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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Natur im voraus bestimmt zu sein scheint. Ich sandte deshalb sofort Mathem
einen aufrichtig gemeinten Glückwunsch und stattete einige Tage nachher meinen
Besuch ab.

Ihn trcis ich zu Hause, die Frau aber nicht, sie war auf der Praxis.
Mathem war würdevoll und still vergnügt.

Jetzt habe ichs wirklich in jeder Hinsicht ausgezeichnet, sagte er. Das
einzige Bittere ist, wenn meine Frau in der Nacht herausgeklingelt wird, dann
wache ich gewöhnlich auch auf. Aber ich hoffe, ich werde mich schließlich doch
daran gewöhnen, das Klingeln zu verschlafen.

Wir teilen Wohl alle von ganzem Herzen die Hoffnungen des sonst so
zufriedenen Ehemannes.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Noch drei Epiloge zu den Wahlen.

Im Anschluß an die Ergebnisse der
Neichstagswahlen ist uns von unsern politischen Mitarbeitern eine außergewöhnlich
große Zahl von Betrachtungen und Meinungsäußerungen zugesandt worden. Leider
können wir sie nicht alle zum Abdruck bringen. Für heute geben wir nur noch
drei davou, deren verschiedne Gedankengänge mit einander zu vergleichen dem Leser
gewiß anziehend sein wird. Einzelnes von dein, Was darin angeregt wird, soll
in den nächsten Heften noch weiter ausgeführt Werden.

1

Die radikalen Parteiblätter jauchzen. Das Kartell liegt auf der Strecke!
jubelt hetzlustig die Frankfurter Zeitung, nud andre Blätter derselben Richtung er¬
klären den Zusammenbruch des Negierungssystems Bismarck aus den letzten zehn
Jahren für besiegelt. In dieser Siegesfreude über die Niederlage des Kartells,
dessen Mehrheit im künftigen Reichstage allerdings beseitigt ist, übersehen die frei¬
sinnigen Preßorgane nur eine Thatsache: daß der Zug nach links, der im Volke
wehen soll, sich nicht ihnen, sondern den Sozialdemokraten zugewendet hat, während
die freisinnige Partei und ihr Anhang im günstigsten Falle eine jedenfalls nicht
maßgebende Vermehrung erfahren haben wird. Ihrem Einfluß und dem ihrer
Verbündeten stehen aber als gleichwertig bei denk Znstandebringen der Gesetze gegen¬
über der Bundesrat und der Kaiser, dem verfassungsgemäß die Bcrkündung und
Ausfertigung der Gesetze zusteht.

Wir meinen, daß man sich in den fortschrittlichen Kreisen einer sehr starken
Täuschung über die Schätzung des Parlamentarismus im Volke hingiebt. Die
politische Selbständigkeit und die Teilnahme an den Staatsangelegenheiten, die Nur


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Natur im voraus bestimmt zu sein scheint. Ich sandte deshalb sofort Mathem
einen aufrichtig gemeinten Glückwunsch und stattete einige Tage nachher meinen
Besuch ab.

Ihn trcis ich zu Hause, die Frau aber nicht, sie war auf der Praxis.
Mathem war würdevoll und still vergnügt.

Jetzt habe ichs wirklich in jeder Hinsicht ausgezeichnet, sagte er. Das
einzige Bittere ist, wenn meine Frau in der Nacht herausgeklingelt wird, dann
wache ich gewöhnlich auch auf. Aber ich hoffe, ich werde mich schließlich doch
daran gewöhnen, das Klingeln zu verschlafen.

Wir teilen Wohl alle von ganzem Herzen die Hoffnungen des sonst so
zufriedenen Ehemannes.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Noch drei Epiloge zu den Wahlen.

Im Anschluß an die Ergebnisse der
Neichstagswahlen ist uns von unsern politischen Mitarbeitern eine außergewöhnlich
große Zahl von Betrachtungen und Meinungsäußerungen zugesandt worden. Leider
können wir sie nicht alle zum Abdruck bringen. Für heute geben wir nur noch
drei davou, deren verschiedne Gedankengänge mit einander zu vergleichen dem Leser
gewiß anziehend sein wird. Einzelnes von dein, Was darin angeregt wird, soll
in den nächsten Heften noch weiter ausgeführt Werden.

