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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

trunken. Tassen warm für die meisten ein unbekannter Luxus. Wenn auch
natürlich jeder aus dem Elternhause eine Kaffeetasse mitgebracht hatte, so war
doch die Obertasse nach wenigen Wochen in Stücken, die Untertasse diente
vielleicht noch eine Zeit lang als Vutterteller, schließlich auch als Wichsnapf;
das Blechnösel war uns sicherer.

An ein offizielles zweites Frühstück war noch viel weniger zu denken.
Um so schöner blühte es uns privatim in der Stille. In der "großen Frei¬
viertelstunde" ging es wieder hinunter in die Küche, da thronte die Bambeln
in einem Nebenstübchen auf einem am Fenster stehenden Tritt. Wenn ich sie
mir im Geiste vorstelle, die gute Alte, so sehe ich sie am liebsten ans diesem
Tritt sitzen. Es ging die Sage unter uns, daß sie einst ein schönes Mädchen
gewesen sei, und das wird schon wahr sein. Denn sie hatte noch zu unsrer
Zeit, wo sie schon eine behäbige Matrone mit weißem Haar war, ein feines
Gesicht mit roten Bäckchen. Es war eine Lust, sie so sitzen zu sehen, im
weißen Häubchen, einen Korb ans dem Schoße, neben sich ein Tischchen, der
Korb gefüllt und das Tischchen belegt mit Butterbroten, Knackwürstchen, in
der Fastenzeit auch mit Brezeln, sogar "geschmierten," d. h. mit kleinen Butter¬
stückchen belegten Vrezelu, eine üppige Erfindung, auf die sie ebenso stolz wie
unser Schnabel begierig war. Natürlich war dieses Frühstück vor allem auf
die wohlhabenderen Extraner berechnet, aber auch wir armen Teufel, wir
Alumnen, fanden uns dazu eilt, umso mehr, als die Bambeln nicht ans baare
Bezahlung drang, sondern auf dem Fensterbret in der Ecke eine alte, rahmen¬
lose Schiefertafel stehen hatte, die in verblaßten Zügen so manchen Schuldner-
uamen monatelang trug. Bei dieser Gelegenheit wurde immer auch schon
spionirt, was es zu Mittag geben würde, was uns freilich manchen "Topf¬
gucker" und auch noch stärkeres eintrug.

(Schluß folgt)




Litteratur
Verein zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen vou Handel nud Ge¬
werbe. Ur. 23. ^ Berlin, norddeutsche Buchdruckerei und Verlngsanstalt, 1890

Dieser Band enthalt die Kcnsercrlasse vom 1. Januar, das Programm und
die Beschlüsse der internationalen Arbeiterschutzkonferenz, den Gesetzentwurf über die
Gewerbegerichte (der seitdem Gesetz geworden ist), die Verhandlungen des Reichs¬
tages über die Gewerbeordnung von 1874 bis 1839, und den Bericht über die
Sitzung der von industriellen und wirtschaftlichen Vereinen ernannten Kommission


Litteratur

trunken. Tassen warm für die meisten ein unbekannter Luxus. Wenn auch
natürlich jeder aus dem Elternhause eine Kaffeetasse mitgebracht hatte, so war
doch die Obertasse nach wenigen Wochen in Stücken, die Untertasse diente
vielleicht noch eine Zeit lang als Vutterteller, schließlich auch als Wichsnapf;
das Blechnösel war uns sicherer.

An ein offizielles zweites Frühstück war noch viel weniger zu denken.
Um so schöner blühte es uns privatim in der Stille. In der „großen Frei¬
viertelstunde" ging es wieder hinunter in die Küche, da thronte die Bambeln
in einem Nebenstübchen auf einem am Fenster stehenden Tritt. Wenn ich sie
mir im Geiste vorstelle, die gute Alte, so sehe ich sie am liebsten ans diesem
Tritt sitzen. Es ging die Sage unter uns, daß sie einst ein schönes Mädchen
gewesen sei, und das wird schon wahr sein. Denn sie hatte noch zu unsrer
Zeit, wo sie schon eine behäbige Matrone mit weißem Haar war, ein feines
Gesicht mit roten Bäckchen. Es war eine Lust, sie so sitzen zu sehen, im
weißen Häubchen, einen Korb ans dem Schoße, neben sich ein Tischchen, der
Korb gefüllt und das Tischchen belegt mit Butterbroten, Knackwürstchen, in
der Fastenzeit auch mit Brezeln, sogar „geschmierten," d. h. mit kleinen Butter¬
stückchen belegten Vrezelu, eine üppige Erfindung, auf die sie ebenso stolz wie
unser Schnabel begierig war. Natürlich war dieses Frühstück vor allem auf
die wohlhabenderen Extraner berechnet, aber auch wir armen Teufel, wir
Alumnen, fanden uns dazu eilt, umso mehr, als die Bambeln nicht ans baare
Bezahlung drang, sondern auf dem Fensterbret in der Ecke eine alte, rahmen¬
lose Schiefertafel stehen hatte, die in verblaßten Zügen so manchen Schuldner-
uamen monatelang trug. Bei dieser Gelegenheit wurde immer auch schon
spionirt, was es zu Mittag geben würde, was uns freilich manchen „Topf¬
gucker" und auch noch stärkeres eintrug.

