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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Sybel über die Gründung des Reiches

Fideikommisse oder Majorate und Rentengüter zu schassen, geboten würde, wäre
kaum zu erwarten, daß davon in zahlreichen Fällen Gebrauch gemacht werden
würde, so lange nicht dnrch Eingreifen des Reiches eine wirkliche Bewegung in
die Sache gebracht würde. Eine solche Bewegung herbeizuführen, hat das
Reichsland selbst uicht genügende Macht und Mittel. Erst wenn die Sache
vom Reiche als eine große nationale Aufgabe anerkannt sein wird, können wir
das Eintreten einer solchen Bewegung hoffen. Bis dahin aber möge man die
Sache auf sich beruhen lassen, einzelne Einwandrer durch Festhalten an der
vom Statthalter Fürsten von Hohenlohe vertretenen Leitung der Landesangelegen¬
heiten im deutschen Sinne aufmuntern, aber vor genossenschaftlichen Unter¬
nehmungen auf der Hut sein, die nnr aus der Sachlage Gewinn ziehen wollen.
Nichts wäre für die nationale Sache mißlicher als Unternehmungen ohne Aussicht
auf Erfolg.




^ybel über die Gründung des Reiches

er zweite Band des Shbelschen Werkes ist bedeutend reicher an
neuen Thatsachen und Urteilen als der erste, während die Dar¬
stellung sich durch dieselbe" Vorzüge, besonders durch wirksame
Anordnung des Stoffes, lichtvolle Anschaulichkeit der Vorgänge
und treffende Charakterschilderungen auszeichnet. Gleich das erste
Kapitel des fünften Buches, worin über die Warschauer Gespräche Gras
Brandenburgs mit den Kaisern Nikolaus und Franz Josef sowie mit Schwarzen-
berg und dann von den Berliner Entschlüssen in der Frage, ob Krieg oder
Frieden, berichtet wird, zerstört dnrch völlig neue Beleuchtung dieser Entwick¬
lung der großen Krisis die Mythe, die bisher von ihr im Umlaufe war-
Brandenburg wurde, so lautete die Überlieferung, vom Zaren mit schnödem
Übermut empfangen, in hochfahrender Weise wurden ihm demütigende Be¬
dingungen angesonnen, geistig und körperlich angegriffen kam er nach Berlin
zurück, gegen seine Überzeugung fügte er sich den friedfertigen Wünschen des
Königs, dem Nadowitz dabei zur Seite stand, und wenige Tage darauf starb
er an gebrochnem Herzen, nachdem er in Fieberphantasien uach Helm und
Schwert gerufen hatte. Sybel weist in sehr ausführlicher Darlegung über¬
zeugend nach, daß der Hauptinhalt und die ganze Tendenz dieser Legende in
entschiedenstem Gegensatze zu den geschichtlichen Thatsachen stehen, und daß
gerade Brandenburg der preußischen Politik in dem Augenblicke, wo ein end-
giltiger Beschluß zu fassen war, die Wendung zur Nachgiebigkeit gegeben hat.


Sybel über die Gründung des Reiches

Fideikommisse oder Majorate und Rentengüter zu schassen, geboten würde, wäre
kaum zu erwarten, daß davon in zahlreichen Fällen Gebrauch gemacht werden
würde, so lange nicht dnrch Eingreifen des Reiches eine wirkliche Bewegung in
die Sache gebracht würde. Eine solche Bewegung herbeizuführen, hat das
Reichsland selbst uicht genügende Macht und Mittel. Erst wenn die Sache
vom Reiche als eine große nationale Aufgabe anerkannt sein wird, können wir
das Eintreten einer solchen Bewegung hoffen. Bis dahin aber möge man die
Sache auf sich beruhen lassen, einzelne Einwandrer durch Festhalten an der
vom Statthalter Fürsten von Hohenlohe vertretenen Leitung der Landesangelegen¬
heiten im deutschen Sinne aufmuntern, aber vor genossenschaftlichen Unter¬
nehmungen auf der Hut sein, die nnr aus der Sachlage Gewinn ziehen wollen.
Nichts wäre für die nationale Sache mißlicher als Unternehmungen ohne Aussicht
auf Erfolg.




