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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Bedenken über die Sprachverbesserung
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llerhand Sprachdnmmheiten" (in Ur. 48 bis 51 der vorjährigen
Grenzboten) sollten -- zwar nicht in Gold gefaßt werden, das
wäre sehr unpraktisch -- Wohl aber in standhaften Pappdeckel¬
band allen Schulmeistern, Zeitungsschreibern und sonstigen Papier¬
menschen obrigkeitlich verordnet werden, N "verordnet haben sie
gewiß alle Grenzbotenleser mit herzlicher Frende studirt. Was meine Wenigkeit
anlangt, so sind mir die meisten der in dem Sündenregister gerügten Dumm¬
heiten ebenfalls immer widerwärtig gewesen, und wegen der übrigen, deren
Fehlerhaftigkeit mir dadurch erst klar geworden ist, bin ich für die Belehrung
dankbar. Wenn ich dennoch einige allgemeine Gesichtspunkte hervorhebe, in
denen ich mit dem Verfasser nicht ganz übereinstimme, so geschieht das nicht
>n der Meinung, die Wirkung seiner Belehrungen abzuschwächen, sondern in
der Hoffnung, es werde seine gute Absicht fördern, wenn die Sache anch noch
von einer andern Seite her beleuchtet wird.

Die erste Meinungsverschiedenheit bezieht sich auf den papiernen Stil.
Ich wünschte zwar, daß die Schriftsprache so wenig papieren wie möglich wäre,
glaube aber dabei, daß sie niemals mit der gesprochenen völlig übereinstimmen
könne. Wie unmöglich es schon ist, anch nur die Rechtschreibung mit der
Aussprache in genaue Übereinstimmung zu bringen, wie unmöglich das selbst
dann sein würde, wenn jeder Deutsche hochdeutsch spräche, davon hat wohl die
'lbhcrndlung über Phonetik in Ur. 1 der Grenzboten jeden überzeugt. Aber
wie viele Deutsche sprechen hochdeutsch? Für neun Zehntel aller Deutschen
bedeutet die Forderung: Schreibe, wie du sprichst! soviel wie: Schreibe in deiner
Mundart! Und wenn die Absicht des Sprachvereins, das ursprüngliche Wesen
der deutschen Sprache wieder herzustellen, in allem Ernste verwirklicht werden
sollte, so müßte zuvörderst die neuhochdeutsche Schriftsprache preisgegeben und
den Dialekten zurückgekehrt werden. Denn im Anfange der deutschen Ge¬
schichte finden wir weder ein deutsches Volk uoch eine deutsche Sprache, sondern
nur verschiedne Stämme, die zwar verwandte, aber doch verschiedne Sprachen:
gothisch, angelsächsisch u. s. w. reden, die sich als ein Volk nieder fühlen noch
suhlen können, sondern deren gleichartiges Wesen zuerst von den höher gebildeten


Grenzboten I 1890 !!5


Bedenken über die Sprachverbesserung
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llerhand Sprachdnmmheiten" (in Ur. 48 bis 51 der vorjährigen
Grenzboten) sollten — zwar nicht in Gold gefaßt werden, das
wäre sehr unpraktisch — Wohl aber in standhaften Pappdeckel¬
band allen Schulmeistern, Zeitungsschreibern und sonstigen Papier¬
menschen obrigkeitlich verordnet werden, N »verordnet haben sie
gewiß alle Grenzbotenleser mit herzlicher Frende studirt. Was meine Wenigkeit
anlangt, so sind mir die meisten der in dem Sündenregister gerügten Dumm¬
heiten ebenfalls immer widerwärtig gewesen, und wegen der übrigen, deren
Fehlerhaftigkeit mir dadurch erst klar geworden ist, bin ich für die Belehrung
dankbar. Wenn ich dennoch einige allgemeine Gesichtspunkte hervorhebe, in
denen ich mit dem Verfasser nicht ganz übereinstimme, so geschieht das nicht
>n der Meinung, die Wirkung seiner Belehrungen abzuschwächen, sondern in
der Hoffnung, es werde seine gute Absicht fördern, wenn die Sache anch noch
von einer andern Seite her beleuchtet wird.

