Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

An die Reduktion der Grenzboten.

Mit wie lebhaftem Anteil ich
Ihren Ausführungen über Sprachdummheiten folge, brauche ich Ihnen nicht zu
sagen. In manchen Fällen denk ich freilich milder; aber einig sind wir überall
da, wo die Dummheiten aus Überklugheit stammen. Lassen Sie mich einen solchen
Fall etwas näher beleuchten.

Schon im vorigen Jahre haben Sie, aus einem Bericht über die Rede unsers
Kaisers an die Bergleute, den Mustersatz festgenagelt: und dieselbe (meine Macht)
ist eine große. Im letzten Heft (Seite 314 bis 316) kommen Sie auf die Er¬
scheinung zurück und sprechen die Vermutung aus, es liege vielleicht lateinischer
oder französischer Einfluß vor. Eine Stelle in Hermann Schillers Handbuch der
Praktischen Pädagogik scheint die Vermutung zu bestätigen. Da wird (Seite 353)
dem Lateinlehrer empfohlen zur Einübung von rot-r sse rotniuür erst im Deutschen
bilden zu lassen: das Rad ist ein rundes. Aber das geht ja noch hinaus über
den modischen Gebrauch! Es heißt wohl- die Gestalt des Rades ist eine runde,
oder! dies Rad ist ein hohes, breites, vierzvlliges; oder: das Rad ist ein rundes?
Die Erklärung des Papiernen Gebrauchs liegt also nicht auf grammatischem, sondern
aus logischem Gebiete. Es ist eben wieder eine von den großen Feinheiten unsers
scharfsinnigen Freundes. Einigen Sinn hat der Scharfsinn in Sätzen, wie: das
Regiment dort ist ein Preußisches; das heißt: eins von den preußischen, während
"dies Regiment ist preußisch" wohl auch heißen könnte: nach Gesinnung, Haltung
oder Ausbildung preußisch; oder: das Buch, das ich gestern erhielt, war ein ge-
bundnes, und ich hatte doch um eins von den "ngebnndnen gebeten; oder: die
attische Vase hier ist eine schwarzfignrige, keine rotfignrige; hier also, wo es sich
um feste Einteilungen handelt, und das Adjektiv mit dem unbestimmten Artikel
weiter nichts besagen Null, als die Zugehörigkeit des Subjekts zu der und der
Klasse. Es entspricht nun ganz der Einteilungssucht des großen Logikers, auch
gegen den Geist unsrer Sprache und weit über das Bedürfnis des Lebens und der
Wissenschaft hinaus, allmählich aus allen Adjektiven Einteilungsprinzipien zu ge¬
winnen. Die Leistungen der Schauspieler werden eingeteilt, wie Schülerarbeiten,
>n vorzügliche, gute, befriedigende, mittelmäßige, unbefriedigende, und die freund¬
lichen Kundgebungen der Zuschauer in mäßige, lebhafte, begeisterte, nicht enden
wollende und so weiter; und gewiß ist der Papierne Grammatiker hochbeglückt, sich
hierbei mit einigem Scheine Rechtens ans fremde, logischere Sprachen, wie er
weint, berufen zu können. Wenn nun die Gouvernante im französischen Unterricht
dem praktischen Lateinlehrer getreulich fekundirt und gutem Französisch zuliebe
schlechtes Deutsch bilden läßt, dann erscheinen Wohl der gelehrigen deutschen Jugend
bald Sätze, wie: der Wahn ist kurz, die Ren ist lang/als dichterische Freiheiten,
denen gegenüber die ehrbare Prosa hübsch den Wahn einen kurzen, die Rene eine
lange zu nennen habe. Aber der ernste Kampf gegen den Wahn wird schließlich
kein ganz vergeblicher sein; übrigens wissen Sie ja: Arbeit macht das Leben --
M einem süßen.


Veto Schroeder


Maßgebliches und Unmaßgebliches

An die Reduktion der Grenzboten.

