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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

Freilich sind an dieser eigenartigen, nicht Übersetzung, sondern Beibehaltung
vielleicht die Lexika schuld, in denen man z. B, finden kann, daß x italienisch heißt
-- die alberne Erfindung eines sprachmeisternden Schullehrers. Farina hat
als gebildeter Mann ganz richtig für x gesagt i^IrilZNo, denn eiuen Konsonanten
am Ende eines Wortes kann kein Italiener aussprechen; deshalb hangt er ihm ein
stummes o an; und zwei Konsonanten wie x kann er auch nicht hinter einander
aussprechen, er setzt also einen schwachen Vokal (stummes E oder kurzes i) da¬
zwischen.


Eine ungehaltene Rede.

Dem Nichtgewählten, der von Zeit zu Zeit den
Grenzboten seine ungehaltenen Reden anvertraut, ist ein Wiener Zeitungsblatt zu¬
gesandt worden, aus dem hervorgeht, daß sein gutes Beispiel Nachahmung
findet. Der bekannte Geschichtschreiber und Politiker Herr von Heisere, der als
Mitglied des österreichischen Herrenhauses allerdings mich nicht gewählt, aber doch
berufen ist und daher berechtigt wäre, der hohen Versammlung seine Ansichten
mündlich mitzuteilen, hat es vorgezogen, eine lange Rede gegen den Dualismus,
die er auf dem Herzen hatte, und von der er doch keinen Erfolg erwarten konnte,
einfach der Redaktion einer befreundeten Zeitung zu übergeben und nebenbei gleich
die deutsche Sprache um ein köstliches Wort zu bereichern- "Beweggründnng."
Schon hierbei läßt sich der Vorzug des neuen Verfahrens nachweisen: die Steno¬
graphen hätten wahrscheinlich verstanden "Begründung," oder doch gemeint, das
kürzere Wort thue es auch, da es ja dasselbe bedeute -- die Kurzsichtigen, die
nicht begreifen, daß es zweierlei ist, ob jemand seine Gründe vorträgt oder
seine Beweggründe -- und so wäre möglicherweise unser Sprachschatz um ein
Kleinod gekommen, das ihm gerettet wurde, weil der Redner sein eigner
Stenograph war. Aber auch abgesehen hiervon rufen wir- Vivat 8o",r>on8! Wie
viel Zeit, Langeweile und Ärger könnte erspart werden, wenn z. B. Herr Richter
künftig spräche: "Ich stimme natürlich gegen die Regierungsvorlage, wer die Be¬
weggründnng kennen lernen will, lese meine heutige Zeitung." Seine Anhänger
hätten sie natürlich schon gelesen, und die übrigen wären froh, den Artikel weder
lesen "och anhören zu müssen. Allerdings wird sich gerade Herr Richter nicht
leicht dazu entschließen, da er gleich dem Schloßvogt in der Preciosa glaubt, man
könne seine Geschichten nie zu oft hören. Aber der Anfang ist einmal gemacht,
warten wir geduldig hoffend das Weitere ub.




Litteratur
sittliches Sein und sittliches Werden. Grundlinien eines Systems der Ethik.
Bon Theobald Ziegler. Zweite unveränderte Anflaizc. Straßbnrg, Karl I. Trnvxer, 1890

Dieses Biichlein ist aus Vortrügen entstanden, die zu, Frankfurt a. M. ge¬
halten wurden, und giebt in ansprechender Form eine beinahe vollständige Übersicht
der wichtigsten ethischen Fragen mit annehmbaren Lösungsversuchen. Der Ver¬
fasser ist Optimist und steht, wie er selbst bekennt, auf demselben Boden wie
Paulsen und der Däne Höffding. Darin stehen nur ihm sehr nahe. Aber was


Litteratur

Freilich sind an dieser eigenartigen, nicht Übersetzung, sondern Beibehaltung
vielleicht die Lexika schuld, in denen man z. B, finden kann, daß x italienisch heißt
— die alberne Erfindung eines sprachmeisternden Schullehrers. Farina hat
als gebildeter Mann ganz richtig für x gesagt i^IrilZNo, denn eiuen Konsonanten
am Ende eines Wortes kann kein Italiener aussprechen; deshalb hangt er ihm ein
stummes o an; und zwei Konsonanten wie x kann er auch nicht hinter einander
aussprechen, er setzt also einen schwachen Vokal (stummes E oder kurzes i) da¬
zwischen.


Eine ungehaltene Rede.

