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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Auf Irrwegen

befähigen. So lange die hnnsiudustrielle Jugend möglichst wenig gewerbliche
Ausbildung erhält, um möglichst rasch etwas für die Familie zu verdienen,
ist es unmöglich, ihre Leistungsfähigkeit zu heben und eine erfolgreichere.Kon¬
kurrenz mit der Maschine zu ermöglichen. Die Verwirklichung dieser Refvrm-
gedanken würde ein ebenso herzhafter wie segensreicher Schritt ans der Bahn
einer gesunden Sozialpolitik sein.

Trotz mancherlei im Vorstehenden zum Teil angedeuteter Mängel erfüllt
auch der vorliegende Band von Einzelberichten seinen Zweck in würdiger Weise,
die auf Dank gerechten Anspruch hat. Ein Muster einer sozialen Untersuchung
hat Dr. Gustav Lange, soviel uns bekannt, Hilfsarbeiter am königlichen stati¬
stischen Bureau in Berlin, durch seinen Bericht über die schlesische Hausindustrie
geliefert. Seine ebenso gründliche wie geschmackvolle Darstellung verbindet mit
einer Fülle von Anregung einen gewissen ästhetischen Reiz und gewährt einen
hohen wissenschaftlichen Genuß.


Karl Kirchner


Auf Irrwegen
Otto Buchwald von

v HMM
VVWUMcum Lessing heute von den Toten auferstünde, so würde er mit
Befriedigung wahrnehmen, daß seine Dramen und kritischen
Schriften noch immer als Muster gelten und das Studium der
besten Köpfe bilden; aber zugleich würde es ihn schmerzlich be¬
fremden, daß der Teil seiner schriftstellerischen Thätigkeit, der
die Befreiung der deutschen Litteratur von fremdländischen Einflüssen erstrebte,
zur Zeit so wenig seine nachwirkende Kraft ausübt.

Drama und Roman -- um von der durch allgemeine Teilnahmlosig¬
keit hinsiechenden Lyrik zu schweigen -- werden mehr denn je von auslän¬
dischen Einflüssen beherrscht. Französische Theaterstücke feiern trotz ihrer
nachgerade auch verbrauchten Motive infolge ihrer Bühnenwirksamkeit noch
immer auf deutscheu Theatern Triumphe, und wenn auch Ibsen wegen des
Inhalts seiner Dramen bisher zu keiner das Repertoire beherrschenden Stel¬
lung gelangt ist, so wird er doch viel gelesen, und sein Einfluß auf die neueste
deutsche Produktion ist unverkennbar. Noch auffallender ist die Abhängigkeit
von fremden Mustern auf dem Gebiete des Romans. Zola und die russischen
Novellisten beherrschen das Feld; in Zeitschriften und Zeitungen liest man


Auf Irrwegen

befähigen. So lange die hnnsiudustrielle Jugend möglichst wenig gewerbliche
Ausbildung erhält, um möglichst rasch etwas für die Familie zu verdienen,
ist es unmöglich, ihre Leistungsfähigkeit zu heben und eine erfolgreichere.Kon¬
kurrenz mit der Maschine zu ermöglichen. Die Verwirklichung dieser Refvrm-
gedanken würde ein ebenso herzhafter wie segensreicher Schritt ans der Bahn
einer gesunden Sozialpolitik sein.

Trotz mancherlei im Vorstehenden zum Teil angedeuteter Mängel erfüllt
auch der vorliegende Band von Einzelberichten seinen Zweck in würdiger Weise,
die auf Dank gerechten Anspruch hat. Ein Muster einer sozialen Untersuchung
hat Dr. Gustav Lange, soviel uns bekannt, Hilfsarbeiter am königlichen stati¬
stischen Bureau in Berlin, durch seinen Bericht über die schlesische Hausindustrie
geliefert. Seine ebenso gründliche wie geschmackvolle Darstellung verbindet mit
einer Fülle von Anregung einen gewissen ästhetischen Reiz und gewährt einen
hohen wissenschaftlichen Genuß.