Mit wie lebhaftem Anteil ich
Ihren Ausführungen über Sprachdummheiten folge, brauche ich Ihnen nicht zu
sagen. In manchen Fällen denk ich freilich milder; aber einig sind wir überall
da, wo die Dummheiten aus Überklugheit stammen. Lassen Sie mich einen solchen
Fall etwas näher beleuchten.

Schon im vorigen Jahre haben Sie, aus einem Bericht über die Rede unsers
Kaisers an die Bergleute, den Mustersatz festgenagelt: und dieselbe (meine Macht)
ist eine große. Im letzten Heft (Seite 314 bis 316) kommen Sie auf die Er¬
scheinung zurück und sprechen die Vermutung aus, es liege vielleicht lateinischer
oder französischer Einfluß vor. Eine Stelle in Hermann Schillers Handbuch der
Praktischen Pädagogik scheint die Vermutung zu bestätigen. Da wird (Seite 353)
dem Lateinlehrer empfohlen zur Einübung von rot-r sse rotniuür erst im Deutschen
bilden zu lassen: das Rad ist ein rundes. Aber das geht ja noch hinaus über
den modischen Gebrauch! Es heißt wohl- die Gestalt des Rades ist eine runde,
oder! dies Rad ist ein hohes, breites, vierzvlliges; oder: das Rad ist ein rundes?
Die Erklärung des Papiernen Gebrauchs liegt also nicht auf grammatischem, sondern
aus logischem Gebiete. Es ist eben wieder eine von den großen Feinheiten unsers
scharfsinnigen Freundes. Einigen Sinn hat der Scharfsinn in Sätzen, wie: das
Regiment dort ist ein Preußisches; das heißt: eins von den preußischen, während
»dies Regiment ist preußisch" wohl auch heißen könnte: nach Gesinnung, Haltung
oder Ausbildung preußisch; oder: das Buch, das ich gestern erhielt, war ein ge-
bundnes, und ich hatte doch um eins von den »ngebnndnen gebeten; oder: die
attische Vase hier ist eine schwarzfignrige, keine rotfignrige; hier also, wo es sich
um feste Einteilungen handelt, und das Adjektiv mit dem unbestimmten Artikel
weiter nichts besagen Null, als die Zugehörigkeit des Subjekts zu der und der
Klasse. Es entspricht nun ganz der Einteilungssucht des großen Logikers, auch
gegen den Geist unsrer Sprache und weit über das Bedürfnis des Lebens und der
Wissenschaft hinaus, allmählich aus allen Adjektiven Einteilungsprinzipien zu ge¬
winnen. Die Leistungen der Schauspieler werden eingeteilt, wie Schülerarbeiten,
>n vorzügliche, gute, befriedigende, mittelmäßige, unbefriedigende, und die freund¬
lichen Kundgebungen der Zuschauer in mäßige, lebhafte, begeisterte, nicht enden
wollende und so weiter; und gewiß ist der Papierne Grammatiker hochbeglückt, sich
hierbei mit einigem Scheine Rechtens ans fremde, logischere Sprachen, wie er
weint, berufen zu können. Wenn nun die Gouvernante im französischen Unterricht
dem praktischen Lateinlehrer getreulich fekundirt und gutem Französisch zuliebe
schlechtes Deutsch bilden läßt, dann erscheinen Wohl der gelehrigen deutschen Jugend
bald Sätze, wie: der Wahn ist kurz, die Ren ist lang/als dichterische Freiheiten,
denen gegenüber die ehrbare Prosa hübsch den Wahn einen kurzen, die Rene eine
lange zu nennen habe. Aber der ernste Kampf gegen den Wahn wird schließlich
kein ganz vergeblicher sein; übrigens wissen Sie ja: Arbeit macht das Leben —
M einem süßen.


