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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Bettler und Landstreicher

or einer Reihe von Jahren ging ein Schrei der Entrüstung dnrch
das deutsche Reich über das Heer vo" Gewvhnheitsbettlern und
Landstreichern, die sich auf bequeme Weise auf Kosten des arbei¬
tenden Teiles des Volkes durchfütterte". Es bildeten sich Privat¬
vereine, die dnrch Anlegung von Arbeiterkvlvnien und ans andre
Weise dem Unwesen zu steilern suchten. Auch gingen die Polizeibehörden mit
anerkennenswerten Eifer vielfach durch Einrichtung von Verpfleguugsstativnen
für durchreisende Fremde und in Verbindung damit durch Verordnungen vor,
in denen sie die Gewährung von Geschenken an auswärtige Bettler unter
Strafe stellten. Alle diese Maßregeln haben zweifellos segensreich gewirkt.
Auch hat die erfreuliche Entwicklung unsers gewerblichen Lebens mit der Ver¬
mehrung gut bezahlter Arbeitsgelegenheit vielfach die Lust und Gelegenheit
zum Nichtsthu" verimndert. Ans allen diesen Gründen sind die Bestrafungen
wegen Arbeitsscheu im weitesten Sinne des Wortes bedeutend zurückgegangen.
In Preußen hat dieser Rückgang nach einer in Ur. 5 des diesjährigen Justiz¬
ministerialblattes veröffentlichten Statistik in der Zeit vom Jahre 1881 bis
zum Jahre 1889 5,3,8 Prozent, also über die Hälfte betragen. Trotzdem
waren nach derselben Statistik im Jahre 1888 bis 188U noch 45067 Personen,
d. h. mehr als der nennte Teil sämtlicher in deu preußischen Jnstizgefängnissen
sitzenden Gefangenen wegen der genannten Übertretungen in Strafhaft.

Diese große Zahl drängt in einer Zeit, wo so viel von der Änderung
des Straf- und Strafvvllstrecknngssysteins gesprochen wird, die Frage auf, ob
unser heutiger Rechtszustand geeignet sei, der gewerbsmäßigen Arbeitsscheu im
weitesten Sinne wirksam entgegenzuarbeiten. Wir glaube", diese Frage ver¬
neinen zu müssen, halte" daher eine Änderung des bestehenden Zustandes für
Preußen für dringend notwendig.

^ Z">1 Ur. 3 bis 8 des deutschen Strafgesetzbuches bestraft Landstreicher,
Betteln und Arbeitsscheu mit sogenannter qnalifizirter, d. h, mit Hast unter
Arbeitszwang bis ans die Dauer von sechs Wochen, bei Konkurrenz mehrerer
Übertretungen bis auf die Dauer von drei Monaten. Augenscheinlich ist hier
bei Haft ausnahmsweise der Arbeitszwang eingeführt, weil Bestrafte dieser Art
vor alle": durch regelmäßige Beschäftigung vo" der übel" Gewvhttheit des


Grenzboten III 1390 5


Bettler und Landstreicher

or einer Reihe von Jahren ging ein Schrei der Entrüstung dnrch
das deutsche Reich über das Heer vo» Gewvhnheitsbettlern und
Landstreichern, die sich auf bequeme Weise auf Kosten des arbei¬
tenden Teiles des Volkes durchfütterte». Es bildeten sich Privat¬
vereine, die dnrch Anlegung von Arbeiterkvlvnien und ans andre
Weise dem Unwesen zu steilern suchten. Auch gingen die Polizeibehörden mit
anerkennenswerten Eifer vielfach durch Einrichtung von Verpfleguugsstativnen
für durchreisende Fremde und in Verbindung damit durch Verordnungen vor,
in denen sie die Gewährung von Geschenken an auswärtige Bettler unter
Strafe stellten. Alle diese Maßregeln haben zweifellos segensreich gewirkt.
Auch hat die erfreuliche Entwicklung unsers gewerblichen Lebens mit der Ver¬
mehrung gut bezahlter Arbeitsgelegenheit vielfach die Lust und Gelegenheit
zum Nichtsthu» verimndert. Ans allen diesen Gründen sind die Bestrafungen
wegen Arbeitsscheu im weitesten Sinne des Wortes bedeutend zurückgegangen.
In Preußen hat dieser Rückgang nach einer in Ur. 5 des diesjährigen Justiz¬
ministerialblattes veröffentlichten Statistik in der Zeit vom Jahre 1881 bis
zum Jahre 1889 5,3,8 Prozent, also über die Hälfte betragen. Trotzdem
waren nach derselben Statistik im Jahre 1888 bis 188U noch 45067 Personen,
d. h. mehr als der nennte Teil sämtlicher in deu preußischen Jnstizgefängnissen
sitzenden Gefangenen wegen der genannten Übertretungen in Strafhaft.