(Schluß folgt)




Litteratur
Verein zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen vou Handel nud Ge¬
werbe. Ur. 23. ^ Berlin, norddeutsche Buchdruckerei und Verlngsanstalt, 1890

Dieser Band enthalt die Kcnsercrlasse vom 1. Januar, das Programm und
die Beschlüsse der internationalen Arbeiterschutzkonferenz, den Gesetzentwurf über die
Gewerbegerichte (der seitdem Gesetz geworden ist), die Verhandlungen des Reichs¬
tages über die Gewerbeordnung von 1874 bis 1839, und den Bericht über die
Sitzung der von industriellen und wirtschaftlichen Vereinen ernannten Kommission


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[0196] Litteratur trunken. Tassen warm für die meisten ein unbekannter Luxus. Wenn auch natürlich jeder aus dem Elternhause eine Kaffeetasse mitgebracht hatte, so war doch die Obertasse nach wenigen Wochen in Stücken, die Untertasse diente vielleicht noch eine Zeit lang als Vutterteller, schließlich auch als Wichsnapf; das Blechnösel war uns sicherer. An ein offizielles zweites Frühstück war noch viel weniger zu denken. Um so schöner blühte es uns privatim in der Stille. In der „großen Frei¬ viertelstunde" ging es wieder hinunter in die Küche, da thronte die Bambeln in einem Nebenstübchen auf einem am Fenster stehenden Tritt. Wenn ich sie mir im Geiste vorstelle, die gute Alte, so sehe ich sie am liebsten ans diesem Tritt sitzen. Es ging die Sage unter uns, daß sie einst ein schönes Mädchen gewesen sei, und das wird schon wahr sein. Denn sie hatte noch zu unsrer Zeit, wo sie schon eine behäbige Matrone mit weißem Haar war, ein feines Gesicht mit roten Bäckchen. Es war eine Lust, sie so sitzen zu sehen, im weißen Häubchen, einen Korb ans dem Schoße, neben sich ein Tischchen, der Korb gefüllt und das Tischchen belegt mit Butterbroten, Knackwürstchen, in der Fastenzeit auch mit Brezeln, sogar „geschmierten," d. h. mit kleinen Butter¬ stückchen belegten Vrezelu, eine üppige Erfindung, auf die sie ebenso stolz wie unser Schnabel begierig war. Natürlich war dieses Frühstück vor allem auf die wohlhabenderen Extraner berechnet, aber auch wir armen Teufel, wir Alumnen, fanden uns dazu eilt, umso mehr, als die Bambeln nicht ans baare Bezahlung drang, sondern auf dem Fensterbret in der Ecke eine alte, rahmen¬ lose Schiefertafel stehen hatte, die in verblaßten Zügen so manchen Schuldner- uamen monatelang trug. Bei dieser Gelegenheit wurde immer auch schon spionirt, was es zu Mittag geben würde, was uns freilich manchen „Topf¬ gucker" und auch noch stärkeres eintrug. (Schluß folgt) Litteratur Verein zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen vou Handel nud Ge¬ werbe. Ur. 23. ^ Berlin, norddeutsche Buchdruckerei und Verlngsanstalt, 1890 Dieser Band enthalt die Kcnsercrlasse vom 1. Januar, das Programm und die Beschlüsse der internationalen Arbeiterschutzkonferenz, den Gesetzentwurf über die Gewerbegerichte (der seitdem Gesetz geworden ist), die Verhandlungen des Reichs¬ tages über die Gewerbeordnung von 1874 bis 1839, und den Bericht über die Sitzung der von industriellen und wirtschaftlichen Vereinen ernannten Kommission

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/196>, abgerufen am 27.04.2024.