Die erste Meinungsverschiedenheit bezieht sich auf den papiernen Stil.
Ich wünschte zwar, daß die Schriftsprache so wenig papieren wie möglich wäre,
glaube aber dabei, daß sie niemals mit der gesprochenen völlig übereinstimmen
könne. Wie unmöglich es schon ist, anch nur die Rechtschreibung mit der
Aussprache in genaue Übereinstimmung zu bringen, wie unmöglich das selbst
dann sein würde, wenn jeder Deutsche hochdeutsch spräche, davon hat wohl die
'lbhcrndlung über Phonetik in Ur. 1 der Grenzboten jeden überzeugt. Aber
wie viele Deutsche sprechen hochdeutsch? Für neun Zehntel aller Deutschen
bedeutet die Forderung: Schreibe, wie du sprichst! soviel wie: Schreibe in deiner
Mundart! Und wenn die Absicht des Sprachvereins, das ursprüngliche Wesen
der deutschen Sprache wieder herzustellen, in allem Ernste verwirklicht werden
sollte, so müßte zuvörderst die neuhochdeutsche Schriftsprache preisgegeben und
den Dialekten zurückgekehrt werden. Denn im Anfange der deutschen Ge¬
schichte finden wir weder ein deutsches Volk uoch eine deutsche Sprache, sondern
nur verschiedne Stämme, die zwar verwandte, aber doch verschiedne Sprachen:
gothisch, angelsächsisch u. s. w. reden, die sich als ein Volk nieder fühlen noch
suhlen können, sondern deren gleichartiges Wesen zuerst von den höher gebildeten


Grenzboten I 1890 !!5
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[0281] [Abbildung] Bedenken über die Sprachverbesserung i llerhand Sprachdnmmheiten" (in Ur. 48 bis 51 der vorjährigen Grenzboten) sollten — zwar nicht in Gold gefaßt werden, das wäre sehr unpraktisch — Wohl aber in standhaften Pappdeckel¬ band allen Schulmeistern, Zeitungsschreibern und sonstigen Papier¬ menschen obrigkeitlich verordnet werden, N »verordnet haben sie gewiß alle Grenzbotenleser mit herzlicher Frende studirt. Was meine Wenigkeit anlangt, so sind mir die meisten der in dem Sündenregister gerügten Dumm¬ heiten ebenfalls immer widerwärtig gewesen, und wegen der übrigen, deren Fehlerhaftigkeit mir dadurch erst klar geworden ist, bin ich für die Belehrung dankbar. Wenn ich dennoch einige allgemeine Gesichtspunkte hervorhebe, in denen ich mit dem Verfasser nicht ganz übereinstimme, so geschieht das nicht >n der Meinung, die Wirkung seiner Belehrungen abzuschwächen, sondern in der Hoffnung, es werde seine gute Absicht fördern, wenn die Sache anch noch von einer andern Seite her beleuchtet wird. Die erste Meinungsverschiedenheit bezieht sich auf den papiernen Stil. Ich wünschte zwar, daß die Schriftsprache so wenig papieren wie möglich wäre, glaube aber dabei, daß sie niemals mit der gesprochenen völlig übereinstimmen könne. Wie unmöglich es schon ist, anch nur die Rechtschreibung mit der Aussprache in genaue Übereinstimmung zu bringen, wie unmöglich das selbst dann sein würde, wenn jeder Deutsche hochdeutsch spräche, davon hat wohl die 'lbhcrndlung über Phonetik in Ur. 1 der Grenzboten jeden überzeugt. Aber wie viele Deutsche sprechen hochdeutsch? Für neun Zehntel aller Deutschen bedeutet die Forderung: Schreibe, wie du sprichst! soviel wie: Schreibe in deiner Mundart! Und wenn die Absicht des Sprachvereins, das ursprüngliche Wesen der deutschen Sprache wieder herzustellen, in allem Ernste verwirklicht werden sollte, so müßte zuvörderst die neuhochdeutsche Schriftsprache preisgegeben und den Dialekten zurückgekehrt werden. Denn im Anfange der deutschen Ge¬ schichte finden wir weder ein deutsches Volk uoch eine deutsche Sprache, sondern nur verschiedne Stämme, die zwar verwandte, aber doch verschiedne Sprachen: gothisch, angelsächsisch u. s. w. reden, die sich als ein Volk nieder fühlen noch suhlen können, sondern deren gleichartiges Wesen zuerst von den höher gebildeten Grenzboten I 1890 !!5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/281>, abgerufen am 06.05.2024.