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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

thatsächlich eintritt; während es hiernach scheint, als ob die Erschütterung erst das
Bediugtsein bedingte! In Wirklichkeit ist doch aber wohl die Erschütterung
das VvrnnSgchende, und das Herabfallen die Wirkung; also bedingt das Herab¬
fallen die Erschütterung, und nicht unigekehrt. Derselbe Universitätslehrer giebt
auch an, daß ein gewisses Reagens das Auftreten einer intensiv roten Färbung
bedinge, während doch der Sinn ist, daß die Färbung eintritt, wenn das Reagens
angewandt wird, also die Färbung das Reagens bedingt. Aber freilich, derselbe
Gelehrte spricht auch von Ameisen, die die Vegetation ihrer Nester, ,,mit Ausuahnie
einer von ihnen sehr gepriesenen (!) Grasart vernichten!" Ein andrer, sehr
hervorragender Gelehrter und Forscher spricht von ,,organischer Substanz, deren
Leben der Sauerstoff vorher bedingte" (statt bedingt hatte); und doch ist
ohne weiteres klar, das; nicht der Sauerstoff das Leben, sondern das Leben das
Vorhandensein des Sauerstoffs bedingt, d. h. voraussetzt. Einem dritten,
ebenso hervorragenden Universitätslehrer ,/hilft" der Bau der Finger "eine eigen¬
artige Handschrift bei uns bedingen," wo natürlich gemeint ist, daß die Eigen¬
tümlichkeit der Handschrift zum Teil von dem Bau der Finger abhänge, aber das
Umgekehrte gesagt ist, nämlich daß sich der Bau der Finger nach der Handschrist
richte, die eben diese Finger schreiben! So sollen anch die erworbenen und Vererbleu
Eigenschaften ,,die Gestaltung der Organismen bedingen," statt umgekehrt; und
so weiter. Dergleichen kann doch in der That nnr von Leuten verteidigt werden,
die der Ansicht sind, daß weder der Sprachgebrauch Logik, noch die Logik den
jeweiligen Sprachgebrauch bedinge. Daß der Hund noch nicht Junge bedingt,
ist Th I ein wahres Wunder; nächstens wird es wohl anch noch dahin kommen.


Nochmals lebe, liebe!

Von zwei Seiten bin ich darauf aufmerksam ge¬
macht worden, daß das neulich von mir besprochene alte Gesellschaftslied! "Lebe,
liebe, trinke, lärme" von Hciydn komponirt worden ist, und daß vielleicht diese
Komposition dem Liede zu seiner Volkstümlichkeit verholfen habe. Dieser freund¬
liche Hinweis hat mich veranlaßt, auch uoch der musikalischen Seite der Frage
nachzugehen, und das Ergebnis ist folgendes.

In Beckers Taschenbuch von 1791, woraus ich das Lied für mein Groß-
vaterlmch entnommen hatte, stehen folgende Bemerkungen dabei: "Mei. f. Lieder
für Freunde, Leipzig, 1788. x. 37. Dieses kurze Lied, welches auch als eine
Gesundheit gebraucht werden kann, nimmt sich überaus gut ans, wenn darzu nach
dem Tacte die Weingläser angestoßen werden: da "uiß es aber einigemal hinter
einander gesungen werden, und die Zahl derer, welche anstoßen wollen, muß un¬
gleich oder ungerade sein.""

Zufällig sind die "Lieder für Freunde, auf die hier verwiesen wird, im Besitz
der Leipziger Stadtbibliothek. Der genaue Titel des Buches ist: Lieder für
Freunde der geselligen Freude. Leipzig, 1788. Es ist ein Oktavband von zwei¬
undsiebzig Seiten. Seite 37 steht der Text unsers Liedes genau so wie bei
Becker und dazu (in dreistimmigem Satz) folgende Melodie:



Maßgebliches und Unmaßgebliches

thatsächlich eintritt; während es hiernach scheint, als ob die Erschütterung erst das
Bediugtsein bedingte! In Wirklichkeit ist doch aber wohl die Erschütterung
das VvrnnSgchende, und das Herabfallen die Wirkung; also bedingt das Herab¬
fallen die Erschütterung, und nicht unigekehrt. Derselbe Universitätslehrer giebt
auch an, daß ein gewisses Reagens das Auftreten einer intensiv roten Färbung
bedinge, während doch der Sinn ist, daß die Färbung eintritt, wenn das Reagens
angewandt wird, also die Färbung das Reagens bedingt. Aber freilich, derselbe
Gelehrte spricht auch von Ameisen, die die Vegetation ihrer Nester, ,,mit Ausuahnie
einer von ihnen sehr gepriesenen (!) Grasart vernichten!" Ein andrer, sehr
hervorragender Gelehrter und Forscher spricht von ,,organischer Substanz, deren
Leben der Sauerstoff vorher bedingte" (statt bedingt hatte); und doch ist
ohne weiteres klar, das; nicht der Sauerstoff das Leben, sondern das Leben das
Vorhandensein des Sauerstoffs bedingt, d. h. voraussetzt. Einem dritten,
ebenso hervorragenden Universitätslehrer ,/hilft" der Bau der Finger „eine eigen¬
artige Handschrift bei uns bedingen," wo natürlich gemeint ist, daß die Eigen¬
tümlichkeit der Handschrift zum Teil von dem Bau der Finger abhänge, aber das
Umgekehrte gesagt ist, nämlich daß sich der Bau der Finger nach der Handschrist
richte, die eben diese Finger schreiben! So sollen anch die erworbenen und Vererbleu
Eigenschaften ,,die Gestaltung der Organismen bedingen," statt umgekehrt; und
so weiter. Dergleichen kann doch in der That nnr von Leuten verteidigt werden,
die der Ansicht sind, daß weder der Sprachgebrauch Logik, noch die Logik den
jeweiligen Sprachgebrauch bedinge. Daß der Hund noch nicht Junge bedingt,
ist Th I ein wahres Wunder; nächstens wird es wohl anch noch dahin kommen.


