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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Wir freilich kaum beklagen, da sich dieses im Laufe der Jahre immer mehr als
eine verfehlte Einrichtung erwiesen hat. Aber mich manche andern freiheitlichen
Gesetze würden dann wahrscheinlich als Opfer fallen oder doch wesentliche
Beschränkungen erleiden, nicht allein für die Sozialdemokratie, sondern für alle
Parteien. Die aber, die hiervon in erster Linie betroffen werden würden, sind
die liberalen Parteien, Nicht allein die Freisinnigen, diese "beste Vorfrucht"
der Sozialdemokratie, sondern auch die gemäßigten Liberalen würden das
schmerzlich zu empfinden haben, und eS würde für sie nur ein geringer Trost
sein, daß nunmehr doch auf dem Wege deS "gemeinen Rechtes" gegen die Sozial¬
demokratie vorgeschritten würde. Ein kleines Vorspiel dieser Sachlage giebt
schon jetzt die Erscheinung ab, daß die freisinnige Presse gegen die Unordnung
des Ministers, die eine strenge Handhabung der gesetzlichen Maßregeln gegen
die Svzialdenwkmtie befiehlt, heftig ankämpft. Offenbar fühlen die Herren
Freisinnigen, daß sich diese Strenge folgerichtig anch gegen sie kehren muß.

Es ist daher unsers Trachtens eine große Thorheit der liberalen Parteien
gewesen, daß sie gegen das Svzialistengesetz mehr oder minder lebhaft angekämpft
und dadurch dazu beigetragen haben, es zu Falle zu bringe". Die dadurch
heraufbeschworenen Gefahren drohen vor allen ihnen selbst verderblich zu
werden. Das Sozialistengesetz war die Versicherungsprämie, die die liberalen
Parteien zu zahlen hatten, um den Fortbestand ihrer freiheitlichen Grundsätze
zu sichern. Wem aber die Versicherungsprämie für sein Haus zu hoch dünkt,
um sie ferner zu zahlen, der muß dann auch gewärtigen, daß, wenn ein Brand
ausbricht, der Schaden anf ihm haften bleibt. Wir würden es beklagen, wenn
die liberalen Parteien dieses Geschick träfe. Aber wundern würde es uns nicht.




Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit
i

eun der Verfasser des unten genannten Schriftchens") einen
patriotischen Berein nach dem Vorbilde des Tngendbundes ge¬
gründet hätte, dann würden wir durch öffentliche Kritik des
Unternehmens eine patriotische Pflicht zu verletzen glaube". Denn
gute Werke soll mau nicht durch kritische Nörgelei in ihrem Fvrt-
M'ge stören. Aber da es sich vorläufig mir um eine Schrift handelt, so ist
Kritik nicht allein erlaubt, sondern Pflicht, weil es die guten Absichten des



*) Schwarz weiß rot. Eine Ethik des Patriotismus. Von Th. Breche. Heft II.
Halle a. S., Engen Serien, 18S0.

Wir freilich kaum beklagen, da sich dieses im Laufe der Jahre immer mehr als
eine verfehlte Einrichtung erwiesen hat. Aber mich manche andern freiheitlichen
Gesetze würden dann wahrscheinlich als Opfer fallen oder doch wesentliche
Beschränkungen erleiden, nicht allein für die Sozialdemokratie, sondern für alle
Parteien. Die aber, die hiervon in erster Linie betroffen werden würden, sind
die liberalen Parteien, Nicht allein die Freisinnigen, diese „beste Vorfrucht"
der Sozialdemokratie, sondern auch die gemäßigten Liberalen würden das
schmerzlich zu empfinden haben, und eS würde für sie nur ein geringer Trost
sein, daß nunmehr doch auf dem Wege deS „gemeinen Rechtes" gegen die Sozial¬
demokratie vorgeschritten würde. Ein kleines Vorspiel dieser Sachlage giebt
schon jetzt die Erscheinung ab, daß die freisinnige Presse gegen die Unordnung
des Ministers, die eine strenge Handhabung der gesetzlichen Maßregeln gegen
die Svzialdenwkmtie befiehlt, heftig ankämpft. Offenbar fühlen die Herren
Freisinnigen, daß sich diese Strenge folgerichtig anch gegen sie kehren muß.

Es ist daher unsers Trachtens eine große Thorheit der liberalen Parteien
gewesen, daß sie gegen das Svzialistengesetz mehr oder minder lebhaft angekämpft
und dadurch dazu beigetragen haben, es zu Falle zu bringe». Die dadurch
heraufbeschworenen Gefahren drohen vor allen ihnen selbst verderblich zu
werden. Das Sozialistengesetz war die Versicherungsprämie, die die liberalen
Parteien zu zahlen hatten, um den Fortbestand ihrer freiheitlichen Grundsätze
zu sichern. Wem aber die Versicherungsprämie für sein Haus zu hoch dünkt,
um sie ferner zu zahlen, der muß dann auch gewärtigen, daß, wenn ein Brand
ausbricht, der Schaden anf ihm haften bleibt. Wir würden es beklagen, wenn
die liberalen Parteien dieses Geschick träfe. Aber wundern würde es uns nicht.




Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit
i

eun der Verfasser des unten genannten Schriftchens") einen
patriotischen Berein nach dem Vorbilde des Tngendbundes ge¬
gründet hätte, dann würden wir durch öffentliche Kritik des
Unternehmens eine patriotische Pflicht zu verletzen glaube». Denn
gute Werke soll mau nicht durch kritische Nörgelei in ihrem Fvrt-
M'ge stören. Aber da es sich vorläufig mir um eine Schrift handelt, so ist
Kritik nicht allein erlaubt, sondern Pflicht, weil es die guten Absichten des



*) Schwarz weiß rot. Eine Ethik des Patriotismus. Von Th. Breche. Heft II.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/349>, abgerufen am 27.04.2024.