasall Preußens uoch nu Baden um der Nordsee werde, d. h. anarchischen Zuständen anheimfalle. Nun sei der Augusteuburger der Kandidat des Natioualvereins, der zwar aus Haß gegen Vismarck augenblicklich die preußische Spitze uicht mehr betone, aber sie bald wieder hervorkehren werde. Dann lasse sich mit der Verfassung von 1849 Schleswig-Holstein nicht regieren, und der Augusteuburger, der sie angenommen habe, werde daher fortwährend genötigt sein, preußische Hilfe und Einmischung verlange», um sich anarchischer Zustände zu erwehren. Wenn er Bismarck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/127>, abgerufen am 05.05.2024.