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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Bedenken über die Sprachverbesserung

Die größere Redefertigkeit der Frauen rührt weniger von natürlicher Anlage
als von größerer Übung her; sie haben in der Jugend nicht so viel Schul¬
stunden zu erdulden, und ihre spätern Arbeiten, Nähen und Stricken, Kochen
und Waschen, Einkaufen und Kinder pflegen, gestatten es meistens, daß dabei
ein Wörtchen geplaudert wird. Uns Männer aber erwarten nach der großen
Schulschweigezeit wiederum Berufsarbeiten, die es nicht leiden, daß muntre
Reden sie begleiten, außer man wühlt einen Beruf, dessen Arbeit eben im
Reden besteht, und wird Advokat, Lehrer, hervorragender Parlamentarier oder
sozialdemokratischer Agitator.


3

Nachdem der Verfasser der "Sprachdummheiten" die Ansicht ausgesprochen
hat, daß. vom Sprachverein zunächst wenig zu erwarten sei, darf ich wohl das
Bekenntnis wagen, daß mir auch die ans dem Worte "zunächst" hervorleuchtende
Hoffnung auf die Zukunft unberechtigt erscheint. Einem Gebirgsverein ver¬
ursacht die Frage, wie er seine Absichten verwirklichen könne, leine Kopfschmerzen,
er braucht nur das erforderliche Geld zu sammeln und die Wege anzugeben,
die in Stand gesetzt werden sollen, und er findet fleißige Hände im Überfluß,
die seineu Plan ohne Rest verwirklichen. Aber wie in aller Welt wollen die
Herren vom Sprachverein es anstellen, den schlechten Stil ihrer Mitmenschen
und ihren eignen zu verbessern? Ein Tugendbund kann schon froh sein, wenn
er sich nicht in einen Lasterbnnd verwandelt. Niemand -- das gestehen auch
die Grenzboten zu -- schreibt absichtlich schlecht, wie auch niemand sündigt,
um lasterhaft zu fein. Sondern man macht Sprach- wie Tugendschnitzer, weil
das Fleisch schwach bleibt, mag der Geist auch noch so willig sein. Der Weg
Mr Hölle ist mit guten Borsätzen gepflastert, und heilige Gelöbnisse pflegen
>vödl die Zahl der Versuchungen, aber nicht die Kraft zu vermehren; weiß man
in doch recht gut, wie es so einem heiligen Antonius geht! Eines könnte der
Sprachverein allerdings thun, er könnte auf die täglich neu auftauchenden
Sprachdmmnheiten Jagd machen und sie in seiner Zeitschrift oder noch besser
in sämtlichen angesehenen Zeitschriften Deutschlands allmonatlich an den Pranger
stellen. Die Schriftsteller würden sich dann ein wenig vor ihnen in acht nehmen,
und die Lehrer würden aufpassen, daß sie nicht bei den Schülern einreißen.
'^b das durchgreifend wirken würde, läßt sich nicht voraussehen; die im günstigsten
Falle erzielte negative Vollkommenheit, die Freiheit von Sünden, könnte zwar
tur sich allein noch keine neue Blütezeit unsrer Sprache herbeiführen, doch
U'ore Reinigung von groben Verunstaltungen immerhin ein höchst schätzbarer
Gewinn. Diesen Weg hat, wie wir aus den Grenzboten erfahren, der Sprach¬
verein noch nicht beschritten, und es muß abgewartet werden, ob er der vom
^erfasfer der "Sprachdnmmheiten" gegebenen Anregung folgen wird. Selbst¬
verständliche Voraussetzung für die ersprießliche Wirksamkeit eines Gerichtshofes,


Bedenken über die Sprachverbesserung

Die größere Redefertigkeit der Frauen rührt weniger von natürlicher Anlage
als von größerer Übung her; sie haben in der Jugend nicht so viel Schul¬
stunden zu erdulden, und ihre spätern Arbeiten, Nähen und Stricken, Kochen
und Waschen, Einkaufen und Kinder pflegen, gestatten es meistens, daß dabei
ein Wörtchen geplaudert wird. Uns Männer aber erwarten nach der großen
Schulschweigezeit wiederum Berufsarbeiten, die es nicht leiden, daß muntre
Reden sie begleiten, außer man wühlt einen Beruf, dessen Arbeit eben im
Reden besteht, und wird Advokat, Lehrer, hervorragender Parlamentarier oder
sozialdemokratischer Agitator.


