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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Kunst in England

Die Gelehrten, die gegenwärtig mit ihrer eignen Zeit leben und an ihren
litterarischen Kämpfen und Bestrebungen teilnehmen, sind auch heilte noch zu
zählen. Wir sehen also hier wieder einen Beweis für unsre vorhin aus¬
gesprochene Ansicht über das Verhältnis der Kulturgeschichte zur Litteratur¬
geschichte.




Die Kunst in England
R. Mulder von(Schluß)

er Deutsche sucht in der National (Zglsr^ selbstverständlich zuerst
nach Hogarth, da Hogarths Kupferstiche durch Lichtenberg bei
uns eingebürgert, seine chklischen Folgen, das Leben einer
Dirne, das Leben eines Wüstlings, die Heirat nach der Mode
uns allen bekannt sind. In der National (ZÄsi-^, die die Öl-
originale zur NariaM a ig, monts besitzt, ist man namentlich über Hogarths
technisch-malerische Qualitäten erstaunt. Während die Kupferstiche leicht zu der
Meinung verleiten, daß Hogarth nur ein Satiriker und Moralist gewesen sei,
der zufällig den Pinsel statt der Feder geführt habe, lernt man ihn hier als
Maler im vollen Sinne des Wortes kennen. Das Karrikaturartige, Fehler¬
hafte, das sich in den Kupferstichen geltend macht, fällt weg; es ist eine
strenge, ungeschminkte Wiedergabe der Wirklichkeit, eine Kunst, die von Anfang
an ihre Wurzeln ins moderne Leben gesenkt hat. In einer Zeit, wo alle
andern Völker nur jene halb mythologischen Mös oliamMi-hö malten, auf
denen die Grazien der Boudoirs und Kulissen sich Rendezvous geben, malte
Hogarth, ein Engländer von Geburt, von Charakter und Temperament, seine
Landsleute. Seine Welt ist London, die Weltstadt, das damals im Gegensatz
zur heutigen Bigotterie noch die goldne Zeit des Ronötums durchlebte. In
eine solche Welt, die heute auch noch nicht versunken, nur dezenter überschminkt
ist, führt uns Hogarth, in Punschgesellschaften, Spielhöllen, Poetenstübchcn,
in den Keller der Straßenräuber, in das Sterbezimmer des gefallenen Mädchens.
Im Straßengewühl macht er seine Skizzen und giebt uns, so sehr er zuweilen
zu übertreiben scheint, die induktive Gewißheit, daß er ein schlechterdings zuver¬
lässiger Zeuge ist. Denn auch das ist bezeichnend für die Gegensätze im eng¬
lischen Leben, daß das Vornehme dort noch vornehmer, das Gemeine noch ge¬
meiner ist als anderswo.


Die Kunst in England

Die Gelehrten, die gegenwärtig mit ihrer eignen Zeit leben und an ihren
litterarischen Kämpfen und Bestrebungen teilnehmen, sind auch heilte noch zu
zählen. Wir sehen also hier wieder einen Beweis für unsre vorhin aus¬
gesprochene Ansicht über das Verhältnis der Kulturgeschichte zur Litteratur¬
geschichte.




Die Kunst in England
R. Mulder von(Schluß)

