Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die gegenwärtige kolonialpolitische Strömung/)

cis deutsch-englische Abkommen hat die Stadien durchlaufen, die
in England zu seiner Giltigkeit erforderlich waren, und es ist
auch anzunehmen, daß in dein Augenblick, wo diese Betrachtungen
veröffentlicht werden, die mehrfach angekündigte amtliche Denk¬
schrift erschienen sein wird, die die Gründe darlegen soll, die für die
deutsche Regierung beim Abschluß dieses Abkommens maßgebend gewesen sind.
Für den vorliegenden Zweck aber kommt es gar nicht darauf an, diese Grüude
kennen zu lernen, insbesondre auch nicht darauf, zu beurteilen, ob sie richtig
oder nicht richtig sind. Vielmehr soll die Aufgabe der nachstehenden Erörterungen
in einer allgemeinern Betrachtung bestehen, zu der die kolonialpolitische Be¬
wegung in Deutschland in den letzten Wochen Anlaß gegeben hat. Die Kolonial"
Politik im Reich ist wie manches große Werk mit unzureichenden Mitteln
begonnen und in unzureichender Weise ausgeführt und unterstützt worden; ihr
Ursprung lag offenbar in dem Überschuß nationaler Empfindung, die nach dem
glücklich beendeten Kriege und nach der Wiedererrichtung des deutschen Reiches
nicht lange Zeit brach zu liegen vermochte. Das deutsche Volk und insbesondre
die deutsche Jugend waren sich ihrer.Kraft bewußt geworden, und was das
ältere Geschlecht im Jahre 1870 geleistet hatte und womit es sich auch zu¬
frieden geben konnte, das wollte das jüngere Geschlecht ihm möglichst bald
nachthun. Nur so ist es zu erklären, wenn ganz junge Männer, die eben erst
ihre Studien vollendet hatten oder eben erst in die Armee als Offiziere ein¬
getreten waren, im Jahre 1884 den kühnen Entschluß faßten, den noch nicht



*) Der nachstehende Aussat, beleuchtet das englisch-deutsche Abkommen von einer andern
Seite, als die jüngst von uns abgedruckten drei Äußerungen, die, uuter dem ersten Eindruck
des Ereignisses stehend, der Überraschung und Enttäuschung über das Abkommen Ausdruck
gaben. Auch gegen sie wenden sich die folgenden Betrachtungen, sie werden aber dazu dienen,
eine richtige Abschätzung des Für und Wider herbeizuführen.
Grenzboten 111 1890 31


Die gegenwärtige kolonialpolitische Strömung/)

cis deutsch-englische Abkommen hat die Stadien durchlaufen, die
in England zu seiner Giltigkeit erforderlich waren, und es ist
auch anzunehmen, daß in dein Augenblick, wo diese Betrachtungen
veröffentlicht werden, die mehrfach angekündigte amtliche Denk¬
schrift erschienen sein wird, die die Gründe darlegen soll, die für die
deutsche Regierung beim Abschluß dieses Abkommens maßgebend gewesen sind.
Für den vorliegenden Zweck aber kommt es gar nicht darauf an, diese Grüude
kennen zu lernen, insbesondre auch nicht darauf, zu beurteilen, ob sie richtig
oder nicht richtig sind. Vielmehr soll die Aufgabe der nachstehenden Erörterungen
in einer allgemeinern Betrachtung bestehen, zu der die kolonialpolitische Be¬
wegung in Deutschland in den letzten Wochen Anlaß gegeben hat. Die Kolonial«
Politik im Reich ist wie manches große Werk mit unzureichenden Mitteln
begonnen und in unzureichender Weise ausgeführt und unterstützt worden; ihr
Ursprung lag offenbar in dem Überschuß nationaler Empfindung, die nach dem
glücklich beendeten Kriege und nach der Wiedererrichtung des deutschen Reiches
nicht lange Zeit brach zu liegen vermochte. Das deutsche Volk und insbesondre
die deutsche Jugend waren sich ihrer.Kraft bewußt geworden, und was das
ältere Geschlecht im Jahre 1870 geleistet hatte und womit es sich auch zu¬
frieden geben konnte, das wollte das jüngere Geschlecht ihm möglichst bald
nachthun. Nur so ist es zu erklären, wenn ganz junge Männer, die eben erst
ihre Studien vollendet hatten oder eben erst in die Armee als Offiziere ein¬
getreten waren, im Jahre 1884 den kühnen Entschluß faßten, den noch nicht



