Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir enthalten uns weiterer Vorschläge, geben aber zu bedenken, daß über
kurz oder lang ein wirtschaftlicher Rückschritt eintreten kann, der dann sicher
die Zahl der Bettler und Landstreicher wieder vermehren wird, und dnsz in
der Zeit der Not Änderungen der hier angeregten Art schwerer durchführbar
sein werden, als in der verhältnismäßig günstigen Gegenwart,




Ungehaltene Rede eines Nichtgewählten

eine Herren! Oder auf schweizerisch: Herr Präsident, meine
Herre! Oder, wie Georg III, einmal begann: Mhlvrds und
Waldschnepfen! Oder, wie freie Männer einander begrüßen
sollten: Bürger! Menschen!

Erheischten Ort und Anlaß nicht einen getragenen Ton, so
würde ich an die Spitze meiner heutigen Rede die Wahrheit stellen: Die Katze
läßt das Mausen nicht. Ich war fest entschlossen, die politische Arena andern
überlassend, die allgemeine Wohlfahrt nur noch durch Pflege meiner eignen
Person zu fördern. Du bist entbehrlich, sagte ich mir, und kannst dir die Auf¬
regungen des parlamentarischen Kampfes ersparen. Wo Staatsmänner von
der Bedeutung eines Eugen Richter, eines Bebel, eines Witzcl-Meyer -- ach,
daß ich Sabor nicht mehr nennen darf! -- wirken, da ist alles besorgt und
aufgehoben, das Volk kann seine Vertreter loben.

Das kann es auch. Es sei fern von mir, die Verdienste der Gefeierten
und der vielen Wackern, die ihnen nacheifern, zu unterschätzen. Und dennoch,
ohne Überhebung spreche ich es aus, finde ich mich nicht ersetzt. Die volle
Konsequenz, die entschiedene Entschiedenheit lassen oft auch die vermissen, die
mit Recht ein so großes Gewicht auf Konsequenz und Entschiedenheit legen.
Auch sie nehmen Rücksichten, auch sie hemmen manchmal plötzlich ihren glän¬
zenden Anlauf, wenn sie sich vor einem Graben sehen, den zu überspringen die
.Kraft, in den hineinzuspringen die Kühnheit mangelt. Da wird der Farbe der
Entschließung die Blässe des Gedankens angekränkelt, des Gedankens, ob der
Graben nicht zu tief, ob die Flüssigkeit auch rein und wirklich flüssig, ob es
nicht wahrscheinlich sei, daß der Harras im Sumpfe steckend auch noch aus¬
gelacht werde. Dies Schauspiel bot z. B. wieder die Reichstagssitzuug vom
17. Juni dar. Niemand wagte, ohne Schelk die Konsequenzen zu ziehen, das
letzte Wort zu sprechen. Ach, auch die Besten zeigten sich nur als Halbe.


Wir enthalten uns weiterer Vorschläge, geben aber zu bedenken, daß über
kurz oder lang ein wirtschaftlicher Rückschritt eintreten kann, der dann sicher
die Zahl der Bettler und Landstreicher wieder vermehren wird, und dnsz in
der Zeit der Not Änderungen der hier angeregten Art schwerer durchführbar
sein werden, als in der verhältnismäßig günstigen Gegenwart,




Ungehaltene Rede eines Nichtgewählten

eine Herren! Oder auf schweizerisch: Herr Präsident, meine
Herre! Oder, wie Georg III, einmal begann: Mhlvrds und
Waldschnepfen! Oder, wie freie Männer einander begrüßen
sollten: Bürger! Menschen!