Karl Kirchner


Auf Irrwegen
Otto Buchwald von

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VVWUMcum Lessing heute von den Toten auferstünde, so würde er mit
Befriedigung wahrnehmen, daß seine Dramen und kritischen
Schriften noch immer als Muster gelten und das Studium der
besten Köpfe bilden; aber zugleich würde es ihn schmerzlich be¬
fremden, daß der Teil seiner schriftstellerischen Thätigkeit, der
die Befreiung der deutschen Litteratur von fremdländischen Einflüssen erstrebte,
zur Zeit so wenig seine nachwirkende Kraft ausübt.

Drama und Roman — um von der durch allgemeine Teilnahmlosig¬
keit hinsiechenden Lyrik zu schweigen — werden mehr denn je von auslän¬
dischen Einflüssen beherrscht. Französische Theaterstücke feiern trotz ihrer
nachgerade auch verbrauchten Motive infolge ihrer Bühnenwirksamkeit noch
immer auf deutscheu Theatern Triumphe, und wenn auch Ibsen wegen des
Inhalts seiner Dramen bisher zu keiner das Repertoire beherrschenden Stel¬
lung gelangt ist, so wird er doch viel gelesen, und sein Einfluß auf die neueste
deutsche Produktion ist unverkennbar. Noch auffallender ist die Abhängigkeit
von fremden Mustern auf dem Gebiete des Romans. Zola und die russischen
Novellisten beherrschen das Feld; in Zeitschriften und Zeitungen liest man


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[0372] Auf Irrwegen befähigen. So lange die hnnsiudustrielle Jugend möglichst wenig gewerbliche Ausbildung erhält, um möglichst rasch etwas für die Familie zu verdienen, ist es unmöglich, ihre Leistungsfähigkeit zu heben und eine erfolgreichere.Kon¬ kurrenz mit der Maschine zu ermöglichen. Die Verwirklichung dieser Refvrm- gedanken würde ein ebenso herzhafter wie segensreicher Schritt ans der Bahn einer gesunden Sozialpolitik sein. Trotz mancherlei im Vorstehenden zum Teil angedeuteter Mängel erfüllt auch der vorliegende Band von Einzelberichten seinen Zweck in würdiger Weise, die auf Dank gerechten Anspruch hat. Ein Muster einer sozialen Untersuchung hat Dr. Gustav Lange, soviel uns bekannt, Hilfsarbeiter am königlichen stati¬ stischen Bureau in Berlin, durch seinen Bericht über die schlesische Hausindustrie geliefert. Seine ebenso gründliche wie geschmackvolle Darstellung verbindet mit einer Fülle von Anregung einen gewissen ästhetischen Reiz und gewährt einen hohen wissenschaftlichen Genuß. Karl Kirchner Auf Irrwegen Otto Buchwald von v HMM VVWUMcum Lessing heute von den Toten auferstünde, so würde er mit Befriedigung wahrnehmen, daß seine Dramen und kritischen Schriften noch immer als Muster gelten und das Studium der besten Köpfe bilden; aber zugleich würde es ihn schmerzlich be¬ fremden, daß der Teil seiner schriftstellerischen Thätigkeit, der die Befreiung der deutschen Litteratur von fremdländischen Einflüssen erstrebte, zur Zeit so wenig seine nachwirkende Kraft ausübt. Drama und Roman — um von der durch allgemeine Teilnahmlosig¬ keit hinsiechenden Lyrik zu schweigen — werden mehr denn je von auslän¬ dischen Einflüssen beherrscht. Französische Theaterstücke feiern trotz ihrer nachgerade auch verbrauchten Motive infolge ihrer Bühnenwirksamkeit noch immer auf deutscheu Theatern Triumphe, und wenn auch Ibsen wegen des Inhalts seiner Dramen bisher zu keiner das Repertoire beherrschenden Stel¬ lung gelangt ist, so wird er doch viel gelesen, und sein Einfluß auf die neueste deutsche Produktion ist unverkennbar. Noch auffallender ist die Abhängigkeit von fremden Mustern auf dem Gebiete des Romans. Zola und die russischen Novellisten beherrschen das Feld; in Zeitschriften und Zeitungen liest man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/372>, abgerufen am 28.04.2024.