Veto Schroeder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0397" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207042"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> An die Reduktion der Grenzboten.</head>
            <p xml:id="ID_1048"> Mit wie lebhaftem Anteil ich<lb/>
Ihren Ausführungen über Sprachdummheiten folge, brauche ich Ihnen nicht zu<lb/>
sagen. In manchen Fällen denk ich freilich milder; aber einig sind wir überall<lb/>
da, wo die Dummheiten aus Überklugheit stammen. Lassen Sie mich einen solchen<lb/>
Fall etwas näher beleuchten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1049"> Schon im vorigen Jahre haben Sie, aus einem Bericht über die Rede unsers<lb/>
Kaisers an die Bergleute, den Mustersatz festgenagelt: und dieselbe (meine Macht)<lb/>
ist eine große. Im letzten Heft (Seite 314 bis 316) kommen Sie auf die Er¬<lb/>
scheinung zurück und sprechen die Vermutung aus, es liege vielleicht lateinischer<lb/>
oder französischer Einfluß vor. Eine Stelle in Hermann Schillers Handbuch der<lb/>
Praktischen Pädagogik scheint die Vermutung zu bestätigen. Da wird (Seite 353)<lb/>
dem Lateinlehrer empfohlen zur Einübung von rot-r sse rotniuür erst im Deutschen<lb/>
bilden zu lassen: das Rad ist ein rundes. Aber das geht ja noch hinaus über<lb/>
den modischen Gebrauch! Es heißt wohl- die Gestalt des Rades ist eine runde,<lb/>
oder! dies Rad ist ein hohes, breites, vierzvlliges; oder: das Rad ist ein rundes?<lb/>
Die Erklärung des Papiernen Gebrauchs liegt also nicht auf grammatischem, sondern<lb/>
aus logischem Gebiete. Es ist eben wieder eine von den großen Feinheiten unsers<lb/>
scharfsinnigen Freundes. Einigen Sinn hat der Scharfsinn in Sätzen, wie: das<lb/>
Regiment dort ist ein Preußisches; das heißt: eins von den preußischen, während<lb/>
»dies Regiment ist preußisch" wohl auch heißen könnte: nach Gesinnung, Haltung<lb/>
oder Ausbildung preußisch; oder: das Buch, das ich gestern erhielt, war ein ge-<lb/>
bundnes, und ich hatte doch um eins von den »ngebnndnen gebeten; oder: die<lb/>
attische Vase hier ist eine schwarzfignrige, keine rotfignrige; hier also, wo es sich<lb/>
um feste Einteilungen handelt, und das Adjektiv mit dem unbestimmten Artikel<lb/>
weiter nichts besagen Null, als die Zugehörigkeit des Subjekts zu der und der<lb/>
Klasse. Es entspricht nun ganz der Einteilungssucht des großen Logikers, auch<lb/>
gegen den Geist unsrer Sprache und weit über das Bedürfnis des Lebens und der<lb/>
Wissenschaft hinaus, allmählich aus allen Adjektiven Einteilungsprinzipien zu ge¬<lb/>
winnen. Die Leistungen der Schauspieler werden eingeteilt, wie Schülerarbeiten,<lb/>
&gt;n vorzügliche, gute, befriedigende, mittelmäßige, unbefriedigende, und die freund¬<lb/>
lichen Kundgebungen der Zuschauer in mäßige, lebhafte, begeisterte, nicht enden<lb/>
wollende und so weiter; und gewiß ist der Papierne Grammatiker hochbeglückt, sich<lb/>
hierbei mit einigem Scheine Rechtens ans fremde, logischere Sprachen, wie er<lb/>
weint, berufen zu können. Wenn nun die Gouvernante im französischen Unterricht<lb/>
dem praktischen Lateinlehrer getreulich fekundirt und gutem Französisch zuliebe<lb/>
schlechtes Deutsch bilden läßt, dann erscheinen Wohl der gelehrigen deutschen Jugend<lb/>
bald Sätze, wie: der Wahn ist kurz, die Ren ist lang/als dichterische Freiheiten,<lb/>
denen gegenüber die ehrbare Prosa hübsch den Wahn einen kurzen, die Rene eine<lb/>
lange zu nennen habe. Aber der ernste Kampf gegen den Wahn wird schließlich<lb/>
