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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Fenstern und Decken, mit ihrer vollständigen geschmackvoll kostbaren Einrichtung
den ganzen Begriff eines heiter üppigen, aber durch Geist und Kunst gehobenen
Daseins, wie es der sienestsche Bankfürst geführt haben mag, für den Peruzzi
und Rafael das schöne Haus bauten und mit ihrem Pinsel schmückten. Wie
sechzehn Jahre früher in Venedig, wo nur erst der völlig eingerichtete, Altes
und Neues harmonisch in einander fügende Palazzo Giovanelli zur ganz leben¬
digen Anschauung eiues venezianischen Patrizierlebens verhalf, ging es mir
auch in den obern Sälen und Gemächern der Farnesina. Die reiche Schönheit
der aus dem sechzehnten Jahrhundert überkommenen Wände und Decken, die
phantasievolle Kraft und Anmut, der Farbenzauber der Svdomaschen Alexander¬
hochzeit, die unberührte Frische der wohlerhaltenen Darstellungen Peruzzis und
Beecafumis, manche Ölgemälde, Meisterwerke des sechzehnten und siebzehnten
Jahrhunderts, stimmen überraschend gut und harmonisch mit dem neuern Pracht¬
teppich, der durch alle gegen einander geöffneten Gemächer hindurchgeht, mit
den reichen Seidenstoffen der Sitze, mit den tausend Einzelheiten des modernen
Lebensbedürfnisses zusammen. Es leidet keinen Zweifel, daß die ursprünglichen
Besitzer weniger Komfort besessen haben, als die gegenwärtigen Bewohner, aber
die neuere Einrichtung wird nirgends stillos und stört die Bilder vergangener
Tage nicht, die aus Säulen und Simsen, aus Fenster- und Thürrahmen für
jeden Beschauer hervortreten, ja sie hilft diese Bilder unmittelbarer und farbiger
gestalten, indem sie den Hauch der Kühle und Öde verscheucht, der um so
viele der verfallenen und verlassenen Bauten schwebt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zur Reform der höhern Schulen.

Wie man im ersten Drittel der
siebziger Jahre wöchentlich einigemal eine Münz- und Währnngsbroschüre zu lesen
bekam, so werden uns jetzt die Broschüren über Gymnasialreform, Berechtigungs-
fragen, "Bifurkatiun" und ähnliches in Fülle dargeboten. Die Sache ist nur in¬
sofern ungleich, als die Münz- und Wtihrimgsfrcige ihre besondern Schwierigkeiten
hat, und nicht leicht jemand darüber schreiben konnte, der nicht die erforderlichen
Studien gemacht hatte; über die Schulreform dagegen glaubt jeder ein Urteil zu
haben, der einmal vor langen Jahren eine höhere Schule besucht hat, namentlich
wenn ihm später im Leben einmal Kenntnisse gefehlt haben, von denen seine
Freunde, die in modernen Anstalten gebildet waren, schon etwas gehört hatten.
Denn wie man bald bemerkt, gehen die Wünsche, die die Reform kennzeichnen,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Fenstern und Decken, mit ihrer vollständigen geschmackvoll kostbaren Einrichtung
den ganzen Begriff eines heiter üppigen, aber durch Geist und Kunst gehobenen
Daseins, wie es der sienestsche Bankfürst geführt haben mag, für den Peruzzi
und Rafael das schöne Haus bauten und mit ihrem Pinsel schmückten. Wie
sechzehn Jahre früher in Venedig, wo nur erst der völlig eingerichtete, Altes
und Neues harmonisch in einander fügende Palazzo Giovanelli zur ganz leben¬
digen Anschauung eiues venezianischen Patrizierlebens verhalf, ging es mir
auch in den obern Sälen und Gemächern der Farnesina. Die reiche Schönheit
der aus dem sechzehnten Jahrhundert überkommenen Wände und Decken, die
phantasievolle Kraft und Anmut, der Farbenzauber der Svdomaschen Alexander¬
hochzeit, die unberührte Frische der wohlerhaltenen Darstellungen Peruzzis und
Beecafumis, manche Ölgemälde, Meisterwerke des sechzehnten und siebzehnten
Jahrhunderts, stimmen überraschend gut und harmonisch mit dem neuern Pracht¬
teppich, der durch alle gegen einander geöffneten Gemächer hindurchgeht, mit
den reichen Seidenstoffen der Sitze, mit den tausend Einzelheiten des modernen
Lebensbedürfnisses zusammen. Es leidet keinen Zweifel, daß die ursprünglichen
Besitzer weniger Komfort besessen haben, als die gegenwärtigen Bewohner, aber
die neuere Einrichtung wird nirgends stillos und stört die Bilder vergangener
Tage nicht, die aus Säulen und Simsen, aus Fenster- und Thürrahmen für
jeden Beschauer hervortreten, ja sie hilft diese Bilder unmittelbarer und farbiger
gestalten, indem sie den Hauch der Kühle und Öde verscheucht, der um so
viele der verfallenen und verlassenen Bauten schwebt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zur Reform der höhern Schulen.

