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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

Stütze einer kräftigen Regierung würden sie den Arbeitern nicht Halt zu ge¬
bieten imstande sein. Freilich möchten sie gern geschützt sein und verlangen
uach einem Sozialistengesetz mit allen möglichen Härten, aber sie möchten selbst
nichts dafür thun, sondern die ganze Verantwortlichkeit der Regierung auf¬
bürden. Das wäre ein leichtes Spiel, wenn sich ein Thor fände, der sich
daraus einließe. Aber es wird wohl nachgerade klar, daß die Angriffe der
mehrfach erwähnten Organe und ihrer Genossen nicht aus einer allgemeinen
Unzufriedenheit beruhen, auch nicht die Stimmung irgendwie beachtenswerter
Kreise wiederspiegeln; sie sind wesentlich Unmutsäußerungen kleiner Koterien,
über die die Geschichte zur Tagesordnung übergehen wird, freilich nicht ohne
Schädigung derer, die die Saat der Zwietracht in schwerer Zeit säen. Was
aber von der dynastischen und königstreueu Gesinnung zu halten ist, die bei
diesen wiederholten Angriffen zu Tage gefördert wird, das soll hier bloß an¬
gedeutet werden, damit nicht der Zorn in die Feder fließe.

Was Kaiser Wilhelm II. bisher gethan hat, ist nur geeignet, Vertrauen
und Hoffnung zu erwecken. Preußen und das Reich müssen auch ohne die
bewährte Leitung des Fürsten Bismarck weiter fortbestehen und regiert werden,
und das werden auch einige unzufriedne Fabrikherren und ein paar Blätter
am Rhein, in München oder Stuttgart nicht hindern. Sollten sie aber wirklich
einmal eine gründliche Abrechnung verlangen, nun, dann werden sie den An¬
gegriffnen bald als einen mächtigen Gegner schätzen lernen.




Litteratur
Fichtes Idee des deutschen Staates. Rede zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät
des Kaisers am 27. Januar 1390 in der Aula der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg,
gehalten von Dr. Wilhelm Windelband, Professor der Philosophie. Freiburg i. V.,
I. C. B. Mohr, 1890

Die cikademische Rede des berühmten Lehrers, selbstverständlich eine oratorische
Musterleistnng, macht n. a. zweierlei klar. Einmal, daß der scheinbare Abfall
Fichtes von dem Weltbürgertum, zu dem er sich noch im Winter 1304/5 sehr ent¬
schieden bekannt hatte, zu dem Nationalismus, den er bald darauf in seinen Reden
an die deutsche Nation predigte, gar kein Abfall, oder wie wir vom nationalen
Standpunkte aus sagen müssen, keine Bekehrung war. Denn Fichtes Patriotismus
"gleicht dem Kosmopolitismus wie ein Zwillingsbruder dem andern. Stammes¬
gefühl, Heimatliebe, historische Bande der Anhänglichkeit zwischen Volk und Staat,
alles dieses ist für Fichte niederer Schollenpatriotismus. Dafür ist denn aber auch


Litteratur

Stütze einer kräftigen Regierung würden sie den Arbeitern nicht Halt zu ge¬
bieten imstande sein. Freilich möchten sie gern geschützt sein und verlangen
uach einem Sozialistengesetz mit allen möglichen Härten, aber sie möchten selbst
nichts dafür thun, sondern die ganze Verantwortlichkeit der Regierung auf¬
bürden. Das wäre ein leichtes Spiel, wenn sich ein Thor fände, der sich
daraus einließe. Aber es wird wohl nachgerade klar, daß die Angriffe der
mehrfach erwähnten Organe und ihrer Genossen nicht aus einer allgemeinen
Unzufriedenheit beruhen, auch nicht die Stimmung irgendwie beachtenswerter
Kreise wiederspiegeln; sie sind wesentlich Unmutsäußerungen kleiner Koterien,
über die die Geschichte zur Tagesordnung übergehen wird, freilich nicht ohne
Schädigung derer, die die Saat der Zwietracht in schwerer Zeit säen. Was
aber von der dynastischen und königstreueu Gesinnung zu halten ist, die bei
diesen wiederholten Angriffen zu Tage gefördert wird, das soll hier bloß an¬
gedeutet werden, damit nicht der Zorn in die Feder fließe.

