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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

bilduugeu, Satzverbindungen zu gebrauchen, durch die unsrer Sprache Gewalt an¬
gethan wird, die gegen den Geist unsrer Sprache sind, die sie verrenken und ver¬
unstalten, ja die oft genug düren Unsinn geben. Im Handumdrehen ist die neue
Erfindung von einer Unzahl Gedankenloser an- und aufgenommen, einfach weil sie
neu ist, weil sie sich etwas darauf einbilde", immer das "Modernste" im Munde
zu führen. Und was man täglich Hort und liest, macht man endlich willenlos
und unwissentlich nach. Solchem Wesen ausdrücklich Berechtigung zuzuerkennen,
hieße ebenso viel, wie verlangen, daß die künstlerische Stillehre sich allen Aus¬
geburten der Schneider- und Putzmacherphautasic unterwerfen müsse.

Daß Pedanten (oder sollen wir sagen: Schnlsnchse?) die Sache übertreibe"
tonnen, ist unbestreitbar. Aber der Unfug hat gegenwärtig eine Höhe erreicht,
daß ein kleines Übermaß an Strenge gar nichts schadet. Das Sprachgewisscn ninß
erst wieder geweckt werden. Nicht gegen volkstümliche, mundartliche Wörter und
Wendungen lehnen wir uns auf, im Gegenteil werden wir solchen natürlichen Zu-
fluß stets gern begrüßen. Nur der so oft mit Unwissenheit gepaarten Willkür soll
das Handwerk gelegt, der Deutsche wieder daran gewöhnt werden, nicht nur den
Inhalt, sondern anch die Form seiner Rede zu überlegen.

Wie viel in diesem Punkt gesündigt wird, dafür lieferte Professor Riegel
gleich selbst ein kleines Beispiel. Er rühmte "die ausgezeichnete Zuvorkommenheit"
des Herrn Staatssekretärs v>-, von Stephan, mit der er in einem besondern
Schreiben für die Zusendung der Vereinsschriften gedankt habe. Hat er vielleicht
einen unausgesprochenen Wunsch des Vereins erfüllt, ihm aus eignem Antriebe eine
Vergünstigung gewahrt, oder womit ist er sonst "zuvorgekommen"? Er hat ge¬
dankt und versprochen, auch ferner ucich Thunlichkeit im Interesse des Vereins zu
wirken, wie er das bekanntlich bisher gethan hat. Das war höflich, aufmerksam,
liebenswürdig, gütig, entgegenkommend, oder wie man es sonst nennen will, aber
von Zuvorkommenheit kann dabei nicht gesprochen werden. Das verdiente nicht
erwähnt zu werden, wenn nicht Herr Riegel daraus ersehen könnte, daß ein wenig
nüchterne Schulweisheit für den Hausbedarf recht brauchbar ist.

Kurz und gut: der Sprachverein ist eine gute Sache, aber uicht Selbstzweck;
die Verdienste Riegels um diesen Verein werden bereitwillig anerkannt, aber als
Diktator können wir uns ihn nicht gefallen lassen. Und sollte den Mitgliedern,
damit die Einmütigkeit im Vereine nicht gestört werde, verboten werden, das
Falsche falsch und das Dumme dumm zu nennen, so würden sich wohl sehr viele
für die Mitgliedschaft höflich bedanken.




Litteratur
Deutsches Bürgertum. Von feinen Anfangen bis Ma Jahre 1803. Dargestellt von
Oskar Schwebel. Neue Ausgabe. Berlin, Hans Liistenöder, 1889

Die neue Auflage dieses 1383 erschienenen Buches verdient wohl eine neue
Erwähnung und Empfehlung. Denn dein heutigen Bürgertnme thun bei seinem
Ringen uach einer Neugestaltung belehrende Beispiele aus der Vergangenheit not,


Litteratur

bilduugeu, Satzverbindungen zu gebrauchen, durch die unsrer Sprache Gewalt an¬
gethan wird, die gegen den Geist unsrer Sprache sind, die sie verrenken und ver¬
unstalten, ja die oft genug düren Unsinn geben. Im Handumdrehen ist die neue
Erfindung von einer Unzahl Gedankenloser an- und aufgenommen, einfach weil sie
neu ist, weil sie sich etwas darauf einbilde«, immer das „Modernste" im Munde
zu führen. Und was man täglich Hort und liest, macht man endlich willenlos
und unwissentlich nach. Solchem Wesen ausdrücklich Berechtigung zuzuerkennen,
hieße ebenso viel, wie verlangen, daß die künstlerische Stillehre sich allen Aus¬
geburten der Schneider- und Putzmacherphautasic unterwerfen müsse.

Daß Pedanten (oder sollen wir sagen: Schnlsnchse?) die Sache übertreibe»
tonnen, ist unbestreitbar. Aber der Unfug hat gegenwärtig eine Höhe erreicht,
daß ein kleines Übermaß an Strenge gar nichts schadet. Das Sprachgewisscn ninß
erst wieder geweckt werden. Nicht gegen volkstümliche, mundartliche Wörter und
Wendungen lehnen wir uns auf, im Gegenteil werden wir solchen natürlichen Zu-
fluß stets gern begrüßen. Nur der so oft mit Unwissenheit gepaarten Willkür soll
das Handwerk gelegt, der Deutsche wieder daran gewöhnt werden, nicht nur den
Inhalt, sondern anch die Form seiner Rede zu überlegen.

