Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Gine brennende Ohrfeige

er sogenannte böhmische Ausgleich scheint seinen Kreislauf bereits
vollendet zu haben. Die Tschechen wollen ihn nicht zu stände
kommen lassen, und die Deutschen erkennen endlich, daß ihnen
auch das weiteste Entgegenkommen nichts nützt. Auch dieser
Sühneversuch ist gescheitert, und man muß nur wünschen, daß
er der letzte bleibe. Wie viele Mittel sind schon versucht worden, die Tschechen
zu einer vernünftigen, ruhigen Mitarbeit an den Staatsgeschäften zu bewegen!
Aber weder die Giskrasche "Versöhnung durch die Freiheit," noch die wohl¬
wollende Vermittelung des Grafen Potocki, noch des Grafen Taaffe äußerste
Zugeständnisse haben verfangen, auch die Kapitulation, zu der Beleredi und
Hohenwart bereit waren, würde nicht befriedigt haben, wenn sie zu stände ge¬
kommen wäre, und die geheimen Zettelungen, einmal von Beust, einmal von
Privatpersonen (angeblich unter der Ägide des damaligen Ministers Unger)
betrieben, haben die Lage immer nur verschlimmert. Ob die Tschechen jemals
sür den Genuß politischer Freiheit reif werden, ist fraglich, jetzt find sie noch
nicht so weit. Die großen Mundhelden an ihrer Spitze wiederholen täglich,
"das Volk" verlange das tschechische Königreich Böhmen, und es ist gar nicht
zu leugnen, daß die Massen fanatisirt worden sind in dein Grade, daß die
Alttschechen nur noch durch die schmählichsten Winkel- und Rückzüge, Ver¬
schlingen der eignen Worte und bedingungslose Unterwerfung sich vor dein
Schicksal retten können, ebenso verfehmt und verfolgt zu werden, wie einst
Herbst und Schmerling. Als ob es ein Kunststück wäre, ungebildete, begehr¬
liche Bvlksmassen gegen angebliche Unterdrücker zu entflammen! Das haben
die Demagogen aller Zeiten verstanden, auch die tschechischen im vier¬
zehnten und fünfzehnten Jahrhundert und die von 1848. In dein letztern


Grenzboten III Z890 37


Gine brennende Ohrfeige

er sogenannte böhmische Ausgleich scheint seinen Kreislauf bereits
vollendet zu haben. Die Tschechen wollen ihn nicht zu stände
kommen lassen, und die Deutschen erkennen endlich, daß ihnen
auch das weiteste Entgegenkommen nichts nützt. Auch dieser
Sühneversuch ist gescheitert, und man muß nur wünschen, daß
er der letzte bleibe. Wie viele Mittel sind schon versucht worden, die Tschechen
zu einer vernünftigen, ruhigen Mitarbeit an den Staatsgeschäften zu bewegen!
Aber weder die Giskrasche „Versöhnung durch die Freiheit," noch die wohl¬
wollende Vermittelung des Grafen Potocki, noch des Grafen Taaffe äußerste
Zugeständnisse haben verfangen, auch die Kapitulation, zu der Beleredi und
Hohenwart bereit waren, würde nicht befriedigt haben, wenn sie zu stände ge¬
kommen wäre, und die geheimen Zettelungen, einmal von Beust, einmal von
Privatpersonen (angeblich unter der Ägide des damaligen Ministers Unger)
betrieben, haben die Lage immer nur verschlimmert. Ob die Tschechen jemals
sür den Genuß politischer Freiheit reif werden, ist fraglich, jetzt find sie noch
nicht so weit. Die großen Mundhelden an ihrer Spitze wiederholen täglich,
»das Volk" verlange das tschechische Königreich Böhmen, und es ist gar nicht
zu leugnen, daß die Massen fanatisirt worden sind in dein Grade, daß die
Alttschechen nur noch durch die schmählichsten Winkel- und Rückzüge, Ver¬
schlingen der eignen Worte und bedingungslose Unterwerfung sich vor dein
Schicksal retten können, ebenso verfehmt und verfolgt zu werden, wie einst
Herbst und Schmerling. Als ob es ein Kunststück wäre, ungebildete, begehr¬
liche Bvlksmassen gegen angebliche Unterdrücker zu entflammen! Das haben
die Demagogen aller Zeiten verstanden, auch die tschechischen im vier¬
zehnten und fünfzehnten Jahrhundert und die von 1848. In dein letztern