1

Die radikalen Parteiblätter jauchzen. Das Kartell liegt auf der Strecke!
jubelt hetzlustig die Frankfurter Zeitung, nud andre Blätter derselben Richtung er¬
klären den Zusammenbruch des Negierungssystems Bismarck aus den letzten zehn
Jahren für besiegelt. In dieser Siegesfreude über die Niederlage des Kartells,
dessen Mehrheit im künftigen Reichstage allerdings beseitigt ist, übersehen die frei¬
sinnigen Preßorgane nur eine Thatsache: daß der Zug nach links, der im Volke
wehen soll, sich nicht ihnen, sondern den Sozialdemokraten zugewendet hat, während
die freisinnige Partei und ihr Anhang im günstigsten Falle eine jedenfalls nicht
maßgebende Vermehrung erfahren haben wird. Ihrem Einfluß und dem ihrer
Verbündeten stehen aber als gleichwertig bei denk Znstandebringen der Gesetze gegen¬
über der Bundesrat und der Kaiser, dem verfassungsgemäß die Bcrkündung und
Ausfertigung der Gesetze zusteht.

Wir meinen, daß man sich in den fortschrittlichen Kreisen einer sehr starken
Täuschung über die Schätzung des Parlamentarismus im Volke hingiebt. Die
politische Selbständigkeit und die Teilnahme an den Staatsangelegenheiten, die Nur


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[0581] Maßgebliches und Unmaßgebliches Natur im voraus bestimmt zu sein scheint. Ich sandte deshalb sofort Mathem einen aufrichtig gemeinten Glückwunsch und stattete einige Tage nachher meinen Besuch ab. Ihn trcis ich zu Hause, die Frau aber nicht, sie war auf der Praxis. Mathem war würdevoll und still vergnügt. Jetzt habe ichs wirklich in jeder Hinsicht ausgezeichnet, sagte er. Das einzige Bittere ist, wenn meine Frau in der Nacht herausgeklingelt wird, dann wache ich gewöhnlich auch auf. Aber ich hoffe, ich werde mich schließlich doch daran gewöhnen, das Klingeln zu verschlafen. Wir teilen Wohl alle von ganzem Herzen die Hoffnungen des sonst so zufriedenen Ehemannes. Maßgebliches und Unmaßgebliches Noch drei Epiloge zu den Wahlen. Im Anschluß an die Ergebnisse der Neichstagswahlen ist uns von unsern politischen Mitarbeitern eine außergewöhnlich große Zahl von Betrachtungen und Meinungsäußerungen zugesandt worden. Leider können wir sie nicht alle zum Abdruck bringen. Für heute geben wir nur noch drei davou, deren verschiedne Gedankengänge mit einander zu vergleichen dem Leser gewiß anziehend sein wird. Einzelnes von dein, Was darin angeregt wird, soll in den nächsten Heften noch weiter ausgeführt Werden. 1 Die radikalen Parteiblätter jauchzen. Das Kartell liegt auf der Strecke! jubelt hetzlustig die Frankfurter Zeitung, nud andre Blätter derselben Richtung er¬ klären den Zusammenbruch des Negierungssystems Bismarck aus den letzten zehn Jahren für besiegelt. In dieser Siegesfreude über die Niederlage des Kartells, dessen Mehrheit im künftigen Reichstage allerdings beseitigt ist, übersehen die frei¬ sinnigen Preßorgane nur eine Thatsache: daß der Zug nach links, der im Volke wehen soll, sich nicht ihnen, sondern den Sozialdemokraten zugewendet hat, während die freisinnige Partei und ihr Anhang im günstigsten Falle eine jedenfalls nicht maßgebende Vermehrung erfahren haben wird. Ihrem Einfluß und dem ihrer Verbündeten stehen aber als gleichwertig bei denk Znstandebringen der Gesetze gegen¬ über der Bundesrat und der Kaiser, dem verfassungsgemäß die Bcrkündung und Ausfertigung der Gesetze zusteht. Wir meinen, daß man sich in den fortschrittlichen Kreisen einer sehr starken Täuschung über die Schätzung des Parlamentarismus im Volke hingiebt. Die politische Selbständigkeit und die Teilnahme an den Staatsangelegenheiten, die Nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/581>, abgerufen am 05.05.2024.