Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Alumneumserinnerungen
(Schluß)

as Mittagessen bestand an allen Wochentagen aus Fleisch und
Gemüse, Sonntags aus Braten und gedünstetem Obst oder
Salat; mir Freitags gab es, nicht immer, aber meist, Milch¬
reis oder Milchhirse. Das Essen war im ganzen gut, aber --
es war herzlich wenig. Die Bambeln klagte fortwährend, daß
sie mit der geringen Summe, die sie vom Rat bekam, nicht auskommen
könnte -- ich glaube, sie erhielt für das Mittagessen von zweiunddreißig Jungen
täglich 1 Thaler 20 Neugroschen! --, aber ihre Klagen halfen ihr nichts. Leidlich
gut mußte das Essen ja sein, denn der Kollaborator bekam jede" Tag genau
dasselbe wie wir, natürlich eine schöne, reichliche Fleischportion, um die ich
ihn manchmal beneidet habe, wenn ich es zufällig in der Küche mit ansah,
wie sie für ihn znrechtgeschnitten wurde, aber das Gemüse konnte doch auch nicht
viel anders zubereitet sein, als das unsrige. Ich muß es der guten Bambeln
nachrühmen, daß sie mit den geringen Mitteln das Menschenmögliche geleistet
hat, und das, obwohl in den acht Jahren, wo ich auf dem Alumnenm war,
nicht ein einzigesmal irgendwelche Kontrolle des Essens durch die Behörde
stattfand.

Äußerst fein ausgesonnen war die Art der Austeilung des Mittagessens.
Gegessen wurde in demselben Raume, wo die Arbeitsstunden abgehalten wurden,
im großen Auditorium. Während wir aber beim Arbeiten an vier Tafeln
verteilt waren, wurden beim Essen nur drei benutzt. An jeder Tafel saßen
zehn, an der ersten Tasel der erste, der vierte, der siebente u. s. f. Die beiden
letzten, die übrig blieben, wanderten Woche für Woche von einer Tafel zur
andern, sodaß jede Tafel nur aller drei Wochen wirklich zehn, die beiden andern
Wochen elf Esser hatte. Die beiden kleinen Wandrer, die so von Tisch zu
Tisch geschoben wurden, hießen "Kurser" (oursor"Z8). Nun wurde jeder Tisch
wieder eingeteilt in drei "Obere," zwei "Gleichmacher" und fünf oder, je
nachdem, sechs "Untere." (Daß man für Gleichmacher nicht "Äquator" sagte
in einer Umgebung, in der doch so vieles lateinisch benannt wurde, hatte wohl
keinen andern Grund, als daß Äquator schon in der Geographie als tsrminu8
WÄuuvus Verwendung gefunden hatte). An der Seite des Zimmers stand




Alumneumserinnerungen
(Schluß)

as Mittagessen bestand an allen Wochentagen aus Fleisch und
Gemüse, Sonntags aus Braten und gedünstetem Obst oder
Salat; mir Freitags gab es, nicht immer, aber meist, Milch¬
reis oder Milchhirse. Das Essen war im ganzen gut, aber —
es war herzlich wenig. Die Bambeln klagte fortwährend, daß
sie mit der geringen Summe, die sie vom Rat bekam, nicht auskommen
könnte — ich glaube, sie erhielt für das Mittagessen von zweiunddreißig Jungen
täglich 1 Thaler 20 Neugroschen! —, aber ihre Klagen halfen ihr nichts. Leidlich
gut mußte das Essen ja sein, denn der Kollaborator bekam jede» Tag genau
dasselbe wie wir, natürlich eine schöne, reichliche Fleischportion, um die ich
ihn manchmal beneidet habe, wenn ich es zufällig in der Küche mit ansah,
wie sie für ihn znrechtgeschnitten wurde, aber das Gemüse konnte doch auch nicht
viel anders zubereitet sein, als das unsrige. Ich muß es der guten Bambeln
nachrühmen, daß sie mit den geringen Mitteln das Menschenmögliche geleistet
hat, und das, obwohl in den acht Jahren, wo ich auf dem Alumnenm war,
nicht ein einzigesmal irgendwelche Kontrolle des Essens durch die Behörde
stattfand.

Äußerst fein ausgesonnen war die Art der Austeilung des Mittagessens.
Gegessen wurde in demselben Raume, wo die Arbeitsstunden abgehalten wurden,
im großen Auditorium. Während wir aber beim Arbeiten an vier Tafeln
verteilt waren, wurden beim Essen nur drei benutzt. An jeder Tafel saßen
zehn, an der ersten Tasel der erste, der vierte, der siebente u. s. f. Die beiden
letzten, die übrig blieben, wanderten Woche für Woche von einer Tafel zur
andern, sodaß jede Tafel nur aller drei Wochen wirklich zehn, die beiden andern
Wochen elf Esser hatte. Die beiden kleinen Wandrer, die so von Tisch zu
Tisch geschoben wurden, hießen „Kurser" (oursor«Z8). Nun wurde jeder Tisch
wieder eingeteilt in drei „Obere," zwei „Gleichmacher" und fünf oder, je
nachdem, sechs „Untere." (Daß man für Gleichmacher nicht „Äquator" sagte
in einer Umgebung, in der doch so vieles lateinisch benannt wurde, hatte wohl
keinen andern Grund, als daß Äquator schon in der Geographie als tsrminu8
WÄuuvus Verwendung gefunden hatte). An der Seite des Zimmers stand