Diese große Zahl drängt in einer Zeit, wo so viel von der Änderung
des Straf- und Strafvvllstrecknngssysteins gesprochen wird, die Frage auf, ob
unser heutiger Rechtszustand geeignet sei, der gewerbsmäßigen Arbeitsscheu im
weitesten Sinne wirksam entgegenzuarbeiten. Wir glaube», diese Frage ver¬
neinen zu müssen, halte» daher eine Änderung des bestehenden Zustandes für
Preußen für dringend notwendig.

^ Z«>1 Ur. 3 bis 8 des deutschen Strafgesetzbuches bestraft Landstreicher,
Betteln und Arbeitsscheu mit sogenannter qnalifizirter, d. h, mit Hast unter
Arbeitszwang bis ans die Dauer von sechs Wochen, bei Konkurrenz mehrerer
Übertretungen bis auf die Dauer von drei Monaten. Augenscheinlich ist hier
bei Haft ausnahmsweise der Arbeitszwang eingeführt, weil Bestrafte dieser Art
vor alle»: durch regelmäßige Beschäftigung vo» der übel» Gewvhttheit des


Grenzboten III 1390 5
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[0041] [Abbildung] Bettler und Landstreicher or einer Reihe von Jahren ging ein Schrei der Entrüstung dnrch das deutsche Reich über das Heer vo» Gewvhnheitsbettlern und Landstreichern, die sich auf bequeme Weise auf Kosten des arbei¬ tenden Teiles des Volkes durchfütterte». Es bildeten sich Privat¬ vereine, die dnrch Anlegung von Arbeiterkvlvnien und ans andre Weise dem Unwesen zu steilern suchten. Auch gingen die Polizeibehörden mit anerkennenswerten Eifer vielfach durch Einrichtung von Verpfleguugsstativnen für durchreisende Fremde und in Verbindung damit durch Verordnungen vor, in denen sie die Gewährung von Geschenken an auswärtige Bettler unter Strafe stellten. Alle diese Maßregeln haben zweifellos segensreich gewirkt. Auch hat die erfreuliche Entwicklung unsers gewerblichen Lebens mit der Ver¬ mehrung gut bezahlter Arbeitsgelegenheit vielfach die Lust und Gelegenheit zum Nichtsthu» verimndert. Ans allen diesen Gründen sind die Bestrafungen wegen Arbeitsscheu im weitesten Sinne des Wortes bedeutend zurückgegangen. In Preußen hat dieser Rückgang nach einer in Ur. 5 des diesjährigen Justiz¬ ministerialblattes veröffentlichten Statistik in der Zeit vom Jahre 1881 bis zum Jahre 1889 5,3,8 Prozent, also über die Hälfte betragen. Trotzdem waren nach derselben Statistik im Jahre 1888 bis 188U noch 45067 Personen, d. h. mehr als der nennte Teil sämtlicher in deu preußischen Jnstizgefängnissen sitzenden Gefangenen wegen der genannten Übertretungen in Strafhaft. Diese große Zahl drängt in einer Zeit, wo so viel von der Änderung des Straf- und Strafvvllstrecknngssysteins gesprochen wird, die Frage auf, ob unser heutiger Rechtszustand geeignet sei, der gewerbsmäßigen Arbeitsscheu im weitesten Sinne wirksam entgegenzuarbeiten. Wir glaube», diese Frage ver¬ neinen zu müssen, halte» daher eine Änderung des bestehenden Zustandes für Preußen für dringend notwendig. ^ Z«>1 Ur. 3 bis 8 des deutschen Strafgesetzbuches bestraft Landstreicher, Betteln und Arbeitsscheu mit sogenannter qnalifizirter, d. h, mit Hast unter Arbeitszwang bis ans die Dauer von sechs Wochen, bei Konkurrenz mehrerer Übertretungen bis auf die Dauer von drei Monaten. Augenscheinlich ist hier bei Haft ausnahmsweise der Arbeitszwang eingeführt, weil Bestrafte dieser Art vor alle»: durch regelmäßige Beschäftigung vo» der übel» Gewvhttheit des Grenzboten III 1390 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/41>, abgerufen am 27.04.2024.