Was Kaiser Wilhelm II. bisher gethan hat, ist nur geeignet, Vertrauen
und Hoffnung zu erwecken. Preußen und das Reich müssen auch ohne die
bewährte Leitung des Fürsten Bismarck weiter fortbestehen und regiert werden,
und das werden auch einige unzufriedne Fabrikherren und ein paar Blätter
am Rhein, in München oder Stuttgart nicht hindern. Sollten sie aber wirklich
einmal eine gründliche Abrechnung verlangen, nun, dann werden sie den An¬
gegriffnen bald als einen mächtigen Gegner schätzen lernen.




Litteratur
Fichtes Idee des deutschen Staates. Rede zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät
des Kaisers am 27. Januar 1390 in der Aula der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg,
gehalten von Dr. Wilhelm Windelband, Professor der Philosophie. Freiburg i. V.,
I. C. B. Mohr, 1890

Die cikademische Rede des berühmten Lehrers, selbstverständlich eine oratorische
Musterleistnng, macht n. a. zweierlei klar. Einmal, daß der scheinbare Abfall
Fichtes von dem Weltbürgertum, zu dem er sich noch im Winter 1304/5 sehr ent¬
schieden bekannt hatte, zu dem Nationalismus, den er bald darauf in seinen Reden
an die deutsche Nation predigte, gar kein Abfall, oder wie wir vom nationalen
Standpunkte aus sagen müssen, keine Bekehrung war. Denn Fichtes Patriotismus
„gleicht dem Kosmopolitismus wie ein Zwillingsbruder dem andern. Stammes¬
gefühl, Heimatliebe, historische Bande der Anhänglichkeit zwischen Volk und Staat,
alles dieses ist für Fichte niederer Schollenpatriotismus. Dafür ist denn aber auch


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[0436] Litteratur Stütze einer kräftigen Regierung würden sie den Arbeitern nicht Halt zu ge¬ bieten imstande sein. Freilich möchten sie gern geschützt sein und verlangen uach einem Sozialistengesetz mit allen möglichen Härten, aber sie möchten selbst nichts dafür thun, sondern die ganze Verantwortlichkeit der Regierung auf¬ bürden. Das wäre ein leichtes Spiel, wenn sich ein Thor fände, der sich daraus einließe. Aber es wird wohl nachgerade klar, daß die Angriffe der mehrfach erwähnten Organe und ihrer Genossen nicht aus einer allgemeinen Unzufriedenheit beruhen, auch nicht die Stimmung irgendwie beachtenswerter Kreise wiederspiegeln; sie sind wesentlich Unmutsäußerungen kleiner Koterien, über die die Geschichte zur Tagesordnung übergehen wird, freilich nicht ohne Schädigung derer, die die Saat der Zwietracht in schwerer Zeit säen. Was aber von der dynastischen und königstreueu Gesinnung zu halten ist, die bei diesen wiederholten Angriffen zu Tage gefördert wird, das soll hier bloß an¬ gedeutet werden, damit nicht der Zorn in die Feder fließe. Was Kaiser Wilhelm II. bisher gethan hat, ist nur geeignet, Vertrauen und Hoffnung zu erwecken. Preußen und das Reich müssen auch ohne die bewährte Leitung des Fürsten Bismarck weiter fortbestehen und regiert werden, und das werden auch einige unzufriedne Fabrikherren und ein paar Blätter am Rhein, in München oder Stuttgart nicht hindern. Sollten sie aber wirklich einmal eine gründliche Abrechnung verlangen, nun, dann werden sie den An¬ gegriffnen bald als einen mächtigen Gegner schätzen lernen. Litteratur Fichtes Idee des deutschen Staates. Rede zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers am 27. Januar 1390 in der Aula der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, gehalten von Dr. Wilhelm Windelband, Professor der Philosophie. Freiburg i. V., I. C. B. Mohr, 1890 Die cikademische Rede des berühmten Lehrers, selbstverständlich eine oratorische Musterleistnng, macht n. a. zweierlei klar. Einmal, daß der scheinbare Abfall Fichtes von dem Weltbürgertum, zu dem er sich noch im Winter 1304/5 sehr ent¬ schieden bekannt hatte, zu dem Nationalismus, den er bald darauf in seinen Reden an die deutsche Nation predigte, gar kein Abfall, oder wie wir vom nationalen Standpunkte aus sagen müssen, keine Bekehrung war. Denn Fichtes Patriotismus „gleicht dem Kosmopolitismus wie ein Zwillingsbruder dem andern. Stammes¬ gefühl, Heimatliebe, historische Bande der Anhänglichkeit zwischen Volk und Staat, alles dieses ist für Fichte niederer Schollenpatriotismus. Dafür ist denn aber auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/436>, abgerufen am 28.04.2024.