Grenzboten III Z890 37
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208234"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341851_207936/figures/grenzboten_341851_207936_208234_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gine brennende Ohrfeige<lb/></head><lb/>
          <p xml:id="ID_822" next="#ID_823"> er sogenannte böhmische Ausgleich scheint seinen Kreislauf bereits<lb/>
vollendet zu haben. Die Tschechen wollen ihn nicht zu stände<lb/>
kommen lassen, und die Deutschen erkennen endlich, daß ihnen<lb/>
auch das weiteste Entgegenkommen nichts nützt. Auch dieser<lb/>
Sühneversuch ist gescheitert, und man muß nur wünschen, daß<lb/>
er der letzte bleibe. Wie viele Mittel sind schon versucht worden, die Tschechen<lb/>
zu einer vernünftigen, ruhigen Mitarbeit an den Staatsgeschäften zu bewegen!<lb/>
Aber weder die Giskrasche &#x201E;Versöhnung durch die Freiheit," noch die wohl¬<lb/>
wollende Vermittelung des Grafen Potocki, noch des Grafen Taaffe äußerste<lb/>
Zugeständnisse haben verfangen, auch die Kapitulation, zu der Beleredi und<lb/>
Hohenwart bereit waren, würde nicht befriedigt haben, wenn sie zu stände ge¬<lb/>
kommen wäre, und die geheimen Zettelungen, einmal von Beust, einmal von<lb/>
Privatpersonen (angeblich unter der Ägide des damaligen Ministers Unger)<lb/>
betrieben, haben die Lage immer nur verschlimmert. Ob die Tschechen jemals<lb/>
sür den Genuß politischer Freiheit reif werden, ist fraglich, jetzt find sie noch<lb/>
nicht so weit. Die großen Mundhelden an ihrer Spitze wiederholen täglich,<lb/>
»das Volk" verlange das tschechische Königreich Böhmen, und es ist gar nicht<lb/>
zu leugnen, daß die Massen fanatisirt worden sind in dein Grade, daß die<lb/>
Alttschechen nur noch durch die schmählichsten Winkel- und Rückzüge, Ver¬<lb/>
schlingen der eignen Worte und bedingungslose Unterwerfung sich vor dein<lb/>
Schicksal retten können, ebenso verfehmt und verfolgt zu werden, wie einst<lb/>
Herbst und Schmerling. Als ob es ein Kunststück wäre, ungebildete, begehr¬<lb/>
liche Bvlksmassen gegen angebliche Unterdrücker zu entflammen! Das haben<lb/>
die Demagogen aller Zeiten verstanden, auch die tschechischen im vier¬<lb/>
zehnten und fünfzehnten Jahrhundert und die von 1848.  In dein letztern</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III Z890 37</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0297] [Abbildung] Gine brennende Ohrfeige er sogenannte böhmische Ausgleich scheint seinen Kreislauf bereits vollendet zu haben. Die Tschechen wollen ihn nicht zu stände kommen lassen, und die Deutschen erkennen endlich, daß ihnen auch das weiteste Entgegenkommen nichts nützt. Auch dieser Sühneversuch ist gescheitert, und man muß nur wünschen, daß er der letzte bleibe. Wie viele Mittel sind schon versucht worden, die Tschechen zu einer vernünftigen, ruhigen Mitarbeit an den Staatsgeschäften zu bewegen! Aber weder die Giskrasche „Versöhnung durch die Freiheit," noch die wohl¬ wollende Vermittelung des Grafen Potocki, noch des Grafen Taaffe äußerste Zugeständnisse haben verfangen, auch die Kapitulation, zu der Beleredi und Hohenwart bereit waren, würde nicht befriedigt haben, wenn sie zu stände ge¬ kommen wäre, und die geheimen Zettelungen, einmal von Beust, einmal von Privatpersonen (angeblich unter der Ägide des damaligen Ministers Unger) betrieben, haben die Lage immer nur verschlimmert. Ob die Tschechen jemals sür den Genuß politischer Freiheit reif werden, ist fraglich, jetzt find sie noch nicht so weit. Die großen Mundhelden an ihrer Spitze wiederholen täglich, »das Volk" verlange das tschechische Königreich Böhmen, und es ist gar nicht zu leugnen, daß die Massen fanatisirt worden sind in dein Grade, daß die Alttschechen nur noch durch die schmählichsten Winkel- und Rückzüge, Ver¬ schlingen der eignen Worte und bedingungslose Unterwerfung sich vor dein Schicksal retten können, ebenso verfehmt und verfolgt zu werden, wie einst Herbst und Schmerling. Als ob es ein Kunststück wäre, ungebildete, begehr¬ liche Bvlksmassen gegen angebliche Unterdrücker zu entflammen! Das haben die Demagogen aller Zeiten verstanden, auch die tschechischen im vier¬ zehnten und fünfzehnten Jahrhundert und die von 1848. In dein letztern Grenzboten III Z890 37

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/297
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/297>, abgerufen am 28.04.2024.