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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alumneumserinnerungen
Avrtschung)

in besondres Fest war ein "Laudbär." Es Kien bisweilen vor,
daß wir zum Begräbnissingen drei, vier Stunden weit hinaus
aufs Dorf, ans ein Rittergut oder zu einem reichen Bauer be¬
stellt wurden. Da fuhr ein Wagen vor der Schule vor, und
wir kutschirten hinaus, vielleicht in die schöne Sommerlandschaft,
Währelid die andern drin in der Mathematikstunde oder beim griechischen
Extemporale schwitzten. Draußen wurden wir vortrefflich bewirtet, mit Wein
und kaltem Frühstück, sogar zweimal, vor und nach dem Begräbnis, und
dann wurde in der vergnügtesten Stimmung wieder hereingefahren. Eil? Fall,
wo die Trauerfeier im Gnrtenpavillon eines alten, schönen herrschaftlichen
Parkes stattfand, und wo ich zum erstenmale einen Blick that in das Leben
einer begüterten Adelsfamilie, ist mir in besondrer Erinnerung geblieben. Dabei
brachte ein Landbür jedem das Doppelte eines gewöhnlichen Bars ein, er wurde
mit acht Thalern bezahlt.

Aber das war ein seltnes Ereignis; kaum ein- oder zweimal im Jahre
wurde uus so wohl. Dafür waren die gewöhnlichen Bäre umso häufiger und
bildeten für die glücklichen Acht, die sie zu singen hatten, eine bedeutende
Einnahmequelle, freilich auch eine Veranlassung zu fortwährenden Schulvcr-
säumnissen, denn die meisten fielen, vormittags wie nachmittags, mitten in die
Unterrichtsstunden, und dazu bestand die Unsitte, daß wir stets, nur damit wir
uicht zu spät kämen, viel zu früh bestellt wurden, sodaß es gar nichts unge¬
wöhnliches war, daß N'ir wegen eines Leichensingens drei Schulstunden ver¬
säumten. Aber es geschah noch etwas schlimmeres: wir selbst dehnten nicht
bloß diese Versäumnis auf alle Weise uugelmhrlich aus, durch langsames Gehen
auf dem Rückwege oder durch gemeinschaftliches Einkehren in einer am Wege
gelegenen Bierwirtschaft, sondern wir führten sogar die Versäumnis künstlich
und widerrechtlich herbei, wir "schwärzten," wie der technische Ausdruck lautete,
und saugen Bäre, die gar nicht bestellt waren. Sei es nun daß ein positiver
Anlaß dazu vorlag in Gestalt eines schönen Sommermorgens, oder ein nega¬
tiver in Gestalt einer angekündigten Geschichtsrepetitiou oder einer nicht herans-
gebrachten mathematischen Aufgabe, kurz, es kam vor, daß der Präfekt den




Alumneumserinnerungen
Avrtschung)

in besondres Fest war ein „Laudbär." Es Kien bisweilen vor,
daß wir zum Begräbnissingen drei, vier Stunden weit hinaus
aufs Dorf, ans ein Rittergut oder zu einem reichen Bauer be¬
stellt wurden. Da fuhr ein Wagen vor der Schule vor, und
wir kutschirten hinaus, vielleicht in die schöne Sommerlandschaft,
Währelid die andern drin in der Mathematikstunde oder beim griechischen
Extemporale schwitzten. Draußen wurden wir vortrefflich bewirtet, mit Wein
und kaltem Frühstück, sogar zweimal, vor und nach dem Begräbnis, und
dann wurde in der vergnügtesten Stimmung wieder hereingefahren. Eil? Fall,
wo die Trauerfeier im Gnrtenpavillon eines alten, schönen herrschaftlichen
Parkes stattfand, und wo ich zum erstenmale einen Blick that in das Leben
einer begüterten Adelsfamilie, ist mir in besondrer Erinnerung geblieben. Dabei
brachte ein Landbür jedem das Doppelte eines gewöhnlichen Bars ein, er wurde
mit acht Thalern bezahlt.

