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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Lin Januskopf

bewahrte sie vor Jrrlvegen. Auf diese Weise konnte die Unart, an der wir
so lange tränkten -- verräucherte Galeriebilder nachzuahmen, die ursprünglich
auch einmal frisch waren --, in England nie Wurzel fassen. Der ganze Krieg
zwischen Asphalt und Kremserweiß, der auf unsern letzten Ausstellungen tobte,
brauchte in England nicht geführt zu werden. Die ganze gesunde, klare
Entwicklung der englischen Malerei kann uns Deutsche, die wir uns fast ein
Jahrhundert laug am Gängelband einer falschen Ästhetik haben führen lassen,
überhaupt nur wehmütig berühren. Seitdem es eine englische Malerei giebt,
war sie die unbefangenste, natürlichste, nationalste und technisch am malerischsten
entwickelte von allen. Den Hauptvorspruug erhielt sie schon dadurch, daß der
aller Kunst die Lebensadern unterbindende Klassizismus, der sich durch Winckel-
manns Einfluß am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts durch ganz Europa
verbreitete, in England sast keinen Boden fand. Schon um die Wende dieses
Jahrhunderts, als die "große" Malerei überall die technische Tradition ver¬
loren hatte, hat England "Maler" im eigentlichsten Sinne besessen. Und zu
derselben Zeit, wo die Landschaftsmalerei des übrigen Europas nur schemen¬
hafte, kraft- und saftlose Claude Lvrrains fabrizirte, kehrte in England ein
Landschafter zur ewig jungfräulichen Natur zurück -- es dauerte Jahrzehnte,
bis die Nachbarn folgten. Zur Bestätigung dessen braucht mau nur einen
Blick in die Ratioim! 6Ä"zi'^ zu werfen.

(Schluß folgt)




Gin Januskopf

rannte Döllingers haben ein Bändchen Briefe und Erklärungen
herausgegeben, in denen der Verewigte das Verharren bei seinein
Widerspruch gegen das Vatikauum begründet.") Den Anfang
machen einige der Kundgebungen, die schon 1869 und 1870 in
der Allgemeinen Zeitung und anderwärts veröffentlicht worden
sind. Vor viertehnlb Jahrhunderten hielten neun Zehntel aller Deutschen den
Papst für den Antichrist, und vor zwanzig Jahren strengten sich einige Theo¬
logen vergebens um, vierundzwanzig Millionen deutsch redender Katholiken davon
zu überzeugen, daß der Papst nicht unfehlbar sei, die großen Protestantischen



*) Briefe und Erklärungen von I. o. Döllinger über die Vatikanischen
Dekrete 1869 bis 1837. München, C. H. Beck, 1890.
Lin Januskopf

bewahrte sie vor Jrrlvegen. Auf diese Weise konnte die Unart, an der wir
so lange tränkten — verräucherte Galeriebilder nachzuahmen, die ursprünglich
auch einmal frisch waren —, in England nie Wurzel fassen. Der ganze Krieg
zwischen Asphalt und Kremserweiß, der auf unsern letzten Ausstellungen tobte,
brauchte in England nicht geführt zu werden. Die ganze gesunde, klare
Entwicklung der englischen Malerei kann uns Deutsche, die wir uns fast ein
Jahrhundert laug am Gängelband einer falschen Ästhetik haben führen lassen,
überhaupt nur wehmütig berühren. Seitdem es eine englische Malerei giebt,
war sie die unbefangenste, natürlichste, nationalste und technisch am malerischsten
entwickelte von allen. Den Hauptvorspruug erhielt sie schon dadurch, daß der
aller Kunst die Lebensadern unterbindende Klassizismus, der sich durch Winckel-
manns Einfluß am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts durch ganz Europa
verbreitete, in England sast keinen Boden fand. Schon um die Wende dieses
Jahrhunderts, als die „große" Malerei überall die technische Tradition ver¬
loren hatte, hat England „Maler" im eigentlichsten Sinne besessen. Und zu
derselben Zeit, wo die Landschaftsmalerei des übrigen Europas nur schemen¬
hafte, kraft- und saftlose Claude Lvrrains fabrizirte, kehrte in England ein
Landschafter zur ewig jungfräulichen Natur zurück — es dauerte Jahrzehnte,
bis die Nachbarn folgten. Zur Bestätigung dessen braucht mau nur einen
Blick in die Ratioim! 6Ä«zi'^ zu werfen.