Wie man im ersten Drittel der
siebziger Jahre wöchentlich einigemal eine Münz- und Währnngsbroschüre zu lesen
bekam, so werden uns jetzt die Broschüren über Gymnasialreform, Berechtigungs-
fragen, „Bifurkatiun" und ähnliches in Fülle dargeboten. Die Sache ist nur in¬
sofern ungleich, als die Münz- und Wtihrimgsfrcige ihre besondern Schwierigkeiten
hat, und nicht leicht jemand darüber schreiben konnte, der nicht die erforderlichen
Studien gemacht hatte; über die Schulreform dagegen glaubt jeder ein Urteil zu
haben, der einmal vor langen Jahren eine höhere Schule besucht hat, namentlich
wenn ihm später im Leben einmal Kenntnisse gefehlt haben, von denen seine
Freunde, die in modernen Anstalten gebildet waren, schon etwas gehört hatten.
Denn wie man bald bemerkt, gehen die Wünsche, die die Reform kennzeichnen,


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[0576] Maßgebliches und Unmaßgebliches Fenstern und Decken, mit ihrer vollständigen geschmackvoll kostbaren Einrichtung den ganzen Begriff eines heiter üppigen, aber durch Geist und Kunst gehobenen Daseins, wie es der sienestsche Bankfürst geführt haben mag, für den Peruzzi und Rafael das schöne Haus bauten und mit ihrem Pinsel schmückten. Wie sechzehn Jahre früher in Venedig, wo nur erst der völlig eingerichtete, Altes und Neues harmonisch in einander fügende Palazzo Giovanelli zur ganz leben¬ digen Anschauung eiues venezianischen Patrizierlebens verhalf, ging es mir auch in den obern Sälen und Gemächern der Farnesina. Die reiche Schönheit der aus dem sechzehnten Jahrhundert überkommenen Wände und Decken, die phantasievolle Kraft und Anmut, der Farbenzauber der Svdomaschen Alexander¬ hochzeit, die unberührte Frische der wohlerhaltenen Darstellungen Peruzzis und Beecafumis, manche Ölgemälde, Meisterwerke des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, stimmen überraschend gut und harmonisch mit dem neuern Pracht¬ teppich, der durch alle gegen einander geöffneten Gemächer hindurchgeht, mit den reichen Seidenstoffen der Sitze, mit den tausend Einzelheiten des modernen Lebensbedürfnisses zusammen. Es leidet keinen Zweifel, daß die ursprünglichen Besitzer weniger Komfort besessen haben, als die gegenwärtigen Bewohner, aber die neuere Einrichtung wird nirgends stillos und stört die Bilder vergangener Tage nicht, die aus Säulen und Simsen, aus Fenster- und Thürrahmen für jeden Beschauer hervortreten, ja sie hilft diese Bilder unmittelbarer und farbiger gestalten, indem sie den Hauch der Kühle und Öde verscheucht, der um so viele der verfallenen und verlassenen Bauten schwebt. Maßgebliches und Unmaßgebliches Zur Reform der höhern Schulen. Wie man im ersten Drittel der siebziger Jahre wöchentlich einigemal eine Münz- und Währnngsbroschüre zu lesen bekam, so werden uns jetzt die Broschüren über Gymnasialreform, Berechtigungs- fragen, „Bifurkatiun" und ähnliches in Fülle dargeboten. Die Sache ist nur in¬ sofern ungleich, als die Münz- und Wtihrimgsfrcige ihre besondern Schwierigkeiten hat, und nicht leicht jemand darüber schreiben konnte, der nicht die erforderlichen Studien gemacht hatte; über die Schulreform dagegen glaubt jeder ein Urteil zu haben, der einmal vor langen Jahren eine höhere Schule besucht hat, namentlich wenn ihm später im Leben einmal Kenntnisse gefehlt haben, von denen seine Freunde, die in modernen Anstalten gebildet waren, schon etwas gehört hatten. Denn wie man bald bemerkt, gehen die Wünsche, die die Reform kennzeichnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/576>, abgerufen am 28.04.2024.