Wie viel in diesem Punkt gesündigt wird, dafür lieferte Professor Riegel
gleich selbst ein kleines Beispiel. Er rühmte „die ausgezeichnete Zuvorkommenheit"
des Herrn Staatssekretärs v>-, von Stephan, mit der er in einem besondern
Schreiben für die Zusendung der Vereinsschriften gedankt habe. Hat er vielleicht
einen unausgesprochenen Wunsch des Vereins erfüllt, ihm aus eignem Antriebe eine
Vergünstigung gewahrt, oder womit ist er sonst „zuvorgekommen"? Er hat ge¬
dankt und versprochen, auch ferner ucich Thunlichkeit im Interesse des Vereins zu
wirken, wie er das bekanntlich bisher gethan hat. Das war höflich, aufmerksam,
liebenswürdig, gütig, entgegenkommend, oder wie man es sonst nennen will, aber
von Zuvorkommenheit kann dabei nicht gesprochen werden. Das verdiente nicht
erwähnt zu werden, wenn nicht Herr Riegel daraus ersehen könnte, daß ein wenig
nüchterne Schulweisheit für den Hausbedarf recht brauchbar ist.

Kurz und gut: der Sprachverein ist eine gute Sache, aber uicht Selbstzweck;
die Verdienste Riegels um diesen Verein werden bereitwillig anerkannt, aber als
Diktator können wir uns ihn nicht gefallen lassen. Und sollte den Mitgliedern,
damit die Einmütigkeit im Vereine nicht gestört werde, verboten werden, das
Falsche falsch und das Dumme dumm zu nennen, so würden sich wohl sehr viele
für die Mitgliedschaft höflich bedanken.




Litteratur
Deutsches Bürgertum. Von feinen Anfangen bis Ma Jahre 1803. Dargestellt von
Oskar Schwebel. Neue Ausgabe. Berlin, Hans Liistenöder, 1889

Die neue Auflage dieses 1383 erschienenen Buches verdient wohl eine neue
Erwähnung und Empfehlung. Denn dein heutigen Bürgertnme thun bei seinem
Ringen uach einer Neugestaltung belehrende Beispiele aus der Vergangenheit not,


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[0246] Litteratur bilduugeu, Satzverbindungen zu gebrauchen, durch die unsrer Sprache Gewalt an¬ gethan wird, die gegen den Geist unsrer Sprache sind, die sie verrenken und ver¬ unstalten, ja die oft genug düren Unsinn geben. Im Handumdrehen ist die neue Erfindung von einer Unzahl Gedankenloser an- und aufgenommen, einfach weil sie neu ist, weil sie sich etwas darauf einbilde«, immer das „Modernste" im Munde zu führen. Und was man täglich Hort und liest, macht man endlich willenlos und unwissentlich nach. Solchem Wesen ausdrücklich Berechtigung zuzuerkennen, hieße ebenso viel, wie verlangen, daß die künstlerische Stillehre sich allen Aus¬ geburten der Schneider- und Putzmacherphautasic unterwerfen müsse. Daß Pedanten (oder sollen wir sagen: Schnlsnchse?) die Sache übertreibe» tonnen, ist unbestreitbar. Aber der Unfug hat gegenwärtig eine Höhe erreicht, daß ein kleines Übermaß an Strenge gar nichts schadet. Das Sprachgewisscn ninß erst wieder geweckt werden. Nicht gegen volkstümliche, mundartliche Wörter und Wendungen lehnen wir uns auf, im Gegenteil werden wir solchen natürlichen Zu- fluß stets gern begrüßen. Nur der so oft mit Unwissenheit gepaarten Willkür soll das Handwerk gelegt, der Deutsche wieder daran gewöhnt werden, nicht nur den Inhalt, sondern anch die Form seiner Rede zu überlegen. Wie viel in diesem Punkt gesündigt wird, dafür lieferte Professor Riegel gleich selbst ein kleines Beispiel. Er rühmte „die ausgezeichnete Zuvorkommenheit" des Herrn Staatssekretärs v>-, von Stephan, mit der er in einem besondern Schreiben für die Zusendung der Vereinsschriften gedankt habe. Hat er vielleicht einen unausgesprochenen Wunsch des Vereins erfüllt, ihm aus eignem Antriebe eine Vergünstigung gewahrt, oder womit ist er sonst „zuvorgekommen"? Er hat ge¬ dankt und versprochen, auch ferner ucich Thunlichkeit im Interesse des Vereins zu wirken, wie er das bekanntlich bisher gethan hat. Das war höflich, aufmerksam, liebenswürdig, gütig, entgegenkommend, oder wie man es sonst nennen will, aber von Zuvorkommenheit kann dabei nicht gesprochen werden. Das verdiente nicht erwähnt zu werden, wenn nicht Herr Riegel daraus ersehen könnte, daß ein wenig nüchterne Schulweisheit für den Hausbedarf recht brauchbar ist. Kurz und gut: der Sprachverein ist eine gute Sache, aber uicht Selbstzweck; die Verdienste Riegels um diesen Verein werden bereitwillig anerkannt, aber als Diktator können wir uns ihn nicht gefallen lassen. Und sollte den Mitgliedern, damit die Einmütigkeit im Vereine nicht gestört werde, verboten werden, das Falsche falsch und das Dumme dumm zu nennen, so würden sich wohl sehr viele für die Mitgliedschaft höflich bedanken. Litteratur Deutsches Bürgertum. Von feinen Anfangen bis Ma Jahre 1803. Dargestellt von Oskar Schwebel. Neue Ausgabe. Berlin, Hans Liistenöder, 1889 Die neue Auflage dieses 1383 erschienenen Buches verdient wohl eine neue Erwähnung und Empfehlung. Denn dein heutigen Bürgertnme thun bei seinem Ringen uach einer Neugestaltung belehrende Beispiele aus der Vergangenheit not,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/246>, abgerufen am 27.04.2024.