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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches uiw Unmaßgebliches

verhandelt werde. Berlin ging in diesen schweren Tagen der Entscheidung
nach wie vor seinen Geschäften nach, und mich das Volk in den Provinzen
ließ sich, wenn es auch mit Spannung den Nachrichten aus der Hauptstadt
entgegensah, in seinem täglichen Beruf nicht stören. Aber das ist keine Gleich-
giltigkeit für das politische Leben; denn Fürst Bismarck hat so sehr in das
Schicksal der Welt wie der Staaten, der großen wie der kleinen, eingegriffen,
daß die Zeit seit dem Tode Friedrichs des Großen kein zweites ähnliches
Ereignis während der letzten hundert Jahre aufweist, wie seinen Rücktritt. Viel¬
mehr bezeugt die Ruhe, womit das deutsche Volk den größten Staatsmann,
den es gehabt hat, aus den Geschäften scheiden sieht, daß es vor der Zukunft
keine Besorgnis hat. Diese Haltung beweist den tiefen monarchischen Sinn
des deutschen Volkes, dem der Kaiser stets als das Höchste gilt, und diese
Gesinnung ist endlich ein Zeugnis dafür, daß die Deutschen Vertrauen zu
ihrem jungen Herrscher haben, und daß dieser es in der kurzen Zeit seiner
Regierung schon verstanden hat, sich Liebe, Achtung und Hingebung zu erwerben.
Nicht zum wenigsten haben die letzten Wochen dazu beigetragen, daß das Ver¬
trauen zu Kaiser Wilhelm II. in immer weitere Kreise gedrungen ist. Sein
hochherziges Eintreten für die Arbeiterwohlfahrt hat ihm schnell die Herzen
der Menschen erobert; es wurde bekannt, daß er bei seinen Plänen einen
mächtigen Widerstand zu überwinden hatte, aber je weiter sich dies zeigte, in
umso hellerem Lichte strahlte der Kaiser. Das deutsche Volk hat deshalb ein
Recht, auf seinen Kaiser zu vertrauen; es hat eine wohlbegründete Hoffnung,
die nach Gottes Willen nicht zu Schanden werden wird.

So mag denn Fürst Bismarck nach einem beispiellos arbeitsreichen Leben
noch viele Jahre der Ruhe genießen, unvergessen von der dankbaren Mitwelt
und ein leuchtendes Bild für die kommenden Geschlechter. Das Glück aber,
das ihm günstig gewesen ist, möge bei dem .Kaiser und dem deutschen Volke
zurückbleiben, die sich einig wissen in Vertrauen, Liebe und Hoffnung.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bismarck vor der Reichstcigsoppositivn geflüchtet.

Seit acht Tagen
zerbricht sich die Welt den Kopf mit der Frage, was Wohl der (Yrund oder die
Gründe seien, die den Fürsten Bismarck bewogen haben, seine Entlassung aus
seinen Stellungen als Reichskanzler, Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen
beim Kaiser z" erbitten, und die Presse des In- und des Auslandes hat mit ihrer
geübten Divinationskunst, die schon oft Wunderdinge geleistet hat, auch bei dieser
Gelegenheit mit ihrem Lichte ganz erstaunliche Entdeckungen gemacht. Wir finden
es nicht nötig, alle die irrigen und zum Teil sinnlosen Vermutungen zu widerlegen,


Maßgebliches uiw Unmaßgebliches

verhandelt werde. Berlin ging in diesen schweren Tagen der Entscheidung
nach wie vor seinen Geschäften nach, und mich das Volk in den Provinzen
ließ sich, wenn es auch mit Spannung den Nachrichten aus der Hauptstadt
entgegensah, in seinem täglichen Beruf nicht stören. Aber das ist keine Gleich-
giltigkeit für das politische Leben; denn Fürst Bismarck hat so sehr in das
Schicksal der Welt wie der Staaten, der großen wie der kleinen, eingegriffen,
daß die Zeit seit dem Tode Friedrichs des Großen kein zweites ähnliches
Ereignis während der letzten hundert Jahre aufweist, wie seinen Rücktritt. Viel¬
mehr bezeugt die Ruhe, womit das deutsche Volk den größten Staatsmann,
den es gehabt hat, aus den Geschäften scheiden sieht, daß es vor der Zukunft
keine Besorgnis hat. Diese Haltung beweist den tiefen monarchischen Sinn
des deutschen Volkes, dem der Kaiser stets als das Höchste gilt, und diese
Gesinnung ist endlich ein Zeugnis dafür, daß die Deutschen Vertrauen zu
ihrem jungen Herrscher haben, und daß dieser es in der kurzen Zeit seiner
Regierung schon verstanden hat, sich Liebe, Achtung und Hingebung zu erwerben.
Nicht zum wenigsten haben die letzten Wochen dazu beigetragen, daß das Ver¬
trauen zu Kaiser Wilhelm II. in immer weitere Kreise gedrungen ist. Sein
hochherziges Eintreten für die Arbeiterwohlfahrt hat ihm schnell die Herzen
der Menschen erobert; es wurde bekannt, daß er bei seinen Plänen einen
mächtigen Widerstand zu überwinden hatte, aber je weiter sich dies zeigte, in
umso hellerem Lichte strahlte der Kaiser. Das deutsche Volk hat deshalb ein
Recht, auf seinen Kaiser zu vertrauen; es hat eine wohlbegründete Hoffnung,
die nach Gottes Willen nicht zu Schanden werden wird.

So mag denn Fürst Bismarck nach einem beispiellos arbeitsreichen Leben
noch viele Jahre der Ruhe genießen, unvergessen von der dankbaren Mitwelt
und ein leuchtendes Bild für die kommenden Geschlechter. Das Glück aber,
das ihm günstig gewesen ist, möge bei dem .Kaiser und dem deutschen Volke
zurückbleiben, die sich einig wissen in Vertrauen, Liebe und Hoffnung.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bismarck vor der Reichstcigsoppositivn geflüchtet.

Seit acht Tagen
zerbricht sich die Welt den Kopf mit der Frage, was Wohl der (Yrund oder die
Gründe seien, die den Fürsten Bismarck bewogen haben, seine Entlassung aus
seinen Stellungen als Reichskanzler, Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen
beim Kaiser z» erbitten, und die Presse des In- und des Auslandes hat mit ihrer
geübten Divinationskunst, die schon oft Wunderdinge geleistet hat, auch bei dieser
Gelegenheit mit ihrem Lichte ganz erstaunliche Entdeckungen gemacht. Wir finden
es nicht nötig, alle die irrigen und zum Teil sinnlosen Vermutungen zu widerlegen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/636>, abgerufen am 06.05.2024.