*) Der nachstehende Aussat, beleuchtet das englisch-deutsche Abkommen von einer andern
Seite, als die jüngst von uns abgedruckten drei Äußerungen, die, uuter dem ersten Eindruck
des Ereignisses stehend, der Überraschung und Enttäuschung über das Abkommen Ausdruck
gaben. Auch gegen sie wenden sich die folgenden Betrachtungen, sie werden aber dazu dienen,
eine richtige Abschätzung des Für und Wider herbeizuführen.
Grenzboten 111 1890 31
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208186"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341851_207936/figures/grenzboten_341851_207936_208186_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die gegenwärtige kolonialpolitische Strömung/)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_679" next="#ID_680"> cis deutsch-englische Abkommen hat die Stadien durchlaufen, die<lb/>
in England zu seiner Giltigkeit erforderlich waren, und es ist<lb/>
auch anzunehmen, daß in dein Augenblick, wo diese Betrachtungen<lb/>
veröffentlicht werden, die mehrfach angekündigte amtliche Denk¬<lb/>
schrift erschienen sein wird, die die Gründe darlegen soll, die für die<lb/>
deutsche Regierung beim Abschluß dieses Abkommens maßgebend gewesen sind.<lb/>
Für den vorliegenden Zweck aber kommt es gar nicht darauf an, diese Grüude<lb/>
kennen zu lernen, insbesondre auch nicht darauf, zu beurteilen, ob sie richtig<lb/>
oder nicht richtig sind. Vielmehr soll die Aufgabe der nachstehenden Erörterungen<lb/>
in einer allgemeinern Betrachtung bestehen, zu der die kolonialpolitische Be¬<lb/>
wegung in Deutschland in den letzten Wochen Anlaß gegeben hat. Die Kolonial«<lb/>
Politik im Reich ist wie manches große Werk mit unzureichenden Mitteln<lb/>
begonnen und in unzureichender Weise ausgeführt und unterstützt worden; ihr<lb/>
Ursprung lag offenbar in dem Überschuß nationaler Empfindung, die nach dem<lb/>
glücklich beendeten Kriege und nach der Wiedererrichtung des deutschen Reiches<lb/>
nicht lange Zeit brach zu liegen vermochte. Das deutsche Volk und insbesondre<lb/>
die deutsche Jugend waren sich ihrer.Kraft bewußt geworden, und was das<lb/>
ältere Geschlecht im Jahre 1870 geleistet hatte und womit es sich auch zu¬<lb/>
frieden geben konnte, das wollte das jüngere Geschlecht ihm möglichst bald<lb/>
nachthun. Nur so ist es zu erklären, wenn ganz junge Männer, die eben erst<lb/>
ihre Studien vollendet hatten oder eben erst in die Armee als Offiziere ein¬<lb/>
getreten waren, im Jahre 1884 den kühnen Entschluß faßten, den noch nicht</p><lb/>
          <note xml:id="FID_23" place="foot"> *) Der nachstehende Aussat, beleuchtet das englisch-deutsche Abkommen von einer andern<lb/>
Seite, als die jüngst von uns abgedruckten drei Äußerungen, die, uuter dem ersten Eindruck<lb/>
des Ereignisses stehend, der Überraschung und Enttäuschung über das Abkommen Ausdruck<lb/>
gaben. Auch gegen sie wenden sich die folgenden Betrachtungen, sie werden aber dazu dienen,<lb/>
eine richtige Abschätzung des Für und Wider herbeizuführen.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 111 1890 31</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0249] [Abbildung] Die gegenwärtige kolonialpolitische Strömung/) cis deutsch-englische Abkommen hat die Stadien durchlaufen, die in England zu seiner Giltigkeit erforderlich waren, und es ist auch anzunehmen, daß in dein Augenblick, wo diese Betrachtungen veröffentlicht werden, die mehrfach angekündigte amtliche Denk¬ schrift erschienen sein wird, die die Gründe darlegen soll, die für die deutsche Regierung beim Abschluß dieses Abkommens maßgebend gewesen sind. Für den vorliegenden Zweck aber kommt es gar nicht darauf an, diese Grüude kennen zu lernen, insbesondre auch nicht darauf, zu beurteilen, ob sie richtig oder nicht richtig sind. Vielmehr soll die Aufgabe der nachstehenden Erörterungen in einer allgemeinern Betrachtung bestehen, zu der die kolonialpolitische Be¬ wegung in Deutschland in den letzten Wochen Anlaß gegeben hat. Die Kolonial« Politik im Reich ist wie manches große Werk mit unzureichenden Mitteln begonnen und in unzureichender Weise ausgeführt und unterstützt worden; ihr Ursprung lag offenbar in dem Überschuß nationaler Empfindung, die nach dem glücklich beendeten Kriege und nach der Wiedererrichtung des deutschen Reiches nicht lange Zeit brach zu liegen vermochte. Das deutsche Volk und insbesondre die deutsche Jugend waren sich ihrer.Kraft bewußt geworden, und was das ältere Geschlecht im Jahre 1870 geleistet hatte und womit es sich auch zu¬ frieden geben konnte, das wollte das jüngere Geschlecht ihm möglichst bald nachthun. Nur so ist es zu erklären, wenn ganz junge Männer, die eben erst ihre Studien vollendet hatten oder eben erst in die Armee als Offiziere ein¬ getreten waren, im Jahre 1884 den kühnen Entschluß faßten, den noch nicht *) Der nachstehende Aussat, beleuchtet das englisch-deutsche Abkommen von einer andern Seite, als die jüngst von uns abgedruckten drei Äußerungen, die, uuter dem ersten Eindruck des Ereignisses stehend, der Überraschung und Enttäuschung über das Abkommen Ausdruck gaben. Auch gegen sie wenden sich die folgenden Betrachtungen, sie werden aber dazu dienen, eine richtige Abschätzung des Für und Wider herbeizuführen. Grenzboten 111 1890 31

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/249
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/249>, abgerufen am 28.04.2024.