Aber das war ein seltnes Ereignis; kaum ein- oder zweimal im Jahre
wurde uus so wohl. Dafür waren die gewöhnlichen Bäre umso häufiger und
bildeten für die glücklichen Acht, die sie zu singen hatten, eine bedeutende
Einnahmequelle, freilich auch eine Veranlassung zu fortwährenden Schulvcr-
säumnissen, denn die meisten fielen, vormittags wie nachmittags, mitten in die
Unterrichtsstunden, und dazu bestand die Unsitte, daß wir stets, nur damit wir
uicht zu spät kämen, viel zu früh bestellt wurden, sodaß es gar nichts unge¬
wöhnliches war, daß N'ir wegen eines Leichensingens drei Schulstunden ver¬
säumten. Aber es geschah noch etwas schlimmeres: wir selbst dehnten nicht
bloß diese Versäumnis auf alle Weise uugelmhrlich aus, durch langsames Gehen
auf dem Rückwege oder durch gemeinschaftliches Einkehren in einer am Wege
gelegenen Bierwirtschaft, sondern wir führten sogar die Versäumnis künstlich
und widerrechtlich herbei, wir „schwärzten," wie der technische Ausdruck lautete,
und saugen Bäre, die gar nicht bestellt waren. Sei es nun daß ein positiver
Anlaß dazu vorlag in Gestalt eines schönen Sommermorgens, oder ein nega¬
tiver in Gestalt einer angekündigten Geschichtsrepetitiou oder einer nicht herans-
gebrachten mathematischen Aufgabe, kurz, es kam vor, daß der Präfekt den


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[0187] [Abbildung] Alumneumserinnerungen Avrtschung) in besondres Fest war ein „Laudbär." Es Kien bisweilen vor, daß wir zum Begräbnissingen drei, vier Stunden weit hinaus aufs Dorf, ans ein Rittergut oder zu einem reichen Bauer be¬ stellt wurden. Da fuhr ein Wagen vor der Schule vor, und wir kutschirten hinaus, vielleicht in die schöne Sommerlandschaft, Währelid die andern drin in der Mathematikstunde oder beim griechischen Extemporale schwitzten. Draußen wurden wir vortrefflich bewirtet, mit Wein und kaltem Frühstück, sogar zweimal, vor und nach dem Begräbnis, und dann wurde in der vergnügtesten Stimmung wieder hereingefahren. Eil? Fall, wo die Trauerfeier im Gnrtenpavillon eines alten, schönen herrschaftlichen Parkes stattfand, und wo ich zum erstenmale einen Blick that in das Leben einer begüterten Adelsfamilie, ist mir in besondrer Erinnerung geblieben. Dabei brachte ein Landbür jedem das Doppelte eines gewöhnlichen Bars ein, er wurde mit acht Thalern bezahlt. Aber das war ein seltnes Ereignis; kaum ein- oder zweimal im Jahre wurde uus so wohl. Dafür waren die gewöhnlichen Bäre umso häufiger und bildeten für die glücklichen Acht, die sie zu singen hatten, eine bedeutende Einnahmequelle, freilich auch eine Veranlassung zu fortwährenden Schulvcr- säumnissen, denn die meisten fielen, vormittags wie nachmittags, mitten in die Unterrichtsstunden, und dazu bestand die Unsitte, daß wir stets, nur damit wir uicht zu spät kämen, viel zu früh bestellt wurden, sodaß es gar nichts unge¬ wöhnliches war, daß N'ir wegen eines Leichensingens drei Schulstunden ver¬ säumten. Aber es geschah noch etwas schlimmeres: wir selbst dehnten nicht bloß diese Versäumnis auf alle Weise uugelmhrlich aus, durch langsames Gehen auf dem Rückwege oder durch gemeinschaftliches Einkehren in einer am Wege gelegenen Bierwirtschaft, sondern wir führten sogar die Versäumnis künstlich und widerrechtlich herbei, wir „schwärzten," wie der technische Ausdruck lautete, und saugen Bäre, die gar nicht bestellt waren. Sei es nun daß ein positiver Anlaß dazu vorlag in Gestalt eines schönen Sommermorgens, oder ein nega¬ tiver in Gestalt einer angekündigten Geschichtsrepetitiou oder einer nicht herans- gebrachten mathematischen Aufgabe, kurz, es kam vor, daß der Präfekt den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/187>, abgerufen am 28.04.2024.