er Deutsche sucht in der National (Zglsr^ selbstverständlich zuerst
nach Hogarth, da Hogarths Kupferstiche durch Lichtenberg bei
uns eingebürgert, seine chklischen Folgen, das Leben einer
Dirne, das Leben eines Wüstlings, die Heirat nach der Mode
uns allen bekannt sind. In der National (ZÄsi-^, die die Öl-
originale zur NariaM a ig, monts besitzt, ist man namentlich über Hogarths
technisch-malerische Qualitäten erstaunt. Während die Kupferstiche leicht zu der
Meinung verleiten, daß Hogarth nur ein Satiriker und Moralist gewesen sei,
der zufällig den Pinsel statt der Feder geführt habe, lernt man ihn hier als
Maler im vollen Sinne des Wortes kennen. Das Karrikaturartige, Fehler¬
hafte, das sich in den Kupferstichen geltend macht, fällt weg; es ist eine
strenge, ungeschminkte Wiedergabe der Wirklichkeit, eine Kunst, die von Anfang
an ihre Wurzeln ins moderne Leben gesenkt hat. In einer Zeit, wo alle
andern Völker nur jene halb mythologischen Mös oliamMi-hö malten, auf
denen die Grazien der Boudoirs und Kulissen sich Rendezvous geben, malte
Hogarth, ein Engländer von Geburt, von Charakter und Temperament, seine
Landsleute. Seine Welt ist London, die Weltstadt, das damals im Gegensatz
zur heutigen Bigotterie noch die goldne Zeit des Ronötums durchlebte. In
eine solche Welt, die heute auch noch nicht versunken, nur dezenter überschminkt
ist, führt uns Hogarth, in Punschgesellschaften, Spielhöllen, Poetenstübchcn,
in den Keller der Straßenräuber, in das Sterbezimmer des gefallenen Mädchens.
Im Straßengewühl macht er seine Skizzen und giebt uns, so sehr er zuweilen
zu übertreiben scheint, die induktive Gewißheit, daß er ein schlechterdings zuver¬
lässiger Zeuge ist. Denn auch das ist bezeichnend für die Gegensätze im eng¬
lischen Leben, daß das Vornehme dort noch vornehmer, das Gemeine noch ge¬
meiner ist als anderswo.


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[0559] Die Kunst in England Die Gelehrten, die gegenwärtig mit ihrer eignen Zeit leben und an ihren litterarischen Kämpfen und Bestrebungen teilnehmen, sind auch heilte noch zu zählen. Wir sehen also hier wieder einen Beweis für unsre vorhin aus¬ gesprochene Ansicht über das Verhältnis der Kulturgeschichte zur Litteratur¬ geschichte. Die Kunst in England R. Mulder von(Schluß) er Deutsche sucht in der National (Zglsr^ selbstverständlich zuerst nach Hogarth, da Hogarths Kupferstiche durch Lichtenberg bei uns eingebürgert, seine chklischen Folgen, das Leben einer Dirne, das Leben eines Wüstlings, die Heirat nach der Mode uns allen bekannt sind. In der National (ZÄsi-^, die die Öl- originale zur NariaM a ig, monts besitzt, ist man namentlich über Hogarths technisch-malerische Qualitäten erstaunt. Während die Kupferstiche leicht zu der Meinung verleiten, daß Hogarth nur ein Satiriker und Moralist gewesen sei, der zufällig den Pinsel statt der Feder geführt habe, lernt man ihn hier als Maler im vollen Sinne des Wortes kennen. Das Karrikaturartige, Fehler¬ hafte, das sich in den Kupferstichen geltend macht, fällt weg; es ist eine strenge, ungeschminkte Wiedergabe der Wirklichkeit, eine Kunst, die von Anfang an ihre Wurzeln ins moderne Leben gesenkt hat. In einer Zeit, wo alle andern Völker nur jene halb mythologischen Mös oliamMi-hö malten, auf denen die Grazien der Boudoirs und Kulissen sich Rendezvous geben, malte Hogarth, ein Engländer von Geburt, von Charakter und Temperament, seine Landsleute. Seine Welt ist London, die Weltstadt, das damals im Gegensatz zur heutigen Bigotterie noch die goldne Zeit des Ronötums durchlebte. In eine solche Welt, die heute auch noch nicht versunken, nur dezenter überschminkt ist, führt uns Hogarth, in Punschgesellschaften, Spielhöllen, Poetenstübchcn, in den Keller der Straßenräuber, in das Sterbezimmer des gefallenen Mädchens. Im Straßengewühl macht er seine Skizzen und giebt uns, so sehr er zuweilen zu übertreiben scheint, die induktive Gewißheit, daß er ein schlechterdings zuver¬ lässiger Zeuge ist. Denn auch das ist bezeichnend für die Gegensätze im eng¬ lischen Leben, daß das Vornehme dort noch vornehmer, das Gemeine noch ge¬ meiner ist als anderswo.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/559>, abgerufen am 27.04.2024.