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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zur Reform der Freiheitsstrafe

eher diesen Gegenstand hat Professor Wach in Leipzig vor kurzem
eine vortreffliche Schrift veröffentlicht,") die zwar nur wenige
Druckbogen umfaßt, aber einen umso reichern Inhalt bietet und
deshalb den Lesern dieser Blätter aufs wärmste empfohlen sein
mag. Die Wichtigkeit des Gegenstandes und der Eifer, womit
für die von Wach bekämpften Reformvorschläge von ihren Freunden augen¬
blicklich Schule zu machen versucht wird, veranlaßt uns, das Schriftchen hier
ausführlicher zu besprechen, wenn wir uns auch dabei im allgemeinen ans die
Aufsätze, die von den Grenzboten darüber bereits gebracht worden sind, zurück¬
beziehen können.

Der Verfasser erkennt die Reformbedürftigkeit unsrer Freiheitsstrafen voll¬
ständig an, aber er sucht die Reform auf einem ganz andern Gebiet als die
Anhänger der neuen Lehre, er findet den Grundfehler auf dem Gebiet unsers
Strafgesetzbuches -- freilich ein Punkt, den mau aus unde liegenden, hier nicht
weiter zu erörternden Gründen bis vor kurzem gar nicht berühren durfte, denn
daß unser Strafgesetzbuch über alle Mängel erhaben sei, galt ja als eine Art
Glaubensbekenntnis. Wach tadelt vor allem, wobei ihm jeder, der nicht unter
dem französischen oder franzvsisirenden Strafrecht der Gegenwart groß geworden
ist, Recht geben wird, den Aufbau des Strafgesetzbuches auf der Dreiteilung
von Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, wonach wieder die drei Straf¬
arten Zuchthaus, Gefängnis und Haft schablonenartig gebildet sind, die ihren
Inhalt erst durch ein Strafvollziehungsgesetz erhalten sollten, aber noch nicht
erhalten haben, sodaß die Vollziehung dieser Strafen häufig einen Unterschied
in den einzelnen Strafarten nicht mehr erkennen läßt. Aber auch die Straf-
vollziehung ist unentwickelt, es fehlt an genügender Aufsicht, an Sonderung
der Gefangenen und vielfach auch an Arbeit, vor allem aber an Anstalten für
jugendliche Verbrecher, die nur als Anstalten der Zwangserziehung zu denken
sind. Die Kriminalstrafe brandmarkt das Kind und giebt es unerzogen, wenn
nicht verdorben, der Gesellschaft zurück, wozu auch schon die öffentliche Ab-



Die Reform der Freiheitsstrafe. Ein Beitrag zur Kritik der bedingten und
der unbestimmten Verurteilung. Leipzig, Duncker und Humblot, 1890.


Zur Reform der Freiheitsstrafe

eher diesen Gegenstand hat Professor Wach in Leipzig vor kurzem
eine vortreffliche Schrift veröffentlicht,") die zwar nur wenige
Druckbogen umfaßt, aber einen umso reichern Inhalt bietet und
deshalb den Lesern dieser Blätter aufs wärmste empfohlen sein
mag. Die Wichtigkeit des Gegenstandes und der Eifer, womit
für die von Wach bekämpften Reformvorschläge von ihren Freunden augen¬
blicklich Schule zu machen versucht wird, veranlaßt uns, das Schriftchen hier
ausführlicher zu besprechen, wenn wir uns auch dabei im allgemeinen ans die
Aufsätze, die von den Grenzboten darüber bereits gebracht worden sind, zurück¬
beziehen können.