(Schluß folgt)




Gin Januskopf

rannte Döllingers haben ein Bändchen Briefe und Erklärungen
herausgegeben, in denen der Verewigte das Verharren bei seinein
Widerspruch gegen das Vatikauum begründet.") Den Anfang
machen einige der Kundgebungen, die schon 1869 und 1870 in
der Allgemeinen Zeitung und anderwärts veröffentlicht worden
sind. Vor viertehnlb Jahrhunderten hielten neun Zehntel aller Deutschen den
Papst für den Antichrist, und vor zwanzig Jahren strengten sich einige Theo¬
logen vergebens um, vierundzwanzig Millionen deutsch redender Katholiken davon
zu überzeugen, daß der Papst nicht unfehlbar sei, die großen Protestantischen



*) Briefe und Erklärungen von I. o. Döllinger über die Vatikanischen
Dekrete 1869 bis 1837. München, C. H. Beck, 1890.
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[0523] Lin Januskopf bewahrte sie vor Jrrlvegen. Auf diese Weise konnte die Unart, an der wir so lange tränkten — verräucherte Galeriebilder nachzuahmen, die ursprünglich auch einmal frisch waren —, in England nie Wurzel fassen. Der ganze Krieg zwischen Asphalt und Kremserweiß, der auf unsern letzten Ausstellungen tobte, brauchte in England nicht geführt zu werden. Die ganze gesunde, klare Entwicklung der englischen Malerei kann uns Deutsche, die wir uns fast ein Jahrhundert laug am Gängelband einer falschen Ästhetik haben führen lassen, überhaupt nur wehmütig berühren. Seitdem es eine englische Malerei giebt, war sie die unbefangenste, natürlichste, nationalste und technisch am malerischsten entwickelte von allen. Den Hauptvorspruug erhielt sie schon dadurch, daß der aller Kunst die Lebensadern unterbindende Klassizismus, der sich durch Winckel- manns Einfluß am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts durch ganz Europa verbreitete, in England sast keinen Boden fand. Schon um die Wende dieses Jahrhunderts, als die „große" Malerei überall die technische Tradition ver¬ loren hatte, hat England „Maler" im eigentlichsten Sinne besessen. Und zu derselben Zeit, wo die Landschaftsmalerei des übrigen Europas nur schemen¬ hafte, kraft- und saftlose Claude Lvrrains fabrizirte, kehrte in England ein Landschafter zur ewig jungfräulichen Natur zurück — es dauerte Jahrzehnte, bis die Nachbarn folgten. Zur Bestätigung dessen braucht mau nur einen Blick in die Ratioim! 6Ä«zi'^ zu werfen. (Schluß folgt) Gin Januskopf rannte Döllingers haben ein Bändchen Briefe und Erklärungen herausgegeben, in denen der Verewigte das Verharren bei seinein Widerspruch gegen das Vatikauum begründet.") Den Anfang machen einige der Kundgebungen, die schon 1869 und 1870 in der Allgemeinen Zeitung und anderwärts veröffentlicht worden sind. Vor viertehnlb Jahrhunderten hielten neun Zehntel aller Deutschen den Papst für den Antichrist, und vor zwanzig Jahren strengten sich einige Theo¬ logen vergebens um, vierundzwanzig Millionen deutsch redender Katholiken davon zu überzeugen, daß der Papst nicht unfehlbar sei, die großen Protestantischen *) Briefe und Erklärungen von I. o. Döllinger über die Vatikanischen Dekrete 1869 bis 1837. München, C. H. Beck, 1890.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/523>, abgerufen am 27.04.2024.