kein ganz vergeblicher sein; übrigens wissen Sie ja: Arbeit macht das Leben &#x2014;<lb/>
M einem süßen.</p><lb/>
            <note type="byline"> Veto Schroeder</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0397] Maßgebliches und Unmaßgebliches An die Reduktion der Grenzboten. Mit wie lebhaftem Anteil ich Ihren Ausführungen über Sprachdummheiten folge, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. In manchen Fällen denk ich freilich milder; aber einig sind wir überall da, wo die Dummheiten aus Überklugheit stammen. Lassen Sie mich einen solchen Fall etwas näher beleuchten. Schon im vorigen Jahre haben Sie, aus einem Bericht über die Rede unsers Kaisers an die Bergleute, den Mustersatz festgenagelt: und dieselbe (meine Macht) ist eine große. Im letzten Heft (Seite 314 bis 316) kommen Sie auf die Er¬ scheinung zurück und sprechen die Vermutung aus, es liege vielleicht lateinischer oder französischer Einfluß vor. Eine Stelle in Hermann Schillers Handbuch der Praktischen Pädagogik scheint die Vermutung zu bestätigen. Da wird (Seite 353) dem Lateinlehrer empfohlen zur Einübung von rot-r sse rotniuür erst im Deutschen bilden zu lassen: das Rad ist ein rundes. Aber das geht ja noch hinaus über den modischen Gebrauch! Es heißt wohl- die Gestalt des Rades ist eine runde, oder! dies Rad ist ein hohes, breites, vierzvlliges; oder: das Rad ist ein rundes? Die Erklärung des Papiernen Gebrauchs liegt also nicht auf grammatischem, sondern aus logischem Gebiete. Es ist eben wieder eine von den großen Feinheiten unsers scharfsinnigen Freundes. Einigen Sinn hat der Scharfsinn in Sätzen, wie: das Regiment dort ist ein Preußisches; das heißt: eins von den preußischen, während »dies Regiment ist preußisch" wohl auch heißen könnte: nach Gesinnung, Haltung oder Ausbildung preußisch; oder: das Buch, das ich gestern erhielt, war ein ge- bundnes, und ich hatte doch um eins von den »ngebnndnen gebeten; oder: die attische Vase hier ist eine schwarzfignrige, keine rotfignrige; hier also, wo es sich um feste Einteilungen handelt, und das Adjektiv mit dem unbestimmten Artikel weiter nichts besagen Null, als die Zugehörigkeit des Subjekts zu der und der Klasse. Es entspricht nun ganz der Einteilungssucht des großen Logikers, auch gegen den Geist unsrer Sprache und weit über das Bedürfnis des Lebens und der Wissenschaft hinaus, allmählich aus allen Adjektiven Einteilungsprinzipien zu ge¬ winnen. Die Leistungen der Schauspieler werden eingeteilt, wie Schülerarbeiten, >n vorzügliche, gute, befriedigende, mittelmäßige, unbefriedigende, und die freund¬ lichen Kundgebungen der Zuschauer in mäßige, lebhafte, begeisterte, nicht enden wollende und so weiter; und gewiß ist der Papierne Grammatiker hochbeglückt, sich hierbei mit einigem Scheine Rechtens ans fremde, logischere Sprachen, wie er weint, berufen zu können. Wenn nun die Gouvernante im französischen Unterricht dem praktischen Lateinlehrer getreulich fekundirt und gutem Französisch zuliebe schlechtes Deutsch bilden läßt, dann erscheinen Wohl der gelehrigen deutschen Jugend bald Sätze, wie: der Wahn ist kurz, die Ren ist lang/als dichterische Freiheiten, denen gegenüber die ehrbare Prosa hübsch den Wahn einen kurzen, die Rene eine lange zu nennen habe. Aber der ernste Kampf gegen den Wahn wird schließlich kein ganz vergeblicher sein; übrigens wissen Sie ja: Arbeit macht das Leben — M einem süßen. Veto Schroeder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/397
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/397>, abgerufen am 05.05.2024.