3

Nachdem der Verfasser der „Sprachdummheiten" die Ansicht ausgesprochen
hat, daß. vom Sprachverein zunächst wenig zu erwarten sei, darf ich wohl das
Bekenntnis wagen, daß mir auch die ans dem Worte „zunächst" hervorleuchtende
Hoffnung auf die Zukunft unberechtigt erscheint. Einem Gebirgsverein ver¬
ursacht die Frage, wie er seine Absichten verwirklichen könne, leine Kopfschmerzen,
er braucht nur das erforderliche Geld zu sammeln und die Wege anzugeben,
die in Stand gesetzt werden sollen, und er findet fleißige Hände im Überfluß,
die seineu Plan ohne Rest verwirklichen. Aber wie in aller Welt wollen die
Herren vom Sprachverein es anstellen, den schlechten Stil ihrer Mitmenschen
und ihren eignen zu verbessern? Ein Tugendbund kann schon froh sein, wenn
er sich nicht in einen Lasterbnnd verwandelt. Niemand — das gestehen auch
die Grenzboten zu — schreibt absichtlich schlecht, wie auch niemand sündigt,
um lasterhaft zu fein. Sondern man macht Sprach- wie Tugendschnitzer, weil
das Fleisch schwach bleibt, mag der Geist auch noch so willig sein. Der Weg
Mr Hölle ist mit guten Borsätzen gepflastert, und heilige Gelöbnisse pflegen
>vödl die Zahl der Versuchungen, aber nicht die Kraft zu vermehren; weiß man
in doch recht gut, wie es so einem heiligen Antonius geht! Eines könnte der
Sprachverein allerdings thun, er könnte auf die täglich neu auftauchenden
Sprachdmmnheiten Jagd machen und sie in seiner Zeitschrift oder noch besser
in sämtlichen angesehenen Zeitschriften Deutschlands allmonatlich an den Pranger
stellen. Die Schriftsteller würden sich dann ein wenig vor ihnen in acht nehmen,
und die Lehrer würden aufpassen, daß sie nicht bei den Schülern einreißen.
'^b das durchgreifend wirken würde, läßt sich nicht voraussehen; die im günstigsten
Falle erzielte negative Vollkommenheit, die Freiheit von Sünden, könnte zwar
tur sich allein noch keine neue Blütezeit unsrer Sprache herbeiführen, doch
U'ore Reinigung von groben Verunstaltungen immerhin ein höchst schätzbarer
Gewinn. Diesen Weg hat, wie wir aus den Grenzboten erfahren, der Sprach¬
verein noch nicht beschritten, und es muß abgewartet werden, ob er der vom
^erfasfer der „Sprachdnmmheiten" gegebenen Anregung folgen wird. Selbst¬
verständliche Voraussetzung für die ersprießliche Wirksamkeit eines Gerichtshofes,


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[0291] Bedenken über die Sprachverbesserung Die größere Redefertigkeit der Frauen rührt weniger von natürlicher Anlage als von größerer Übung her; sie haben in der Jugend nicht so viel Schul¬ stunden zu erdulden, und ihre spätern Arbeiten, Nähen und Stricken, Kochen und Waschen, Einkaufen und Kinder pflegen, gestatten es meistens, daß dabei ein Wörtchen geplaudert wird. Uns Männer aber erwarten nach der großen Schulschweigezeit wiederum Berufsarbeiten, die es nicht leiden, daß muntre Reden sie begleiten, außer man wühlt einen Beruf, dessen Arbeit eben im Reden besteht, und wird Advokat, Lehrer, hervorragender Parlamentarier oder sozialdemokratischer Agitator. 3 Nachdem der Verfasser der „Sprachdummheiten" die Ansicht ausgesprochen hat, daß. vom Sprachverein zunächst wenig zu erwarten sei, darf ich wohl das Bekenntnis wagen, daß mir auch die ans dem Worte „zunächst" hervorleuchtende Hoffnung auf die Zukunft unberechtigt erscheint. Einem Gebirgsverein ver¬ ursacht die Frage, wie er seine Absichten verwirklichen könne, leine Kopfschmerzen, er braucht nur das erforderliche Geld zu sammeln und die Wege anzugeben, die in Stand gesetzt werden sollen, und er findet fleißige Hände im Überfluß, die seineu Plan ohne Rest verwirklichen. Aber wie in aller Welt wollen die Herren vom Sprachverein es anstellen, den schlechten Stil ihrer Mitmenschen und ihren eignen zu verbessern? Ein Tugendbund kann schon froh sein, wenn er sich nicht in einen Lasterbnnd verwandelt. Niemand — das gestehen auch die Grenzboten zu — schreibt absichtlich schlecht, wie auch niemand sündigt, um lasterhaft zu fein. Sondern man macht Sprach- wie Tugendschnitzer, weil das Fleisch schwach bleibt, mag der Geist auch noch so willig sein. Der Weg Mr Hölle ist mit guten Borsätzen gepflastert, und heilige Gelöbnisse pflegen >vödl die Zahl der Versuchungen, aber nicht die Kraft zu vermehren; weiß man in doch recht gut, wie es so einem heiligen Antonius geht! Eines könnte der Sprachverein allerdings thun, er könnte auf die täglich neu auftauchenden Sprachdmmnheiten Jagd machen und sie in seiner Zeitschrift oder noch besser in sämtlichen angesehenen Zeitschriften Deutschlands allmonatlich an den Pranger stellen. Die Schriftsteller würden sich dann ein wenig vor ihnen in acht nehmen, und die Lehrer würden aufpassen, daß sie nicht bei den Schülern einreißen. '^b das durchgreifend wirken würde, läßt sich nicht voraussehen; die im günstigsten Falle erzielte negative Vollkommenheit, die Freiheit von Sünden, könnte zwar tur sich allein noch keine neue Blütezeit unsrer Sprache herbeiführen, doch U'ore Reinigung von groben Verunstaltungen immerhin ein höchst schätzbarer Gewinn. Diesen Weg hat, wie wir aus den Grenzboten erfahren, der Sprach¬ verein noch nicht beschritten, und es muß abgewartet werden, ob er der vom ^erfasfer der „Sprachdnmmheiten" gegebenen Anregung folgen wird. Selbst¬ verständliche Voraussetzung für die ersprießliche Wirksamkeit eines Gerichtshofes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/291>, abgerufen am 06.05.2024.