Nochmals lebe, liebe!

Von zwei Seiten bin ich darauf aufmerksam ge¬
macht worden, daß das neulich von mir besprochene alte Gesellschaftslied! „Lebe,
liebe, trinke, lärme" von Hciydn komponirt worden ist, und daß vielleicht diese
Komposition dem Liede zu seiner Volkstümlichkeit verholfen habe. Dieser freund¬
liche Hinweis hat mich veranlaßt, auch uoch der musikalischen Seite der Frage
nachzugehen, und das Ergebnis ist folgendes.

In Beckers Taschenbuch von 1791, woraus ich das Lied für mein Groß-
vaterlmch entnommen hatte, stehen folgende Bemerkungen dabei: „Mei. f. Lieder
für Freunde, Leipzig, 1788. x. 37. Dieses kurze Lied, welches auch als eine
Gesundheit gebraucht werden kann, nimmt sich überaus gut ans, wenn darzu nach
dem Tacte die Weingläser angestoßen werden: da »uiß es aber einigemal hinter
einander gesungen werden, und die Zahl derer, welche anstoßen wollen, muß un¬
gleich oder ungerade sein.""

Zufällig sind die „Lieder für Freunde, auf die hier verwiesen wird, im Besitz
der Leipziger Stadtbibliothek. Der genaue Titel des Buches ist: Lieder für
Freunde der geselligen Freude. Leipzig, 1788. Es ist ein Oktavband von zwei¬
undsiebzig Seiten. Seite 37 steht der Text unsers Liedes genau so wie bei
Becker und dazu (in dreistimmigem Satz) folgende Melodie:



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[0632] Maßgebliches und Unmaßgebliches thatsächlich eintritt; während es hiernach scheint, als ob die Erschütterung erst das Bediugtsein bedingte! In Wirklichkeit ist doch aber wohl die Erschütterung das VvrnnSgchende, und das Herabfallen die Wirkung; also bedingt das Herab¬ fallen die Erschütterung, und nicht unigekehrt. Derselbe Universitätslehrer giebt auch an, daß ein gewisses Reagens das Auftreten einer intensiv roten Färbung bedinge, während doch der Sinn ist, daß die Färbung eintritt, wenn das Reagens angewandt wird, also die Färbung das Reagens bedingt. Aber freilich, derselbe Gelehrte spricht auch von Ameisen, die die Vegetation ihrer Nester, ,,mit Ausuahnie einer von ihnen sehr gepriesenen (!) Grasart vernichten!" Ein andrer, sehr hervorragender Gelehrter und Forscher spricht von ,,organischer Substanz, deren Leben der Sauerstoff vorher bedingte" (statt bedingt hatte); und doch ist ohne weiteres klar, das; nicht der Sauerstoff das Leben, sondern das Leben das Vorhandensein des Sauerstoffs bedingt, d. h. voraussetzt. Einem dritten, ebenso hervorragenden Universitätslehrer ,/hilft" der Bau der Finger „eine eigen¬ artige Handschrift bei uns bedingen," wo natürlich gemeint ist, daß die Eigen¬ tümlichkeit der Handschrift zum Teil von dem Bau der Finger abhänge, aber das Umgekehrte gesagt ist, nämlich daß sich der Bau der Finger nach der Handschrist richte, die eben diese Finger schreiben! So sollen anch die erworbenen und Vererbleu Eigenschaften ,,die Gestaltung der Organismen bedingen," statt umgekehrt; und so weiter. Dergleichen kann doch in der That nnr von Leuten verteidigt werden, die der Ansicht sind, daß weder der Sprachgebrauch Logik, noch die Logik den jeweiligen Sprachgebrauch bedinge. Daß der Hund noch nicht Junge bedingt, ist Th I ein wahres Wunder; nächstens wird es wohl anch noch dahin kommen. Nochmals lebe, liebe! Von zwei Seiten bin ich darauf aufmerksam ge¬ macht worden, daß das neulich von mir besprochene alte Gesellschaftslied! „Lebe, liebe, trinke, lärme" von Hciydn komponirt worden ist, und daß vielleicht diese Komposition dem Liede zu seiner Volkstümlichkeit verholfen habe. Dieser freund¬ liche Hinweis hat mich veranlaßt, auch uoch der musikalischen Seite der Frage nachzugehen, und das Ergebnis ist folgendes. In Beckers Taschenbuch von 1791, woraus ich das Lied für mein Groß- vaterlmch entnommen hatte, stehen folgende Bemerkungen dabei: „Mei. f. Lieder für Freunde, Leipzig, 1788. x. 37. Dieses kurze Lied, welches auch als eine Gesundheit gebraucht werden kann, nimmt sich überaus gut ans, wenn darzu nach dem Tacte die Weingläser angestoßen werden: da »uiß es aber einigemal hinter einander gesungen werden, und die Zahl derer, welche anstoßen wollen, muß un¬ gleich oder ungerade sein."" Zufällig sind die „Lieder für Freunde, auf die hier verwiesen wird, im Besitz der Leipziger Stadtbibliothek. Der genaue Titel des Buches ist: Lieder für Freunde der geselligen Freude. Leipzig, 1788. Es ist ein Oktavband von zwei¬ undsiebzig Seiten. Seite 37 steht der Text unsers Liedes genau so wie bei Becker und dazu (in dreistimmigem Satz) folgende Melodie: [Abbildung]

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/632>, abgerufen am 27.04.2024.