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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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massive Kirche von ihrer kleinen Höhe herab als ihre geistige Heimat winkte.
Sonntag für Sonntag war die Kirche voller Zuhörer, und an Feiertagen saßen sie
ans den Treppen und standen in den Gängen. Alles war voll Andacht.

Der Pfarrer war ein alter Rationalist, und man ist gewöhnt, über den "alten,
flachen, kalten, schalen" Rationalismus den Stab zu brechen; man beurteilt ihn gern
nach einigen häßlichen Auswüchsen. Aber man ist mit den würdigen Männern
einer vergangenen Zeit ungerecht umgcgnugen. Wahr ist es, daß ihnen unter der
ätzenden Kritik ihrer Professoren manches Kleinod des Glaubens abhanden ge¬
kommen war. Aber was ihnen geblieben war, das hielten sie umso fester, das
umfaßten sie mit umso größerer Wärme und erwärmten auch ihre Gemeinden dafür.
Niemand wird die Gesangbuchsvcrhunznngen und die natürlichen Wundererkläruugeu
jener Zeit loben, besonders wenn er sie gelesen hat. Niemand wird das lockere
und unwürdige Treiben eines Karl Friedrich Bahrdt verteidigen. Aber deshalb
sollte man doch über Tausende von braven und treuen Männern nicht voreilig den
Stab brechen, die in ihrem Leben heilig und ernst für eine ihnen heilige und
ernste Sache gekämpft haben. Der Pfarrer B. in Frcischdvne war ein ge¬
waltiger Prediger. Stundenweit kamen die Leute in seine Kirche, auch die Katho¬
liken aus dem benachbarten Fulderlaud. Er hielt scharfe Predigten gegen die alten
Sünden der Gebirgsvölker, gegen das Saufen und die Unzucht. Er brachte durch
seine eindringlichen Mahnungen manchen, der einen Meineid schwören wollte, davon
zurück. Sein Andenken steht noch heute bei den Kindern derer, die einst um seinen
Lippen hingen, in Ehren.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein Kohlenring.

Die "Schlesische Zeitung" hat wiederholt auf die Thai¬
sache hingewiesen, daß fast die gesamte Kohlenförderung des oberschlesischen Reviers
-- die fiskalischen Gruben nicht ausgeschlossen -- in die Hunde weniger Gro߬
händler gelangt, die als Konsortium deu Markt beherrschen und in rücksichtsloser
Ausbeutung dieser Lage die Kohlenpreise willkürlich in die Höhe treiben, ohne daß
den Grubenbesitzern und Bergleuten aus der Preiserhöhung ein Vorteil erwüchse.
Die Kohlenpreise find von diesen Herren seit anderthalb Jahren um sechzig bis
hundert Prozent erhöht worden, während die Aufbesserung der Arbeitslöhne höchstens
zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent beträgt. Dem gemeinschädlicheu Treiben des
Kvhlenringes ein Ende zu machen, seien uur die fiskalischen Werke imstande. Diese
sollten erstens die Preise ihrer eignen Kohlen sofort herabsetzen, zweitens in Zukunft
nicht mehr deu überwiegende" Teil ihrer Förderung Großhändlern überlassen, ohne
diesen die Verkaufspreise vorzuschreiben. Am besten würde es sein, wenn der
Kohlenverschleiß auf dem Wege der Agentur mit öffentlich bekannt gemachten Preisen
bewirkt würde, wie das im Saargebiet schon seit Jahren geschehe. In Ur. 651
(18. September) beklagt es die "Schlesische Zeitung" aufs lebhafteste, daß ihre Be¬
mühungen bis jetzt ohne Erfolg geblieben sind, und daß um 1. September eine


massive Kirche von ihrer kleinen Höhe herab als ihre geistige Heimat winkte.
Sonntag für Sonntag war die Kirche voller Zuhörer, und an Feiertagen saßen sie
ans den Treppen und standen in den Gängen. Alles war voll Andacht.

Der Pfarrer war ein alter Rationalist, und man ist gewöhnt, über den „alten,
flachen, kalten, schalen" Rationalismus den Stab zu brechen; man beurteilt ihn gern
nach einigen häßlichen Auswüchsen. Aber man ist mit den würdigen Männern
einer vergangenen Zeit ungerecht umgcgnugen. Wahr ist es, daß ihnen unter der
ätzenden Kritik ihrer Professoren manches Kleinod des Glaubens abhanden ge¬
kommen war. Aber was ihnen geblieben war, das hielten sie umso fester, das
umfaßten sie mit umso größerer Wärme und erwärmten auch ihre Gemeinden dafür.
Niemand wird die Gesangbuchsvcrhunznngen und die natürlichen Wundererkläruugeu
jener Zeit loben, besonders wenn er sie gelesen hat. Niemand wird das lockere
und unwürdige Treiben eines Karl Friedrich Bahrdt verteidigen. Aber deshalb
sollte man doch über Tausende von braven und treuen Männern nicht voreilig den
Stab brechen, die in ihrem Leben heilig und ernst für eine ihnen heilige und
ernste Sache gekämpft haben. Der Pfarrer B. in Frcischdvne war ein ge¬
waltiger Prediger. Stundenweit kamen die Leute in seine Kirche, auch die Katho¬
liken aus dem benachbarten Fulderlaud. Er hielt scharfe Predigten gegen die alten
Sünden der Gebirgsvölker, gegen das Saufen und die Unzucht. Er brachte durch
seine eindringlichen Mahnungen manchen, der einen Meineid schwören wollte, davon
zurück. Sein Andenken steht noch heute bei den Kindern derer, die einst um seinen
Lippen hingen, in Ehren.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein Kohlenring.

Die „Schlesische Zeitung" hat wiederholt auf die Thai¬
sache hingewiesen, daß fast die gesamte Kohlenförderung des oberschlesischen Reviers
— die fiskalischen Gruben nicht ausgeschlossen — in die Hunde weniger Gro߬
händler gelangt, die als Konsortium deu Markt beherrschen und in rücksichtsloser
Ausbeutung dieser Lage die Kohlenpreise willkürlich in die Höhe treiben, ohne daß
den Grubenbesitzern und Bergleuten aus der Preiserhöhung ein Vorteil erwüchse.
Die Kohlenpreise find von diesen Herren seit anderthalb Jahren um sechzig bis
hundert Prozent erhöht worden, während die Aufbesserung der Arbeitslöhne höchstens
zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent beträgt. Dem gemeinschädlicheu Treiben des
Kvhlenringes ein Ende zu machen, seien uur die fiskalischen Werke imstande. Diese
sollten erstens die Preise ihrer eignen Kohlen sofort herabsetzen, zweitens in Zukunft
nicht mehr deu überwiegende» Teil ihrer Förderung Großhändlern überlassen, ohne
diesen die Verkaufspreise vorzuschreiben. Am besten würde es sein, wenn der
Kohlenverschleiß auf dem Wege der Agentur mit öffentlich bekannt gemachten Preisen
bewirkt würde, wie das im Saargebiet schon seit Jahren geschehe. In Ur. 651
(18. September) beklagt es die „Schlesische Zeitung" aufs lebhafteste, daß ihre Be¬
mühungen bis jetzt ohne Erfolg geblieben sind, und daß um 1. September eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/628>, abgerufen am 27.04.2024.