Erheischten Ort und Anlaß nicht einen getragenen Ton, so
würde ich an die Spitze meiner heutigen Rede die Wahrheit stellen: Die Katze
läßt das Mausen nicht. Ich war fest entschlossen, die politische Arena andern
überlassend, die allgemeine Wohlfahrt nur noch durch Pflege meiner eignen
Person zu fördern. Du bist entbehrlich, sagte ich mir, und kannst dir die Auf¬
regungen des parlamentarischen Kampfes ersparen. Wo Staatsmänner von
der Bedeutung eines Eugen Richter, eines Bebel, eines Witzcl-Meyer — ach,
daß ich Sabor nicht mehr nennen darf! — wirken, da ist alles besorgt und
aufgehoben, das Volk kann seine Vertreter loben.

Das kann es auch. Es sei fern von mir, die Verdienste der Gefeierten
und der vielen Wackern, die ihnen nacheifern, zu unterschätzen. Und dennoch,
ohne Überhebung spreche ich es aus, finde ich mich nicht ersetzt. Die volle
Konsequenz, die entschiedene Entschiedenheit lassen oft auch die vermissen, die
mit Recht ein so großes Gewicht auf Konsequenz und Entschiedenheit legen.
Auch sie nehmen Rücksichten, auch sie hemmen manchmal plötzlich ihren glän¬
zenden Anlauf, wenn sie sich vor einem Graben sehen, den zu überspringen die
.Kraft, in den hineinzuspringen die Kühnheit mangelt. Da wird der Farbe der
Entschließung die Blässe des Gedankens angekränkelt, des Gedankens, ob der
Graben nicht zu tief, ob die Flüssigkeit auch rein und wirklich flüssig, ob es
nicht wahrscheinlich sei, daß der Harras im Sumpfe steckend auch noch aus¬
gelacht werde. Dies Schauspiel bot z. B. wieder die Reichstagssitzuug vom
17. Juni dar. Niemand wagte, ohne Schelk die Konsequenzen zu ziehen, das
letzte Wort zu sprechen. Ach, auch die Besten zeigten sich nur als Halbe.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207982"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_84"> Wir enthalten uns weiterer Vorschläge, geben aber zu bedenken, daß über<lb/>
kurz oder lang ein wirtschaftlicher Rückschritt eintreten kann, der dann sicher<lb/>
die Zahl der Bettler und Landstreicher wieder vermehren wird, und dnsz in<lb/>
der Zeit der Not Änderungen der hier angeregten Art schwerer durchführbar<lb/>
sein werden, als in der verhältnismäßig günstigen Gegenwart,</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ungehaltene Rede eines Nichtgewählten</head><lb/>
          <p xml:id="ID_85"> eine Herren! Oder auf schweizerisch: Herr Präsident, meine<lb/>
Herre! Oder, wie Georg III, einmal begann: Mhlvrds und<lb/>
Waldschnepfen! Oder, wie freie Männer einander begrüßen<lb/>
sollten: Bürger! Menschen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_86"> Erheischten Ort und Anlaß nicht einen getragenen Ton, so<lb/>
würde ich an die Spitze meiner heutigen Rede die Wahrheit stellen: Die Katze<lb/>
läßt das Mausen nicht. Ich war fest entschlossen, die politische Arena andern<lb/>
überlassend, die allgemeine Wohlfahrt nur noch durch Pflege meiner eignen<lb/>
Person zu fördern. Du bist entbehrlich, sagte ich mir, und kannst dir die Auf¬<lb/>
regungen des parlamentarischen Kampfes ersparen. Wo Staatsmänner von<lb/>
der Bedeutung eines Eugen Richter, eines Bebel, eines Witzcl-Meyer &#x2014; ach,<lb/>
daß ich Sabor nicht mehr nennen darf! &#x2014; wirken, da ist alles besorgt und<lb/>
aufgehoben, das Volk kann seine Vertreter loben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_87" next="#ID_88"> Das kann es auch. Es sei fern von mir, die Verdienste der Gefeierten<lb/>