Der Verfasser erkennt die Reformbedürftigkeit unsrer Freiheitsstrafen voll¬
ständig an, aber er sucht die Reform auf einem ganz andern Gebiet als die
Anhänger der neuen Lehre, er findet den Grundfehler auf dem Gebiet unsers
Strafgesetzbuches — freilich ein Punkt, den mau aus unde liegenden, hier nicht
weiter zu erörternden Gründen bis vor kurzem gar nicht berühren durfte, denn
daß unser Strafgesetzbuch über alle Mängel erhaben sei, galt ja als eine Art
Glaubensbekenntnis. Wach tadelt vor allem, wobei ihm jeder, der nicht unter
dem französischen oder franzvsisirenden Strafrecht der Gegenwart groß geworden
ist, Recht geben wird, den Aufbau des Strafgesetzbuches auf der Dreiteilung
von Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, wonach wieder die drei Straf¬
arten Zuchthaus, Gefängnis und Haft schablonenartig gebildet sind, die ihren
Inhalt erst durch ein Strafvollziehungsgesetz erhalten sollten, aber noch nicht
erhalten haben, sodaß die Vollziehung dieser Strafen häufig einen Unterschied
in den einzelnen Strafarten nicht mehr erkennen läßt. Aber auch die Straf-
vollziehung ist unentwickelt, es fehlt an genügender Aufsicht, an Sonderung
der Gefangenen und vielfach auch an Arbeit, vor allem aber an Anstalten für
jugendliche Verbrecher, die nur als Anstalten der Zwangserziehung zu denken
sind. Die Kriminalstrafe brandmarkt das Kind und giebt es unerzogen, wenn
nicht verdorben, der Gesellschaft zurück, wozu auch schon die öffentliche Ab-



Die Reform der Freiheitsstrafe. Ein Beitrag zur Kritik der bedingten und
der unbestimmten Verurteilung. Leipzig, Duncker und Humblot, 1890.
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[0573] [Abbildung] Zur Reform der Freiheitsstrafe eher diesen Gegenstand hat Professor Wach in Leipzig vor kurzem eine vortreffliche Schrift veröffentlicht,") die zwar nur wenige Druckbogen umfaßt, aber einen umso reichern Inhalt bietet und deshalb den Lesern dieser Blätter aufs wärmste empfohlen sein mag. Die Wichtigkeit des Gegenstandes und der Eifer, womit für die von Wach bekämpften Reformvorschläge von ihren Freunden augen¬ blicklich Schule zu machen versucht wird, veranlaßt uns, das Schriftchen hier ausführlicher zu besprechen, wenn wir uns auch dabei im allgemeinen ans die Aufsätze, die von den Grenzboten darüber bereits gebracht worden sind, zurück¬ beziehen können. Der Verfasser erkennt die Reformbedürftigkeit unsrer Freiheitsstrafen voll¬ ständig an, aber er sucht die Reform auf einem ganz andern Gebiet als die Anhänger der neuen Lehre, er findet den Grundfehler auf dem Gebiet unsers Strafgesetzbuches — freilich ein Punkt, den mau aus unde liegenden, hier nicht weiter zu erörternden Gründen bis vor kurzem gar nicht berühren durfte, denn daß unser Strafgesetzbuch über alle Mängel erhaben sei, galt ja als eine Art Glaubensbekenntnis. Wach tadelt vor allem, wobei ihm jeder, der nicht unter dem französischen oder franzvsisirenden Strafrecht der Gegenwart groß geworden ist, Recht geben wird, den Aufbau des Strafgesetzbuches auf der Dreiteilung von Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, wonach wieder die drei Straf¬ arten Zuchthaus, Gefängnis und Haft schablonenartig gebildet sind, die ihren Inhalt erst durch ein Strafvollziehungsgesetz erhalten sollten, aber noch nicht erhalten haben, sodaß die Vollziehung dieser Strafen häufig einen Unterschied in den einzelnen Strafarten nicht mehr erkennen läßt. Aber auch die Straf- vollziehung ist unentwickelt, es fehlt an genügender Aufsicht, an Sonderung der Gefangenen und vielfach auch an Arbeit, vor allem aber an Anstalten für jugendliche Verbrecher, die nur als Anstalten der Zwangserziehung zu denken sind. Die Kriminalstrafe brandmarkt das Kind und giebt es unerzogen, wenn nicht verdorben, der Gesellschaft zurück, wozu auch schon die öffentliche Ab- Die Reform der Freiheitsstrafe. Ein Beitrag zur Kritik der bedingten und der unbestimmten Verurteilung. Leipzig, Duncker und Humblot, 1890.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/573>, abgerufen am 22.05.2024.