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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die hypnotische Suggestion

reue Hand kommt durchs ganze Land, hieß es ehedem bei uns.
In dem modernsten aller Länder, in Nordamerika, wird es dein
treuen und ehrlichen Meuscheu mitunter schon recht schwer, wo¬
gegen Schwindler desto leichter durchkommen. Das Ranbmvrder-
paar Michel Ehraud und Gabriele Bvmpard fanden auf ihrer
Tournee durch Nordamerika überall Freunde, Glauben und offene Kasse. Das
hübsche Gesicht der Dirne, die Ehraud für seine Tochter ausgab, und seine
feine Weinzunge -- so eine Weinzunge ist mehr wert als ein Leben voll ehr¬
licher Arbeit -- hatten es den Großgrundbesitzern des Westens angethan; sie
drängten ihm ihr Geld förmlich auf. Ein Herr Garanger bat ihn in aller
Form um die Hand seiner "Tochter" -- wie haben wir beide da gelacht! sagte
Ehraud, als er diese Geschichte in seinem kubanischen Gefängnis einem Zeitungs¬
berichterstatter erzählte -- und wollte sich mit einem Diplomaten duelliren,
der sie auf einige Tage entführt hatte. Wahrscheinlich würden sie heute noch
herumhvchstapelu, wenn sie sich nicht im tollen Übermut selbst der Gerechtig¬
keit ausgeliefert hätten. Und diese namentlich in Paris oft recht blinde Ge¬
rechtigkeit wird dem interessanten Dämchen nicht viel anhaben. Sind doch die
berühmtesten Ärzte darüber her, die Glaubwürdigkeit ihrer Behauptung zu
prüfen, sie sei von Ehraud durch Suggestion gezwungen worden, den Gerichts¬
vollzieher Gvuff6 zu erdrosseln. Diese Ärzte haben bereits ermittelt, daß
Gabriele sehr nervös und leicht hypnotisirbar ist; was sich daraus erklärt,
daß sie sich von Jugend auf in ihrer Vaterstadt Lille zuerst von Schnubuden-
mngnetiseuren und dann von solchen Personen hat gebrauchen lassen, die das
Hhpnvtisiren aus Liebhaberei betreiben.

Französische Blätter weisen bei dieser Gelegenheit ans die Verheerungen
hin, die der hypnotische Unfug anrichtet. Mehrere Opfer solcher frevelhaften
Versuche haben bereits in Irrenhäuser gebracht werden müssen. Im Colloge
de Chaumont sind fünfzig Schüler krank geworden, die, durch den Besuch eines
Magnetiseurs verführt, sich gegenseitig hhpnotisirt hatten. Jene vornehme
Welt, die sich vor lauter Vergnügen stets langweilt, hat den neuen Sport
begierig aufgegriffen; auf den Einladungskarten zu Abendgesellschaften pflegt


Grenzboten III 189V 4


Die hypnotische Suggestion

reue Hand kommt durchs ganze Land, hieß es ehedem bei uns.
In dem modernsten aller Länder, in Nordamerika, wird es dein
treuen und ehrlichen Meuscheu mitunter schon recht schwer, wo¬
gegen Schwindler desto leichter durchkommen. Das Ranbmvrder-
paar Michel Ehraud und Gabriele Bvmpard fanden auf ihrer
Tournee durch Nordamerika überall Freunde, Glauben und offene Kasse. Das
hübsche Gesicht der Dirne, die Ehraud für seine Tochter ausgab, und seine
feine Weinzunge — so eine Weinzunge ist mehr wert als ein Leben voll ehr¬
licher Arbeit — hatten es den Großgrundbesitzern des Westens angethan; sie
drängten ihm ihr Geld förmlich auf. Ein Herr Garanger bat ihn in aller
Form um die Hand seiner „Tochter" — wie haben wir beide da gelacht! sagte
Ehraud, als er diese Geschichte in seinem kubanischen Gefängnis einem Zeitungs¬
berichterstatter erzählte — und wollte sich mit einem Diplomaten duelliren,
der sie auf einige Tage entführt hatte. Wahrscheinlich würden sie heute noch
herumhvchstapelu, wenn sie sich nicht im tollen Übermut selbst der Gerechtig¬
keit ausgeliefert hätten. Und diese namentlich in Paris oft recht blinde Ge¬
rechtigkeit wird dem interessanten Dämchen nicht viel anhaben. Sind doch die
berühmtesten Ärzte darüber her, die Glaubwürdigkeit ihrer Behauptung zu
prüfen, sie sei von Ehraud durch Suggestion gezwungen worden, den Gerichts¬
vollzieher Gvuff6 zu erdrosseln. Diese Ärzte haben bereits ermittelt, daß
Gabriele sehr nervös und leicht hypnotisirbar ist; was sich daraus erklärt,
daß sie sich von Jugend auf in ihrer Vaterstadt Lille zuerst von Schnubuden-
mngnetiseuren und dann von solchen Personen hat gebrauchen lassen, die das
Hhpnvtisiren aus Liebhaberei betreiben.

Französische Blätter weisen bei dieser Gelegenheit ans die Verheerungen
hin, die der hypnotische Unfug anrichtet. Mehrere Opfer solcher frevelhaften
Versuche haben bereits in Irrenhäuser gebracht werden müssen. Im Colloge
de Chaumont sind fünfzig Schüler krank geworden, die, durch den Besuch eines
Magnetiseurs verführt, sich gegenseitig hhpnotisirt hatten. Jene vornehme
Welt, die sich vor lauter Vergnügen stets langweilt, hat den neuen Sport
begierig aufgegriffen; auf den Einladungskarten zu Abendgesellschaften pflegt


Grenzboten III 189V 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/33>, abgerufen am 27.04.2024.