Dem Nichtgewählten, der von Zeit zu Zeit den
Grenzboten seine ungehaltenen Reden anvertraut, ist ein Wiener Zeitungsblatt zu¬
gesandt worden, aus dem hervorgeht, daß sein gutes Beispiel Nachahmung
findet. Der bekannte Geschichtschreiber und Politiker Herr von Heisere, der als
Mitglied des österreichischen Herrenhauses allerdings mich nicht gewählt, aber doch
berufen ist und daher berechtigt wäre, der hohen Versammlung seine Ansichten
mündlich mitzuteilen, hat es vorgezogen, eine lange Rede gegen den Dualismus,
die er auf dem Herzen hatte, und von der er doch keinen Erfolg erwarten konnte,
einfach der Redaktion einer befreundeten Zeitung zu übergeben und nebenbei gleich
die deutsche Sprache um ein köstliches Wort zu bereichern- „Beweggründnng."
Schon hierbei läßt sich der Vorzug des neuen Verfahrens nachweisen: die Steno¬
graphen hätten wahrscheinlich verstanden „Begründung," oder doch gemeint, das
kürzere Wort thue es auch, da es ja dasselbe bedeute — die Kurzsichtigen, die
nicht begreifen, daß es zweierlei ist, ob jemand seine Gründe vorträgt oder
seine Beweggründe — und so wäre möglicherweise unser Sprachschatz um ein
Kleinod gekommen, das ihm gerettet wurde, weil der Redner sein eigner
Stenograph war. Aber auch abgesehen hiervon rufen wir- Vivat 8o«,r>on8! Wie
viel Zeit, Langeweile und Ärger könnte erspart werden, wenn z. B. Herr Richter
künftig spräche: „Ich stimme natürlich gegen die Regierungsvorlage, wer die Be¬
weggründnng kennen lernen will, lese meine heutige Zeitung." Seine Anhänger
hätten sie natürlich schon gelesen, und die übrigen wären froh, den Artikel weder
lesen »och anhören zu müssen. Allerdings wird sich gerade Herr Richter nicht
leicht dazu entschließen, da er gleich dem Schloßvogt in der Preciosa glaubt, man
könne seine Geschichten nie zu oft hören. Aber der Anfang ist einmal gemacht,
warten wir geduldig hoffend das Weitere ub.




Litteratur
sittliches Sein und sittliches Werden. Grundlinien eines Systems der Ethik.
Bon Theobald Ziegler. Zweite unveränderte Anflaizc. Straßbnrg, Karl I. Trnvxer, 1890

Dieses Biichlein ist aus Vortrügen entstanden, die zu, Frankfurt a. M. ge¬
halten wurden, und giebt in ansprechender Form eine beinahe vollständige Übersicht
der wichtigsten ethischen Fragen mit annehmbaren Lösungsversuchen. Der Ver¬
fasser ist Optimist und steht, wie er selbst bekennt, auf demselben Boden wie
Paulsen und der Däne Höffding. Darin stehen nur ihm sehr nahe. Aber was


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[0389] Litteratur Freilich sind an dieser eigenartigen, nicht Übersetzung, sondern Beibehaltung vielleicht die Lexika schuld, in denen man z. B, finden kann, daß x italienisch heißt — die alberne Erfindung eines sprachmeisternden Schullehrers. Farina hat als gebildeter Mann ganz richtig für x gesagt i^IrilZNo, denn eiuen Konsonanten am Ende eines Wortes kann kein Italiener aussprechen; deshalb hangt er ihm ein stummes o an; und zwei Konsonanten wie x kann er auch nicht hinter einander aussprechen, er setzt also einen schwachen Vokal (stummes E oder kurzes i) da¬ zwischen. Eine ungehaltene Rede. Dem Nichtgewählten, der von Zeit zu Zeit den Grenzboten seine ungehaltenen Reden anvertraut, ist ein Wiener Zeitungsblatt zu¬ gesandt worden, aus dem hervorgeht, daß sein gutes Beispiel Nachahmung findet. Der bekannte Geschichtschreiber und Politiker Herr von Heisere, der als Mitglied des österreichischen Herrenhauses allerdings mich nicht gewählt, aber doch berufen ist und daher berechtigt wäre, der hohen Versammlung seine Ansichten mündlich mitzuteilen, hat es vorgezogen, eine lange Rede gegen den Dualismus, die er auf dem Herzen hatte, und von der er doch keinen Erfolg erwarten konnte, einfach der Redaktion einer befreundeten Zeitung zu übergeben und nebenbei gleich die deutsche Sprache um ein köstliches Wort zu bereichern- „Beweggründnng." Schon hierbei läßt sich der Vorzug des neuen Verfahrens nachweisen: die Steno¬ graphen hätten wahrscheinlich verstanden „Begründung," oder doch gemeint, das kürzere Wort thue es auch, da es ja dasselbe bedeute — die Kurzsichtigen, die nicht begreifen, daß es zweierlei ist, ob jemand seine Gründe vorträgt oder seine Beweggründe — und so wäre möglicherweise unser Sprachschatz um ein Kleinod gekommen, das ihm gerettet wurde, weil der Redner sein eigner Stenograph war. Aber auch abgesehen hiervon rufen wir- Vivat 8o«,r>on8! Wie viel Zeit, Langeweile und Ärger könnte erspart werden, wenn z. B. Herr Richter künftig spräche: „Ich stimme natürlich gegen die Regierungsvorlage, wer die Be¬ weggründnng kennen lernen will, lese meine heutige Zeitung." Seine Anhänger hätten sie natürlich schon gelesen, und die übrigen wären froh, den Artikel weder lesen »och anhören zu müssen. Allerdings wird sich gerade Herr Richter nicht leicht dazu entschließen, da er gleich dem Schloßvogt in der Preciosa glaubt, man könne seine Geschichten nie zu oft hören. Aber der Anfang ist einmal gemacht, warten wir geduldig hoffend das Weitere ub. Litteratur sittliches Sein und sittliches Werden. Grundlinien eines Systems der Ethik. Bon Theobald Ziegler. Zweite unveränderte Anflaizc. Straßbnrg, Karl I. Trnvxer, 1890 Dieses Biichlein ist aus Vortrügen entstanden, die zu, Frankfurt a. M. ge¬ halten wurden, und giebt in ansprechender Form eine beinahe vollständige Übersicht der wichtigsten ethischen Fragen mit annehmbaren Lösungsversuchen. Der Ver¬ fasser ist Optimist und steht, wie er selbst bekennt, auf demselben Boden wie Paulsen und der Däne Höffding. Darin stehen nur ihm sehr nahe. Aber was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/389>, abgerufen am 28.04.2024.