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208172"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341851_207936/figures/grenzboten_341851_207936_208172_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Alumneumserinnerungen<lb/>
(Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_636"> as Mittagessen bestand an allen Wochentagen aus Fleisch und<lb/>
Gemüse, Sonntags aus Braten und gedünstetem Obst oder<lb/>
Salat; mir Freitags gab es, nicht immer, aber meist, Milch¬<lb/>
reis oder Milchhirse. Das Essen war im ganzen gut, aber &#x2014;<lb/>
es war herzlich wenig. Die Bambeln klagte fortwährend, daß<lb/>
sie mit der geringen Summe, die sie vom Rat bekam, nicht auskommen<lb/>
könnte &#x2014; ich glaube, sie erhielt für das Mittagessen von zweiunddreißig Jungen<lb/>
täglich 1 Thaler 20 Neugroschen! &#x2014;, aber ihre Klagen halfen ihr nichts. Leidlich<lb/>
gut mußte das Essen ja sein, denn der Kollaborator bekam jede» Tag genau<lb/>
dasselbe wie wir, natürlich eine schöne, reichliche Fleischportion, um die ich<lb/>
ihn manchmal beneidet habe, wenn ich es zufällig in der Küche mit ansah,<lb/>
wie sie für ihn znrechtgeschnitten wurde, aber das Gemüse konnte doch auch nicht<lb/>
viel anders zubereitet sein, als das unsrige. Ich muß es der guten Bambeln<lb/>
nachrühmen, daß sie mit den geringen Mitteln das Menschenmögliche geleistet<lb/>
hat, und das, obwohl in den acht Jahren, wo ich auf dem Alumnenm war,<lb/>
nicht ein einzigesmal irgendwelche Kontrolle des Essens durch die Behörde<lb/>
stattfand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_637" next="#ID_638"> Äußerst fein ausgesonnen war die Art der Austeilung des Mittagessens.<lb/>
Gegessen wurde in demselben Raume, wo die Arbeitsstunden abgehalten wurden,<lb/>
im großen Auditorium. Während wir aber beim Arbeiten an vier Tafeln<lb/>
verteilt waren, wurden beim Essen nur drei benutzt. An jeder Tafel saßen<lb/>
zehn, an der ersten Tasel der erste, der vierte, der siebente u. s. f. Die beiden<lb/>
letzten, die übrig blieben, wanderten Woche für Woche von einer Tafel zur<lb/>
andern, sodaß jede Tafel nur aller drei Wochen wirklich zehn, die beiden andern<lb/>
Wochen elf Esser hatte. Die beiden kleinen Wandrer, die so von Tisch zu<lb/>
Tisch geschoben wurden, hießen &#x201E;Kurser" (oursor«Z8). Nun wurde jeder Tisch<lb/>
wieder eingeteilt in drei &#x201E;Obere," zwei &#x201E;Gleichmacher" und fünf oder, je<lb/>
nachdem, sechs &#x201E;Untere." (Daß man für Gleichmacher nicht &#x201E;Äquator" sagte<lb/>
in einer Umgebung, in der doch so vieles lateinisch benannt wurde, hatte wohl<lb/>
keinen andern Grund, als daß Äquator schon in der Geographie als tsrminu8<lb/>
WÄuuvus Verwendung gefunden hatte).  An der Seite des Zimmers stand</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0235] [Abbildung] Alumneumserinnerungen (Schluß) as Mittagessen bestand an allen Wochentagen aus Fleisch und Gemüse, Sonntags aus Braten und gedünstetem Obst oder Salat; mir Freitags gab es, nicht immer, aber meist, Milch¬ reis oder Milchhirse. Das Essen war im ganzen gut, aber — es war herzlich wenig. Die Bambeln klagte fortwährend, daß sie mit der geringen Summe, die sie vom Rat bekam, nicht auskommen könnte — ich glaube, sie erhielt für das Mittagessen von zweiunddreißig Jungen täglich 1 Thaler 20 Neugroschen! —, aber ihre Klagen halfen ihr nichts. Leidlich gut mußte das Essen ja sein, denn der Kollaborator bekam jede» Tag genau dasselbe wie wir, natürlich eine schöne, reichliche Fleischportion, um die ich ihn manchmal beneidet habe, wenn ich es zufällig in der Küche mit ansah, wie sie für ihn znrechtgeschnitten wurde, aber das Gemüse konnte doch auch nicht viel anders zubereitet sein, als das unsrige. Ich muß es der guten Bambeln nachrühmen, daß sie mit den geringen Mitteln das Menschenmögliche geleistet hat, und das, obwohl in den acht Jahren, wo ich auf dem Alumnenm war, nicht ein einzigesmal irgendwelche Kontrolle des Essens durch die Behörde stattfand. Äußerst fein ausgesonnen war die Art der Austeilung des Mittagessens. Gegessen wurde in demselben Raume, wo die Arbeitsstunden abgehalten wurden, im großen Auditorium. Während wir aber beim Arbeiten an vier Tafeln verteilt waren, wurden beim Essen nur drei benutzt. An jeder Tafel saßen zehn, an der ersten Tasel der erste, der vierte, der siebente u. s. f. Die beiden letzten, die übrig blieben, wanderten Woche für Woche von einer Tafel zur andern, sodaß jede Tafel nur aller drei Wochen wirklich zehn, die beiden andern Wochen elf Esser hatte. Die beiden kleinen Wandrer, die so von Tisch zu Tisch geschoben wurden, hießen „Kurser" (oursor«Z8). Nun wurde jeder Tisch wieder eingeteilt in drei „Obere," zwei „Gleichmacher" und fünf oder, je nachdem, sechs „Untere." (Daß man für Gleichmacher nicht „Äquator" sagte in einer Umgebung, in der doch so vieles lateinisch benannt wurde, hatte wohl keinen andern Grund, als daß Äquator schon in der Geographie als tsrminu8 WÄuuvus Verwendung gefunden hatte). An der Seite des Zimmers stand

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/235
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/235>, abgerufen am 27.04.2024.