^ybel über die Gründung des Reiches

er zweite Band des Shbelschen Werkes ist bedeutend reicher an
neuen Thatsachen und Urteilen als der erste, während die Dar¬
stellung sich durch dieselbe» Vorzüge, besonders durch wirksame
Anordnung des Stoffes, lichtvolle Anschaulichkeit der Vorgänge
und treffende Charakterschilderungen auszeichnet. Gleich das erste
Kapitel des fünften Buches, worin über die Warschauer Gespräche Gras
Brandenburgs mit den Kaisern Nikolaus und Franz Josef sowie mit Schwarzen-
berg und dann von den Berliner Entschlüssen in der Frage, ob Krieg oder
Frieden, berichtet wird, zerstört dnrch völlig neue Beleuchtung dieser Entwick¬
lung der großen Krisis die Mythe, die bisher von ihr im Umlaufe war-
Brandenburg wurde, so lautete die Überlieferung, vom Zaren mit schnödem
Übermut empfangen, in hochfahrender Weise wurden ihm demütigende Be¬
dingungen angesonnen, geistig und körperlich angegriffen kam er nach Berlin
zurück, gegen seine Überzeugung fügte er sich den friedfertigen Wünschen des
Königs, dem Nadowitz dabei zur Seite stand, und wenige Tage darauf starb
er an gebrochnem Herzen, nachdem er in Fieberphantasien uach Helm und
Schwert gerufen hatte. Sybel weist in sehr ausführlicher Darlegung über¬
zeugend nach, daß der Hauptinhalt und die ganze Tendenz dieser Legende in
entschiedenstem Gegensatze zu den geschichtlichen Thatsachen stehen, und daß
gerade Brandenburg der preußischen Politik in dem Augenblicke, wo ein end-
giltiger Beschluß zu fassen war, die Wendung zur Nachgiebigkeit gegeben hat.


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[0270] Sybel über die Gründung des Reiches Fideikommisse oder Majorate und Rentengüter zu schassen, geboten würde, wäre kaum zu erwarten, daß davon in zahlreichen Fällen Gebrauch gemacht werden würde, so lange nicht dnrch Eingreifen des Reiches eine wirkliche Bewegung in die Sache gebracht würde. Eine solche Bewegung herbeizuführen, hat das Reichsland selbst uicht genügende Macht und Mittel. Erst wenn die Sache vom Reiche als eine große nationale Aufgabe anerkannt sein wird, können wir das Eintreten einer solchen Bewegung hoffen. Bis dahin aber möge man die Sache auf sich beruhen lassen, einzelne Einwandrer durch Festhalten an der vom Statthalter Fürsten von Hohenlohe vertretenen Leitung der Landesangelegen¬ heiten im deutschen Sinne aufmuntern, aber vor genossenschaftlichen Unter¬ nehmungen auf der Hut sein, die nnr aus der Sachlage Gewinn ziehen wollen. Nichts wäre für die nationale Sache mißlicher als Unternehmungen ohne Aussicht auf Erfolg. ^ybel über die Gründung des Reiches er zweite Band des Shbelschen Werkes ist bedeutend reicher an neuen Thatsachen und Urteilen als der erste, während die Dar¬ stellung sich durch dieselbe» Vorzüge, besonders durch wirksame Anordnung des Stoffes, lichtvolle Anschaulichkeit der Vorgänge und treffende Charakterschilderungen auszeichnet. Gleich das erste Kapitel des fünften Buches, worin über die Warschauer Gespräche Gras Brandenburgs mit den Kaisern Nikolaus und Franz Josef sowie mit Schwarzen- berg und dann von den Berliner Entschlüssen in der Frage, ob Krieg oder Frieden, berichtet wird, zerstört dnrch völlig neue Beleuchtung dieser Entwick¬ lung der großen Krisis die Mythe, die bisher von ihr im Umlaufe war- Brandenburg wurde, so lautete die Überlieferung, vom Zaren mit schnödem Übermut empfangen, in hochfahrender Weise wurden ihm demütigende Be¬ dingungen angesonnen, geistig und körperlich angegriffen kam er nach Berlin zurück, gegen seine Überzeugung fügte er sich den friedfertigen Wünschen des Königs, dem Nadowitz dabei zur Seite stand, und wenige Tage darauf starb er an gebrochnem Herzen, nachdem er in Fieberphantasien uach Helm und Schwert gerufen hatte. Sybel weist in sehr ausführlicher Darlegung über¬ zeugend nach, daß der Hauptinhalt und die ganze Tendenz dieser Legende in entschiedenstem Gegensatze zu den geschichtlichen Thatsachen stehen, und daß gerade Brandenburg der preußischen Politik in dem Augenblicke, wo ein end- giltiger Beschluß zu fassen war, die Wendung zur Nachgiebigkeit gegeben hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/270>, abgerufen am 06.05.2024.