und der vielen Wackern, die ihnen nacheifern, zu unterschätzen. Und dennoch,<lb/>
ohne Überhebung spreche ich es aus, finde ich mich nicht ersetzt. Die volle<lb/>
Konsequenz, die entschiedene Entschiedenheit lassen oft auch die vermissen, die<lb/>
mit Recht ein so großes Gewicht auf Konsequenz und Entschiedenheit legen.<lb/>
Auch sie nehmen Rücksichten, auch sie hemmen manchmal plötzlich ihren glän¬<lb/>
zenden Anlauf, wenn sie sich vor einem Graben sehen, den zu überspringen die<lb/>
.Kraft, in den hineinzuspringen die Kühnheit mangelt. Da wird der Farbe der<lb/>
Entschließung die Blässe des Gedankens angekränkelt, des Gedankens, ob der<lb/>
Graben nicht zu tief, ob die Flüssigkeit auch rein und wirklich flüssig, ob es<lb/>
nicht wahrscheinlich sei, daß der Harras im Sumpfe steckend auch noch aus¬<lb/>
gelacht werde. Dies Schauspiel bot z. B. wieder die Reichstagssitzuug vom<lb/>
17. Juni dar. Niemand wagte, ohne Schelk die Konsequenzen zu ziehen, das<lb/>
letzte Wort zu sprechen.  Ach, auch die Besten zeigten sich nur als Halbe.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Wir enthalten uns weiterer Vorschläge, geben aber zu bedenken, daß über kurz oder lang ein wirtschaftlicher Rückschritt eintreten kann, der dann sicher die Zahl der Bettler und Landstreicher wieder vermehren wird, und dnsz in der Zeit der Not Änderungen der hier angeregten Art schwerer durchführbar sein werden, als in der verhältnismäßig günstigen Gegenwart, Ungehaltene Rede eines Nichtgewählten eine Herren! Oder auf schweizerisch: Herr Präsident, meine Herre! Oder, wie Georg III, einmal begann: Mhlvrds und Waldschnepfen! Oder, wie freie Männer einander begrüßen sollten: Bürger! Menschen! Erheischten Ort und Anlaß nicht einen getragenen Ton, so würde ich an die Spitze meiner heutigen Rede die Wahrheit stellen: Die Katze läßt das Mausen nicht. Ich war fest entschlossen, die politische Arena andern überlassend, die allgemeine Wohlfahrt nur noch durch Pflege meiner eignen Person zu fördern. Du bist entbehrlich, sagte ich mir, und kannst dir die Auf¬ regungen des parlamentarischen Kampfes ersparen. Wo Staatsmänner von der Bedeutung eines Eugen Richter, eines Bebel, eines Witzcl-Meyer — ach, daß ich Sabor nicht mehr nennen darf! — wirken, da ist alles besorgt und aufgehoben, das Volk kann seine Vertreter loben. Das kann es auch. Es sei fern von mir, die Verdienste der Gefeierten und der vielen Wackern, die ihnen nacheifern, zu unterschätzen. Und dennoch, ohne Überhebung spreche ich es aus, finde ich mich nicht ersetzt. Die volle Konsequenz, die entschiedene Entschiedenheit lassen oft auch die vermissen, die mit Recht ein so großes Gewicht auf Konsequenz und Entschiedenheit legen. Auch sie nehmen Rücksichten, auch sie hemmen manchmal plötzlich ihren glän¬ zenden Anlauf, wenn sie sich vor einem Graben sehen, den zu überspringen die .Kraft, in den hineinzuspringen die Kühnheit mangelt. Da wird der Farbe der Entschließung die Blässe des Gedankens angekränkelt, des Gedankens, ob der Graben nicht zu tief, ob die Flüssigkeit auch rein und wirklich flüssig, ob es nicht wahrscheinlich sei, daß der Harras im Sumpfe steckend auch noch aus¬ gelacht werde. Dies Schauspiel bot z. B. wieder die Reichstagssitzuug vom 17. Juni dar. Niemand wagte, ohne Schelk die Konsequenzen zu ziehen, das letzte Wort zu sprechen. Ach, auch die Besten zeigten sich nur als Halbe.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/45>, abgerufen am 27.04.2024.